27. April 2023, 6:29 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Die Ukraine erlebt mittlerweile das zweite Kriegsjahr, viele Orte sind zerstört, zahlreiche Menschen sind auf der Flucht, unzählige haben bereits ihr Leben lassen müssen im Krieg. Und mittendrin: Urlauber. Wie sehen Ukrainer diesen Tourismus? Und welche Unternehmen bieten solche Reisen überhaupt an? TRAVELBOOK hat nachgefragt.
Urlaub in der Ukraine, während dort Krieg herrscht, ist vermutlich nicht das, was Sie gerade planen, oder? Ich auch nicht. Obwohl eine neue ukrainische Freundin ihr Land so sehr anpreist, wie ich es selten von jemandem gehört habe. Und ganz klar ist mein Interesse an einem Besuch in der Ukraine größer, als es noch vor dieser Bekanntschaft war. Aber nicht jetzt. Nicht im Krieg. Eine Ansicht, mit der ich sicher nicht allein dastehe. Angst, Opfer dieses brutalen Krieges zu werden, den Russland im Februar 2022 startete, ist der Hauptfaktor. Ein mulmiges Bauchgefühl, mir als Tourist Orte anzuschauen, an denen Menschen sehr leiden, ein anderer.
Doch in der Ukraine gibt es andere Stimmen. Meine Freundin und ihren Mann zum Beispiel. Und auch eine Reiseagentur, die den Urlaub in der Ukraine anpreist, „Visit Ukraine“.
Urlaub in der Ukraine – trotz Krieg?
Die Internetseite VisitUkraine.today bietet zahlreiche Touren an – Städtetrips, Gastro-Reisen, zum Wandern oder Entspannen. All das, was Ukraine-Urlauber vor dem Beginn des Krieges gern erlebt haben. Schließlich bietet das Land üppige Natur, zahlreiche Outdoor-Sportmöglichkeiten, köstliche Speisen und hat mit Kiew, Lviv oder Odessa diverse spannende Städte. Aktuell ist das Touren-Angebot der Reiseagentur überschrieben mit „Safe Tours in Ukraine“. Doch wie sicher sind diese Touren wirklich? „Visit Ukraine“ sagt gegenüber TRAVELBOOK: „Wir bieten nur sichere Touren für Touristen an. Sie gehen nur in die Regionen der Ukraine, die weit weg sind von den Kriegszonen. Das sind die Hauptstadt, die zentralen und westlichen Regionen“.
Außerdem würde jeder, der eine Tour buche, vor den Risiken gewarnt und genau informiert, was zu tun sei, um „einen sicheren Aufenthalt in der Ukraine“ zu erleben, etwa was bei Luftalarm zu tun ist, woher man entsprechende Benachrichtigungen bekommt, wo eine Karte von Notunterkünften und Luftschutzbunkern zu finden sei. „Visit Ukraine“ macht deutlich: „Eine Person, die eine Reise in die Ukraine plant, wird im Vorhinein über alle Risiken informiert und trifft eigenständig die Entscheidung für den Besuch.“
Neben der persönlichen Warnung bei Tourbuchung gibt es etliche Informationen auf der Website selbst. Hier werden Interessierte etwa darüber informiert, wie sie überhaupt in die Ukraine kommen, da die Luftwege weiterhin gesperrt sind. Die Anreise läuft über den Landweg, bis auf die Grenzen zu Russland, Belarus und dem international nicht anerkannten Transnistrien, sind die ukrainischen Grenzen offen und Touristen können einreisen.
Auswärtiges Amt warnt ausdrücklich vor Ukraine-Reisen
Das Auswärtige Amt warnt jedoch eindringlich davor – und fordert sogar zur Ausreise auf. In den Reisehinweisen zur Ukraine steht: „Vor Reisen in die Ukraine wird gewarnt. Deutsche Staatsangehörige sind dringend aufgefordert, das Land zu verlassen.“ Und weiter: „Eine Evakuierung durch deutsche Behörden ist nicht möglich.“
Neben der Reisewarnung erklärt das Auswärtige Amt, dass sich die Kampfhandlungen aktuell (Stand: April 2023) auf den Osten und den Süden der Ukraine konzentrierten. Aber: „Im ganzen Land finden Raketen- und Luftangriffe (neuerdings auch mit sog. Kamikaze-Drohnen) statt, bei denen auch ein Beschuss ziviler Infrastrukturen und Wohnbebauung nicht ausgeschlossen werden kann.“ Außerdem bestehe „überall im Land die Gefahr, von nicht explodierter Munition, im Küstenbereich zudem von Seeminen“. In den vormals von russischen Truppen gehaltenen und inzwischen durch ukrainische Truppen wieder befreiten Gebieten sei zudem die Gefahr durch Minen und Sprengfallen hoch.
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Trotz dieser realen Gefahr ist man bei „Visit Ukraine“ offenbar überzeugt, dass Urlaub in der Ukraine zum jetzigen Zeitpunkt in Ordnung ist. Wieso? „Unabhängig des Fakts, dass das Land im Krieg ist, brauchen die Menschen einen Neustart und Erholung für ein paar Tage“, erklärt die Reiseorganisation. Wichtig sei außerdem der Blick von Innen und die Hilfe für die vom Krieg gebeutelte ukrainische Wirtschaft. Der Tourismussektor ist augenscheinlich einer der Wirtschaftsbereiche des Landes, die besonders unter dem Krieg leiden.
Ist Urlaub abseits der Frontlinien in der Ukraine möglich?
Hautnah erleben die Folgen des Kriegs in der Ukraine die Menschen vor Ort. Ukrainer und der Mann meiner Bekannten, Valerii Riazanov, erzählt von seinem Leben derzeit in Odessa, das vom Krieg bislang weitgehend verschont blieb. Anfänglich sei es sehr beängstigend gewesen: „Viele Geschäfte waren geschlossen, überall in der Stadt gab es Checkpoints und Straßensperren, es gab Probleme mit Lebensmitteln und Medizin, viele Menschen flohen und die Stadt fühlte sich sehr leer an.“ In den Folgemonaten habe es einen Treibstoffmangel gegeben. Zudem regelmäßige Stromausfälle, sodass viele Menschen nur wenige Stunden pro Tag Strom hatten. „Doch nach und nach hat sich die Lage normalisiert. Geschäfte und private Haushalte haben sich Stromgeneratoren besorgt und die Menschen haben angefangen, ihr Leben mit Rücksicht auf den Stromplan zu organisieren“. Auch der Mangel an Lebensmitteln und Medizin sei behoben, Straßensperren und Militärpräsenz gebe es aktuell kaum, mit Ausnahme der Zufahrtsstraßen zur Stadt.
Dennoch: „Wir haben fast täglich Fliegeralarm“, erklärt der Ukrainer. Nur: „Die Menschen reagieren darauf nicht mehr.” Manche Verwaltungen oder Shopping-Malls würden während des Fliegeralarms geschlossen, aber kleine Geschäfte ignorierten ihn normalerweise. „Einige Touristenattraktionen und Monumente sind mit Sandsäcken gesichert und es ist wegen der Gefahr von Minen verboten, im Meer zu schwimmen – aber dieses Verbot wird im Sommer ebenfalls weitestgehend ignoriert.“ Riazanov sagt weiter: „Es fühlt sich aktuell in Odessa nicht gefährlich oder unfreundlich an.“
Eine andere Meinung vertritt die Vorsitzende der staatlichen Agentur für Tourismusentwicklung, Mariana Oleskiv. Laut ihr habe aktuell ein Aufenthalt in der Ukraine nicht viel mit einem klassischen Urlaub zu tun, selbst in den ruhigeren westlichen Regionen. Der Krieg sei allgegenwärtig, Kriegsrecht, Sperrstunde und Luftalarm seien Teil des Alltags. Außerdem gebe es nirgendwo 100-prozentige Sicherheit, da die Raketen jeden Ort im Land treffen könnten. Das sagte Oleskiv gegenüber „ntv“.
Geplanter Kriegstourismus
Unsicherheiten, die dafür sorgen, dass Touristen der Ukraine weitestgehend fernbleiben. Nur wenige wagen sich derzeit in das Land. Laut „Visit Ukraine“ kämen aktuell Ausländer vor allem „für geschäftliche Zwecke, um Freunde zu besuchen oder freiwillige Helfer.“ Hätten sie einige Tage frei, würden sie Städtetouren unternehmen oder sich in den Bergen der Karpaten entspannen. Doch es gibt nicht nur diese Art von Tourismus. So hieß es bereits in verschiedenen Medien, es gebe ausländische Kriegstouristen, die in die Ukraine reisten, um den Krieg und seine Folgen zu erleben. „Visit Ukraine“ erklärte im August letzten Jahres, sie würden demnächst „Touren zu kriegszerstörten Städten“ anbieten. In einem entsprechenden Blogeintrag der Reiseagentur heißt es (übersetzt): „Visit Ukraine beginnt mit der Einführung von ‚dark tourism‚ in der Ukraine, (…) sodass in Zukunft Touristen von überall auf der Welt mit ihren eigenen Augen sehen können, was in den zerstörten Städten der Ukraine geschehen ist.“ Die Idee sei aufgekommen durch Besuche führender Politiker verschiedener Länder und Prominenter sowie zahlreicher Journalisten in Butscha, Irpen und anderen vom Krieg zerstörten Orten.
Doch als TRAVELBOOK bei der Reiseagentur diesbezüglich nachgefragt, wird Gegenteiliges erklärt. Touren zu kriegszerstörten Städten gebe es von „Visit Ukraine“ nicht. Man habe „lediglich professionelle Begleiter für Journalisten, offizielle Delegationen, diplomatische Missionen und Influencer“ vermittelt, es handele sich nicht um touristische Angebote. Rund 50 Journalisten aus Ländern wie Deutschland, den USA, Lettland, Spanien, Großbritannien, Polen sowie aus der Ukraine hätten dieses Angebot bislang genutzt. Doch vor allem hinsichtlich der Tatsache, dass nach Angaben des Reiseunternehmens auch Influencer in Kriegsgebiete geschickt werden, stellt sich die Frage, ob „Visit Ukraine“ einen aus ethischer Sicht fragwürdigen Kriegstourismus betreibt.
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„Tragödie des Krieges spüren“
Valerii Riazanov ist hingegen überzeugt, dass „jede Form von Tourismus gut für das Land ist“. Der helfe der Wirtschaft, aber auch, die Situation vor Ort zu sehen und zu verstehen. Aber: „Es ist sehr wichtig, sich höflich zu verhalten und die Gefühle der Menschen zu respektieren, die von dem Krieg betroffen waren.” Er erzählt, dass er mit seiner Frau auf einer Kiew-Reise Butscha und Irpin besucht hätte. Beide sind ehemalige Besatzungsstädte Russlands, in denen zahlreiche Zivilisten grauenvoll getötet wurden.
Er erzählt: „Ich hatte gemischte Gefühle, dort wie ein Tourist hinzufahren, Menschen zu treffen, die diese schlimme Tragödie miterlebt haben. Wir versuchten, sehr diskret zu sein und keine Gefühle zu verletzen.” Gleichzeitig habe es geholfen, die „Tragödie des Krieges zu spüren.“ Er ergänzt: „Tatsächlich war ich überrascht zu sehen, wie schnell eine Stadt sich selbst von den schlimmsten Ereignissen erholen kann.“ Es ist ein Jahr her, dass Butscha zurückerobert wurde und das Leben sei bereits zurückgekehrt: „Die Gebäude werden repariert, es gibt Cafés und Geschäfte, Kinder, die auf den Straßen spielen. Und gleichzeitig sind Bäume, Straßenschilder und Zäune voller Einschusslöcher.“
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Tourismusministerin unterstützt Urlaub in der Ukraine nicht
Es gibt also auch positive Stimmen für Urlaub in der Ukraine – trotz des Krieges. Doch längst nicht alle Ukrainer sind davon überzeugt, dass jetzt schon die richtige Zeit für einen Ukraine-Urlaub ist. So erklärte die ukrainische Tourismus-Vorsitzende Mariana Oleskiv gegenüber „ntv.de“: „Wir unterstützen diese Art des Tourismus nicht.“ Sie wolle ausländische Urlauber erst nach Ende des Kriegs wieder in die Ukraine einladen.
„Ntv“ schreibt weiter, dass Oleskiv „Ausflüge in die Nähe der Frontlinie im Osten“ ebenso wie Reisen, die auf dem Leiden von Menschen aufbauten, für „Blasphemie“ halte. Gemeint seien Touren, die „sensationslüsternen Besuchern die Zerstörung durch den Krieg zeigen.“ So gehe es laut der Tourismus-Chefin erst einmal darum, „den Menschen zu helfen, die alles verloren haben. Sie zu unterstützen. Wiederaufbau. Entschädigung. Aber ganz sicher nicht, um für Geld Ausflüge an Orte zu unternehmen, die voll menschlichem Schmerz sind.“ Für Oleskiv seien das „rote Linien, die nicht überschritten werden sollten.“