1. August 2023, 13:02 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Venedig kämpft seit Jahren mit unterschiedlichen Maßnahmen gegen den Massentourismus – bisher mit eher mäßigem Erfolg. Dabei sind die Scharen an Urlaubern bei Weitem nicht das einzige Problem, mit dem die Lagunenstadt sich konfrontiert sieht. Dazu kommen mit dem steigenden Meeresspiegel und dem übermäßigen Schiffsverkehr zwei Faktoren, die der Bausubstanz der fragilen Altstadt zusetzen. Es steht sogar so schlimm um Venedig, dass die Stadt ihren Status als Weltkulturerbe verlieren könnte.
Wie die italienische Nachrichtenagentur „Agenzia Italia“ berichtet, hat die Unesco am Montag (31. Juli) in Paris empfohlen, Venedig auf ihre Liste des gefährdeten Weltkulturerbes zu setzen. Den Experten der Kulturbehörde der Vereinten Nationen zufolge drohen der Lagunenstadt „irreversible Schäden“, und die italienische Regierung müsse ihre Schutzmaßnahmen deutlich verstärken.
Venedig ist der Unesco zufolge von verschiedenen Faktoren bedroht: dem Anstieg des Meeresspiegels, den unkontrollierten Touristenströmen, dem intensiven Schiffsverkehr und schließlich dem geplanten Bau von Wolkenkratzern am Stadtrand, der sich negativ auf das Stadtbild auswirken würde. Nach Ansicht der UN-Kulturbehörde seien bisher „unzureichende“ Maßnahmen ergriffen worden, um den vor allem durch den Massentourismus und den Klimawandel verursachten Schäden entgegenzuwirken.
„Die fortschreitende Entwicklung Venedigs, die Auswirkungen des Klimawandels und der Massentourismus drohen den außergewöhnlichen universellen Wert des Welterbes unwiderruflich zu verändern“, schreibt die Unesco laut „Agenzia Italia“ in ihrer Begründung. Die Aufnahme Venedigs auf die „schwarze Liste“ des gefährdeten Welterbes soll – so die Hoffnung der Unesco – „zu einem stärkeren Engagement und einer Mobilisierung der lokalen, nationalen und internationalen Akteure“ führen. Venedigs Altstadt gehört seit 1987 zum Unesco-Weltkulturerbe.
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Schon die zweite Empfehlung der Unesco für Venedig
Die Unesco hatte bereits vor zwei Jahren erstmals empfohlen, Venedig auf die Liste des gefährdeten Welterbes zu setzen. Im Anschluss hatten die Behörden sofort reagiert und die großen Kreuzfahrtschiffe aus der Altstadt verbannt. Auch das neu installierte Hochwasserschutz-System „Mose“ zeigte Wirkung und konnte Venedig vor weiteren Überschwemmungen bewahren.
Doch das sei nicht genug, so die Unesco. „Zwei Jahre später sind zwar Fortschritte zu verzeichnen, aber sie sind unzureichend und zu langsam im Vergleich zum Ausmaß der Bedrohung der Stätte“, schreibt die Kulturbehörde. Und weiter: „Die ergriffenen Maßnahmen gehen nicht mit der richtigen Geschwindigkeit voran“. Die jetzt ausgesprochenen Empfehlung soll im September vom Welterbekomitee der Unesco in Riad (Saudi-Arabien) verabschiedet werden.
Die Einwohner tun mir leid
„Ich habe Venedig früher geliebt, war fast jedes Jahr dort. Heute würde ich nicht noch einmal dorthin fahren. Warum das so ist, würde ich gerne anhand der folgenden Zahlen verdeutlichen:
Knapp 9 Millionen Besucher haben im Jahr 2019 in Venedig übernachtet. Dazu kamen nochmal gut 5,5 Millionen Tagestouristen. Aufs ganze Jahr gerechnet, hielten sich also an jedem einzelnen Tag im Schnitt knapp 34.000 Touristen in Venedigs Altstadt auf.
Zum Vergleich: Die Zahl der Einwohner im historischen Zentrum von Venedig lag im vergangenen Jahr bei knapp unter 50.000. Heißt: An vielen Tagen im Jahr halten sich mehr Touristen in Venedig auf als Einheimische.
Dass diese genervt sind, kann ich sehr gut nachvollziehen. Zumal sich immer wieder Urlauber daneben nehmen, ihren Müll zurücklassen oder gegen das Essensverbot an historischen Plätzen verstoßen.
Dazu kommt, dass die Stadt ihren ursprünglichen Charme immer mehr verloren hat. Von echtem venezianischen Leben ist hier kaum noch etwas zu spüren, stattdessen verkommt Venedig immer mehr zu einer Museumstadt mit viel zu hohen Preisen und oft schlechtem Essen, das nur noch auf die schnelle Befriedigung der Touristenmassen ausgelegt ist. Dazu passt auch der kontinuierliche Einwohnerschwund – vor 20 Jahren hatte die Stadt noch rund 22 Prozent mehr Einwohner als heute. Natürlich hat dies auch andere Gründe, etwa die Tatsache, dass die Bevölkerung immer älter wird und die Geburtenrate kontinuierlich sinkt. Aber ich kann jeden, der freiwillig aus Venedig wegzieht, verstehen, denn auch ich hätte keine Lust, mir meine Heimatstadt mit Millionen Touristen zu teilen und mich täglich in den Massen durch die Straßen bewegen zu müssen.
Deshalb kann ich sehr gut nachvollziehen, dass die Unesco empfohlen hat, Venedig auch aufgrund des immer schlimmer werdenden Massentourismus auf ihre Liste des gefährdeten Weltkulturerbes zu setzen. Und die geplante Einführung eines „Eintrittsgeldes“, die nun schon mehrfach verschoben wurde, dürfte an dem Problem aus meiner Sicht kaum etwas ändern. Denn wer Venedig sehen will, den werden auch die angedachten 3 bis 10 zusätzliche Euro nicht davon abhalten.“– Angelika Pickardt, TRAVELBOOK-Redakteurin