2. Oktober 2020, 13:20 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Unwetter, ein Baum auf dem Gleis oder vereiste Schienen: Wenn die Bahn bei diesen Geschehnissen Verspätung hat, spricht man von höherer Gewalt. Bislang gab es dafür Entschädigung – doch eine Reform der EU bezüglich der Fahrgastrechte von Bahnreisenden macht das zunichte, was zu viel Kritik führt.
Bahnreisende kennen es: Wenn es plötzlich stürmt oder schneit haben Züge oft Verspätung oder fallen aus. Bislang gab es als Entschädigung zumindest bei einer Stunde Verspätung 25 Prozent und bei zwei Stunden 50 Prozent des Ticketpreises zurück. Doch das wird bald Geschichte sein: Das EU-Parlament und Mitgliedstaaten haben sich in Brüssel auf eine Reform der Fahrgastrechte geeinigt, die eine Klausel über höhere Gewalt enthält, nach der Eisenbahnunternehmen bei „besonderen Umständen“ nicht mehr Entschädigung leisten müssen.
Auch wenn die EU-Staaten und das Europaparlament dieser vorläufigen Einigung noch zustimmen müssen, gilt das Gesetz eigentlich schon als beschlossen. Das EU-Parlament hatte sich gegen diese Klausel eingesetzt. Außerdem hatten sie eine Erhöhung der Entschädigungen bei Verspätungen gefordert – doch die beläuft sich nun lediglich auf die Regelungen, die bei der Deutschen Bahn bereits gelten.
Kritik von Abgeordneten und Verbraucherschützern
Abgeordnete des Europaparlaments zeigten sich nach der Entscheidung enttäuscht. Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) reagierte mit deutlicher Kritik, es sei ein schlechter Tag für Bahnfahrer. „Die Bahnunternehmen können Entschädigungsansprüche für Zugausfälle und -verspätungen künftig mit dem Hinweis auf die neue Höhere-Gewalt-Klausel einfach ablehnen. Ob Kunden Geld bekommen, hängt also vom Gutdünken der Unternehmen ab. Die bisherige Rechtssicherheit für Verbraucher wäre damit hinfällig“, heißt es in einer Pressemitteilung, die TRAVELBOOK vorliegt.
Auch Heinz Klewe, Geschäftsführer der Schlichtungsstelle für öffentlichen Personenverkehr (söp), glaubt, dass es in der Praxis zu Problemen kommen wird. „Zu klären gilt es dann z. B., ob die vom Bahnunternehmen als Ausschluss für eine Entschädigung angeführte ‚höhere Gewalt‘ zu Recht erfolgt“, teilte er TRAVELBOOK mit.
Was ist höhere Gewalt?
Das Problem: Es ist nicht genau festgelegt, wie höhere Gewalt definiert ist. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshof von 2013 zählen alle „für das Eisenbahnunternehmen unabwendbaren Ereignisse“ dazu. Bislang fallen darunter – und somit auch unter den Begriff höhere Gewalt – Unwetter, Stürme, Hochwasser und auch die Corona-Pandemie.
Die EU-Kommission hatte bereits 2017 vorgeschlagen, dass Bahnunternehmen – ähnlich wie Fluggesellschaften – in Fällen keine Entschädigung zahlen müssen, in denen sie die dafür verantwortlichen Umstände nicht vermeiden können.
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Weitere Änderungen der EU-Fahrgastrechte
Teil des Pakets ist auch eine Klärung verschiedener Kundenrechte bei Zugverspätungen oder -ausfällen. So würden die Regeln für nötige Zugumleitungen oder passende Anschlussverbindungen gestärkt, hieß es. Dazu gehört, dass durchgehende Tickets ausgestellt werden müssen, wenn ein Zuganbieter für die Fahrt auf der gesamten Strecke auch nach dem Umsteigen verantwortlich ist. Hier soll die eindeutige Ausstellung für den ganzen Reiseverlauf sicherstellen, dass bei großen Verspätungen Alternativanschlüsse angeboten oder bei Bedarf Schadenersatz gezahlt werden kann.
Neu ist außerdem das Recht, grundsätzlich ein Fahrrad mit in den Zug zu nehmen. Dies solle auch „den Geist des Green Deal“ widerspiegeln, heißt es. Das Klima- und Umweltpaket der EU-Kommission soll in den kommenden Jahren die europäischen CO2-Emissionen deutlich reduzieren helfen. „Um dies zu erleichtern, werden Bahnunternehmen eine angemessene Anzahl von Fahrradabteilen an Bord ihrer Züge einrichten müssen,“ heißt es in dem Beschluss. Kunden mit Behinderungen sollen ebenfalls mehr Rechte erhalten.
Die für Verkehr zuständige EU-Kommissarin Adina Valean sagte: „Die neue Verordnung schafft einen besseren Schutz für europäische Bahnkunden im Fall von Verspätungen, Ausfällen, verpassten Anschlüssen oder Diskriminierung.“ Sie halte vor allem die ausgebauten Rechte für Kunden mit Behinderung für wichtig.
Das sieht zumindest der vzbv anders. Dort heißt es: „Punktuelle Verbesserungen für Reisende mit Fahrrad oder mobilitätseingeschränkte Personen stehen deutlich gravierendere Verschlechterungen gegenüber.“