23. Mai 2023, 17:01 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Mehrere Löcher am Meeresgrund gaben Forschern über Monate ein Rätsel auf. Die Löcher befinden sich nebeneinander aufgereiht am Grund des Beringmeers. Doch wer sie da hineingestanzt hat, war unklar. Mittlerweile gibt es eine wahrscheinliche Idee.
Tief unten am Meeresgrund liegen aufgereiht sechs ähnlich große Löcher nebeneinander. An einer anderen Stelle sind es mehr, an einer dritten weniger. Darunter liegen Höhlen. Ganze 196 Höhlen mit ihren löchrigen Eingängen wurden auf dem Meeresgrund des Beringmeers gesichtet. Die Löcher sehen aus, als hätte jemand mehrfach mit einem Stock in den Boden gestochen. Da sie etwa 3500 Meter unter der Meeresoberfläche liegen, ist das eher unwahrscheinlich. Doch wer könnte die Löcher dort in den Grund der Tiefsee, in den kalten Gewässern zwischen Russland und Alaska, gestanzt haben? Das Forscherteam um Julia D. Sigwart aus der Abteilung für Marine Zoologie des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturhistorischen Museums in Frankfurt, das die Löcher und Höhlen im Sommer 2022 entdeckte, hat monatelang gegrübelt. Jetzt haben die Forscher zumindest eine Idee, die wahrscheinlich ist. Die veröffentlichten sie im März 2023 in einer Forschungsarbeit zum Thema, die im Fachjournal „Ecology and Evolution“ veröffentlicht wurde.
196 Höhlen am Grund des Beringsmeers gefunden
Das Phänomen nebeneinander verlaufender Löcher am Meeresgrund ist bereits seit den 1960er Jahren bekannt und wird als „Pogo-Stick-Trails“ bezeichnet. „Eine der rätselhaftesten Meeresbodenspuren ist die sublineare Reihe von Öffnungen“, schreibt das Forscherteam um Sigwart in dem Beitrag. Diese seien zwar seit Jahrzehnten bekannt, bislang aber nur aus dem Mittelatlantischen Rücken in der Nähe der Azoren. Die Forscher entdeckten ähnliche Strukturen „eher zufällig“ während einer Expedition im Beringmeer. Auf einer Fläche von etwa 5660 Quadratmetern entdeckten sie 196 Höhlen, 146 konnten anhand von Standbildern näher untersucht werden. „Jeder Bau stellte eine verbundene ausgegrabene Struktur mit mehreren Öffnungen dar, die offenbar unter der Oberfläche verbunden sind“, heißt es in dem Bericht. Die Höhlen hatten zwischen zwei und elf Öffnungen, getrennt von Schlammbrücken und umgeben von Hügeln aus ausgegrabenem Sediment. Laut der Forscher haben alle Höhlen eine „klare Richtungsausrichtung“.
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Wie kommen die Löcher in den Meeresgrund?
Nachdem die Forscher die Löcher im vergangenen Sommer entdeckt hatten, überlegten sie als mögliche Verursacher hin und her zwischen Fischen, Grenadieren, Seeigeln, Isopoden, Ringelwürmern und anderen. 96 Tiere entdeckte das Team in der Nähe der Höhlen auf Standbildern, die sie während der Expedition aufgenommen hatten. Fast alle schlossen sie aus, weil sie wahlweise zu groß waren, nicht so linear bauten, keine Grab-Fortsätze besaßen oder die Körperform nicht zu den gefundenen Spuren passte. „Schließlich beobachteten wir auch eine Tierart aus der Gruppe, von der bekannt ist, dass sie Höhlen baut, mit einer Körpergröße, die dem Öffnungsdurchmesser entspricht, einem schmalen Körper und vergrößerten Gliedmaßen, die zum Graben verwendet werden: Flohkrebse“, schreibt das Forscherteam.
Auf einem Foto entdeckten sie schließlich einen Flohkrebs (oder auch Amphipoden), der in einem der Löcher saß. Das wiederum weckte in Teammitglied Angelika Brandt, ebenfalls aus dem Senckenberg Forschungsinstitut, eine Erinnerung. Sie hatte die Löcher auf einem Video gesehen, das bereits in den 1980er-Jahren aufgenommen worden war. Und hier war der Löcher-Urheber klar. Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass es sich bei dem oder den Schöpfern der mysteriösen Reihenhöhlen sehr wahrscheinlich um Maeriedenflusskrebse handelt.
Ein Exemplar des Maera sp. befindet sich im Senckenberg Museum zur weiteren Untersuchung. „Das gesammelte Exemplar (…) ist kleiner als das Exemplar, das beim Verlassen des Baus beobachtet wurde, aber sie sind morphologisch ähnlich und gehören wahrscheinlich zur gleichen Art“, heißt es in dem Fachartikel.
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Höhlen haben verschiedene Funktionen
Laut den Autoren graben sich einige Amphipoden-Arten bis zu einer nährstoffreichen Sedimentschicht, dann fressen und graben sie einen horizontalen Tunnel. Die Bautiefe könne dabei „mit der Körpergröße korrespondieren“. Zwei klare Indizien seien die „Größe und Form des Eingangs und die schlitzartigen Verbindungen der Beringmeerhöhlen“. Beide stimmen laut den Forschern „mit den beobachteten und beprobten Maeridenflohkrebsen überein“.
Die Flohkrebse benötigen ihre Höhlen unter anderem zum Schutz ihrer Jungen. Die Forscher beschreiben das als „erweiterte elterliche Fürsorge“, mindestens der Maerid Paraceradocus gibber zeige ein „Zusammenleben mit mehreren Generationen“. Doch nicht nur für die Flusskrebse scheinen die Höhlen von großer Bedeutung zu sein. Laut den Forschern haben sie eine „ökologische Bedeutung für die Tiefseeebenen des Beringmeeres“, da die Höhlen auch von anderen Tierarten genutzt würden, etwa, um sich vor Gefahren wie Raubtieren zu schützen. Auch zur „Unterstützung von Biodiversität im Beringmeer“ könnten die Höhlen beitragen, die begeisterten Forscher nennen die „Erbauer dieser Höhlen (…) Tiefsee-Ökosystemingenieure“.