17. August 2024, 7:35 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Auf der Pazifik-Insel Yap, die zu Mikronesien gehört, gibt es bis heute ein weltweit einzigartiges Zahlungsmittel neben der offiziellen Währung. Immer noch werden hier teils riesige, runde Steine als Äquivalent zu „echtem“ Geld akzeptiert. Die Geschichte des Steingelds ist so erstaunlich wie skurril, und handelt auch von deutschen Kolonialherren, Hollywood und sogar einer waschechten Inflation.
Irgendwo im Pazifik, tausende Kilometer östlich der Philippinen, liegt die zu Mikronesien gehörende Insel Yap. Gut 10.000 Menschen leben hier heute, ein paar Dörfer, ein kleiner Flughafen. Vielleicht ist es dieser Abgeschiedenheit geschuldet, dass sich hier eines der weltweit wohl skurrilsten Zahlungsmittel entwickelt hat.
Obwohl es wahrscheinlich nur die wenigsten auf den ersten Blick überhaupt als solches erkennen würden. Denn zumeist steht es einfach und scheinbar achtlos liegen gelassen in der Gegend herum. Die Rede ist von Steingeld: Mitunter tonnenschwere Steine mit einem Loch in der Mitte, bis zu vier Meter groß im Durchmesser.
Gefährliche Überfahrt
Auf Yap hat das Steingeld eine jahrhundertelange Tradition. Es zeigt laut „BBC“ unter anderem den Status einer Familie an, wird immer noch neben dem offiziell geltenden Dollar als Währung anerkannt. Bis heute wird es zum Beispiel als Wiedergutmachung eingesetzt, wenn jemand eine Strafe „bezahlen“ muss. Manche Steine tragen die Namen ihrer Besitzer eingraviert oder erinnern an denkwürdige Ereignisse wie einen Kampf. Jedes der 150 Dörfer auf Yap hat eine eigene Steinbank, wo man die besonderen Werte „einzahlen“ und lagern kann. Manche der riesigen Brocken sind mehrere hundert Jahre alt, werden von Generation zu Generation weiter gereicht.
Erstaunlich an dem Steingeld ist aber nicht nur seine Verwendung, sondern auch seine Herkunft. Denn der Sandstein, aus dem es gemacht ist, findet sich auf Yap überhaupt nicht. Vielmehr stammt er von der gut 400 Kilometer entfernten Inselnation Palau, wo er in Steinbrüchen abgebaut wurde. Im Segeln bzw. der Meeresnavigation erfahrene Einheimische wurden in der Vergangenheit meist von den wohlhabenden mächtigen Chiefs ihrer Dörfer damit beauftragt, den kostbaren Rohstoff über das Meer nach Yap zu transportieren. Eine Überfahrt, die aufgrund der archaischen Beförderungsmittel – meist Bambusflöße oder einfache Kanus – für Menschen und Fracht stets überaus risikoreich war.
Auf Yap wurde das Steingeld dann neben einer noch älteren Währung aus Muscheln (yar) dazu eingesetzt, zum Beispiel Brautpreise zu bezahlen. Aber auch Land, Boote und Häuser konnte man laut der Website des Stadtmuseums Duisburg damit erwerben. Priester und Heiler ließen sich für ihre Dienste ebenfalls gerne in der ungewöhnlichen Währung entlohnen. Traditionell zahlten auf Yap Männer mit dem Steingeld, dem rai oder fei, während den Frauen die Muscheln vorbehalten waren. Noch in den 1930 Jahren stellte man neue Steine mit Material aus Palau her.
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Inflation der Steine
Einen festgelegten Wert hat das Steingeld im Gegensatz zum Dollar übrigens nicht. Wie viel so ein Wacker wert ist, hängt auch davon ab, an wen man ihn bezahlt, und wofür. Dadurch kam es zu teils skurrilen Äquivalenten: 1900 war ein Stein von 57 Zentimetern Durchmesser sieben Sack Kopra, also getrocknetes Kokosfleisch, zu je 3,50 Mark wert. Dazu muss man wissen, dass sich Yap ab 1899 unter deutscher Kolonialherrschaft befand. Die fremden Besatzer erkannten das Steingeld als offizielles Zahlungsmittel an, was zu einem guten Verständnis mit den Einheimischen beitrug.
Das wohl bizarrste Kapitel in der Geschichte des Steingelds ist aber eine waschechte Inflation, die hier ab 1871 stattfand. In diesem Jahr erlitt der Amerikaner David O’Keefe Schiffbruch auf Yap. Während seiner Genesung auf der Insel erkannte er den Wert der Steine für die Insulaner, und kam auf eine folgenschwere Idee. Er kaufte in Hongkong eine Dschunke, mit der er die Bewohner von Yap schneller und sicherer nach Palau bringen konnte, als diese es mit ihren eigenen Booten vermochten. Für diese Dienstleistung ließ er sich mit Kopra bezahlen, und nicht selten verpfändeten Menschen mehrere Jahresernten im Voraus, um sich eine Überfahrt leisten zu können.
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Stoff für Hollywood
Zu dieser Zeit arbeiteten teilweise bis zu 400 Yapesen in den Steinbrüchen von Palau. Ein signifikanter Anteil der Inselbevölkerung, die sich damals auf etwa 7000 Menschen belief. In der Folge gelangte aber immer mehr Steingeld nach Yap. Durch O’Keefe wurden bis zu dessen Tod im Jahre 1901 bis zu 150 Steine im Jahr importiert, wodurch es zu einem Wertverfall der inoffiziellen Währung kam. Die Geschichte war so skurril, dass sich sogar Hollywood ihrer annahm. 1954 verfilmte man die Story unter dem Titel „Weißer Herrscher über Tonga“ mit Burt Lancaster in der Hauptrolle. Der Original-Titel „His Majesty O’Keefe“ spielt darauf an, dass sich der mit dem Handel, nun ja, steinreich gewordene Unternehmer gerne als König anreden ließ.
Unter der deutschen Besatzung stabilisierte sich der Wert des Steingelds aber schnell wieder. 1914 besetzten die Japaner die Insel und hielten sie bis nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. In dieser Zeit ging ein Großteil der ungewöhnlichen Währung für immer verloren, denn eine beliebte Strafmaßnahme war es, die Steine zu zerstören. Gab es 1929 bei einer Zählung noch weit mehr als 13.000 von ihnen, so waren es in den 1960er Jahren nur noch etwa 6600. Seit 1979 ist Yap ein Teil der Föderierten Staaten von Mikronesien, die 1991 ihre vollständige Unabhängigkeit erlangten.
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Einer Legende nach geht das Steingeld übrigens zurück auf den bösen Zauberer Angumag. Demnach soll er es gewesen sein, der einst das ungewöhnliche Zahlungsmittel nach Yap brachte. Und mit ihm Eifersucht, Streit und Krieg. Umso erstaunlicher also, dass sich die Parallel-Währung über so viele Jahre so stabil gehalten hat. Wahrscheinlich liegt es an der Sichtweise der Einheimischen auf die Dinge. Denn ein lokales Sprichwort besagt: Menschen und Regierungen kommen, aber die Steine bleiben.