28. April 2016, 11:30 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Man nehme 1000 alte Reifen und 10.000 Flaschen – und baue daraus ein energieautarkes Haus, in dem Bewohner sich fast vollständig selbst versorgen können. Was wie Utopie klingt, baut der US-Amerikaner Michael Reynolds seit den 70er-Jahren. Jetzt entsteht das erste „Earthship“ auch in Deutschland.
Tempelhof im Landkreis Schwäbisch Hall ist ein kleines idyllisches Dorf, und dennoch entsteht genau hier momentan ein Projekt, das bisher in Deutschland einzigartig ist: Die gemeinnützige Stiftung „Schloss Tempelhof“ treibt hier in Baden-Württemberg den Bau des landesweit ersten Earthship voran – einem energieautarken Haus, das es seinen Bewohnern ermöglicht, sich zukünftig fast vollständig selbst zu versorgen.
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Zum Hintergrund: 2010 hatte erwarb eine Gemeinschaft von heute 140 Personen im Namen der Stiftung das ganze Dorf Tempelhof – 2014 hatten ein paar Mitglieder dann nach einem Vortrags-Besuch des US-amerikanischen Architekten und Earthship-Erfinders Michael Reynolds die Vision, so ein Haus auch in Deutschland zu bauen.
Die Idee an sich ist nicht etwa neu, auch wenn sie revolutionär klingt: Reynolds baute sich aus alten Bierdosen das erste Earthship bereits 1971 in der Wüste von New Mexico, wie die Seite „Architektur aktuell“ berichtet. Mittlerweile gibt es Hunderte davon auf der ganzen Welt. Das Konzept: Die Bewohner des Hauses sollen nahezu unabhängig von äußeren Einflüssen leben können – Wasser, Wärme und Elektrizität erzeugt das Haus nämlich selber, wie man der Webseite des Unternehmens entnehmen kann.
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»Alles wird gerecht unter allen verteilt
Für den Bau des ersten deutschen Earthship wurden 1000 Altreifen und 10.000 Flaschen gesammelt, für die Fassade und den Wintergarten mit angebrachten Sonnenkollektoren auch altes Glas und Fenster aus Abbruchhäusern akquiriert, wie Pressesprecherin Stefanie Raysz TRAVELBOOK verrät. Dafür habe man in Bars und Restaurants in der Umgebung Altglas gesammelt. Elektrische Geräte sollen künftig dank Photovoltaik betrieben werden, dafür wird der erzeugte Strom erst in Batterien gespeichert und anschließend je nach Bedarf weitergeleitet.
Gesammeltes Regenwasser wird vor der Nutzung mehrfach gefiltert und gespeichert, und kann unter anderem zur Spülung der Toiletten als auch bei der Bewässerung von Pflanzen verwendet werden. Erwärmt wird es mithilfe von Solarenergie bzw. einem Heizkessel, der mit nachhaltigen Rohstoffen befeuert wird. Kühlung im Sommer verschafft das ausgeklügelte Umluftsystem, im Winter wird mittels Erdwärme „geheizt“. „Wir wollen die Bewusstheit leben, ein Teil des Ganzen zu sein“, erklärt Raysz im Gespräch mit TRAVELBOOK. „Alles, was da ist, wird gerecht unter allen verteilt werden.“
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Aufgrund von Auflagen seitens der Bau- und Gesundheitsbehörden muss das Earthship aber künftig an das zentrale Trink- und Abwassernetz angeschlossen sein. Die Baukosten für das etwa 360.000 Euro teure Projekt wurden aus eigenen Mitteln und Spenden finanziert, zudem helfen Freiwillige aus 17 Nationen nur für Kost und Logis beim Bau. „Wir haben aber unterschätzt, wie lange es dauerte, unsere größtenteils ungelernten Helfer zu schulen“, so Raysz über die Schwierigkeiten beim Bau.
Einmal sei eine eigentlich fertig verputzte Lehmwand wegen falscher Zusammensetzung des Baustoffs einfach wieder zerbröselt, ein anderes Mal habe ein Mitarbeiter wegen Kommunikationsproblemen eine 2000 Euro teure Spezialfolie zerschnitten. Um diese Kosten zu refinanzieren, werde man laut Raysz in Zukunft Workshops anbieten, und jeden zweiten Sonntag gebe es momentan schon Führungen über das Gelände.
„Wir bekommen vor allem begeisterte Reaktionen“, freut sich Raysz. „Und allen Interessierten erklären wir gerne unsere Idee hinter dem Earthship.“ Übrigens: Anders als sonst üblich werden die 25 Teilhaber des Projekts gar nicht in dem Haus wohnen, sondern in darum liegenden Bauwagen und Jurten, die aber über Strom- und Heizleitungen mit dem Earthship verbunden sind. Das Haus selbst dient nur als zentrale Versorgungseinheit mit Bad, Toiletten und Küchen.
Ursprünglich war nach den im September 2015 begonnenen Bauarbeiten für den Mai die Einweihungsfeier geplant, aber dieser Termin wird sich laut Raysz wohl nicht halten lassen: „Das wird erst passieren, wenn wirklich alle Beteiligten zufrieden sind.“