15. Januar 2018, 16:28 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Fast vierhundert Jahre lang lag die Stadt Teyuna vergessen im kolumbianischen Urwald. Ihre legendären Reichtümer hatten sie einst zu einer blühenden Metropole gemacht – und führten auch zu ihrem Untergang. Wer die verlorene Stadt heute sehen möchte, muss eine mehrtägige Wanderung durch den Dschungel auf sich nehmen.
Als Gilberto Cadavid und seine Männer im Jahr 1976 auf die vom Dschungel überwucherten Felsruinen stießen, wussten sie, sie waren endlich am Ziel. Mehrere Tage lang hatten die Archäologen sich mit Macheten durch den nahezu undurchdringlichen kolumbianischen Urwald gekämpft, über messerscharfe Gesteinsmassive, durch reißende Flüsse, immer verfolgt von riesigen Moskitoschwärmen, die wie eine Warnung über ihren Köpfen schwirrten: Geht nicht an diesen Ort – stört nicht die Ruhe der Geister.
Bereits seit Jahren hatte es unter den Bauern der umliegenden Sierra Nevada Gerüchte gegeben, Gerüchte von einem verfluchten Ort, an dem es angeblich schier unvorstellbare Reichtümer geben sollte. Ein Ort, der fast 400 Jahre von den Regenwäldern Kolumbiens scheinbar verschluckt worden war, von dem nur die Ureinwohner noch wussten, wo er sich befand. Cadavid wiederum wusste nun, sie hatten ihn endlich wieder entdeckt: Teyuna, la ciudad perdida – die verlorene Stadt, die für Jahrhunderte kein Mensch betreten hatte.
Die Gier nach Gold war der Untergang
Rückblick. Wir schreiben das Jahr 1525: Als der spanische Conquistador (Eroberer) Rodrigo de Bastidas an der Küste des heutigen Kolumbien landet, empfangen ihn die Tayrona, die Ureinwohner der Region, mit Misstrauen. Fast 30 Jahre sind vergangen, seit die ersten Entdecker Südamerika erreichten, und die Geschichten über ihre Grausamkeiten und ihre Gier nach Gold haben schnell die Runde gemacht. Die Befürchtungen der Tayrona sollten sich bewahrheiten: Bastidas und seine Männer, ausgehungert nach einer langen entbehrungsreichen Überfahrt, entdeckten schnell, dass die Indianer sich außergewöhnlich gut auf die Kunst des Goldschmiedens und der Edelsteinverarbeitung verstanden.
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Die Spanier bedrängten die friedlichen Ureinwohner deshalb immer stärker, so dass sich diese ursprünglichen Küstenbewohner gezwungen sahen, sich immer tiefer in den Dschungel zurückzuziehen – nach Teyuna, was in der Eingeborenensprache Chibcha so viel bedeutet wie „Ursprung der Völker der Erde“. Den heiligen Boden der verlorenen Stadt, die die Tayrona schon seit Hunderten von Jahren bewohnten, hatte noch niemals ein weißer Mann betreten. In Teyuna huldigten sie ihren Naturgottheiten wie dem Jaguar, dem Frosch und dem Mond, 1200 Meter über dem Meeresspiegel fühlten sie sich ihnen ganz nah.
Teyuna muss zu seiner Zeit eine blühende Stadt gewesen sein, die Tayrona konnten vom Ackerbau wohl sehr gut leben, und vielleicht tauschten sie auch ihr goldenes Geschmeide gegen andere Waren. Experten wie der Entdecker Yuri Leveratto schätzen, dass in Teyuna zu seiner Blütezeit tausende Menschen gelebt haben. Über ein steinernes Wegenetz war die verlorene Stadt mit anderen Siedlungen verbunden – und genau das führte vermutlich auch zu ihrem Untergang.
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Mysteriöse Krankheiten
Um das Jahr 1600 verschwanden plötzlich die Spuren der Tayrona aus Teyuna, was genauso mysteriös war wie ihr Auftauchen in Kolumbien Jahrhunderte früher – bis heute weiß niemand sicher, woher dieses Volk überhaupt stammte. Von den Spaniern immer tiefer in den Dschungel verfolgt, begannen sich Krankheiten in der einst blühenden Stadt auszubreiten, Krankheiten, die den Indianern zuvor völlig unbekannt gewesen waren – Wissenschaftler schätzen heute, es habe sich dabei um die Pocken und Syphilis gehandelt. Das stolze Volk der Tayrona wurde durch die Goldgier und die Krankheiten des weißen Mannes dahin gerafft, und die verlorene Stadt versank bis 1976 im Vergessen des kolumbianischen Urwaldes.
Fast 500 Jahre nach der Entdeckung Südamerikas wiederholte sich die Geschichte dann noch einmal auf grausame Weise: Zwei verfeindete Banden von Schatzjägern erreichten auf ihrer von Goldgier getriebenen Jagd Teyuna fast gleichzeitig und schändeten die Gräber, stahlen Schätze von unwiederbringlichem historischen Wert. Doch jeder wollte die Reichtümer für sich, und so starben schließlich in einer bewaffneten Konfrontation einige der „Glücksritter“. Cadavid und sein Expeditionsteam waren also zwar die ersten, die den Standort von Teyuna bekannt gaben – aber jedoch leider nicht wirklich die ersten, die die verlorene Stadt nach dem Verschwinden der Ureinwohner betreten hatten.
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Drogenhändler und bewaffnete Milizen
Und selbst nach der Entdeckung gingen die Raubzüge noch einige Jahre unvermindert weiter: Skrupellose Geschäftsleute vermieteten Expeditionsausrüstungen an wagemutige Guaqueros (Schatzsucher), und diese verkauften ihnen im Austausch die Kunstschätze, die sie der verlorenen Stadt unrechtmäßig entrissen. Und noch eine zweite Plage kam wie die Pocken über die Dschungelstadt: Drogenhändler begannen, den entlegenen Regenwald für die Herstellung von Marihuana und Kokain zu nutzen, außerdem streiften damals auch bewaffnete Milizen durch die Region – noch im Jahr 2003 wurden hier acht Touristen entführt.
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Nur für Hartgesottene
Heute ist Teyuna, die verlorene Stadt, trotz allem zu einer Besucherattraktion geworden. Von 1976 bis 1982 rekonstruierte das Nationale Institut für Anthropologie große Teile der Terrassen und Ruinen, und immer mehr Neugierige wollten die verlorene Stadt sehen, das Erbe der mysteriösen Tayrona, die über 600 Jahre die Region um das heutige Santa Marta beherrscht hatten, und die dann so plötzlich verschwanden.
Immerhin, wer Teyuna wirklich besuchen möchte, muss auch heute noch einen Gewaltmarsch von mehreren Tagen auf sich nehmen, vorbei an messerscharfen Felsgraden und reißenden Flüssen, umschwirrt von riesigen Moskitoschwärmen. Das ist der Tribut den man zahlen muss, um die verlorene Stadt zu betreten.
Ein Besucher hat seine Eindrücke von der Tour durch den Dschungel und der Ciudad Pedida in einem Youtube-Video zusammengefasst: