29. Juni 2017, 15:40 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Die Fahrradwege sind leer gefegt, die unzähligen Seen nicht überfüllt. In der Uckermark hat man Zeit für sich. Künstlern und Kreativen gefällt das schon länger. Aber wie fühlt sich Urlaub in einer der verlassensten Gegenden Deutschlands an?
Wer in Berlin wohnt, vergisst oft, dass außerhalb der Stadt auch noch etwas ist. Brandenburg zum Beispiel. Und dort: die Uckermark. Rund 80 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt erstreckt sich eine der am dünnsten besiedelten Regionen Deutschlands.
Mehr als 500 Seen, Moore und Flussläufe gibt es in der Uckermark. Fernsehköchin Sarah Wiener lebt hier, Model Eva Padberg auch. Die Uckermark, ein Sehnsuchtsort?
Bus, S-Bahn, Regionalzug: Fast drei Stunden dauert es, bis ich von Berlin aus in Lychen in der nordwestlichen Uckermark bin. Das Städtchen hat 3600 Einwohner. Dass ohne Auto oder Fahrrad in der Uckermark alles ziemlich lange dauert, wird sofort klar. Noch sieben Kilometer sind es von Lychen bis in den Ortsteil Rutenberg. Dort liegt meine Ferienwohnung.
Die Großstadt mitten auf dem Land
Im Café „Kunstpause“, idyllisch an einem Hang gelegen mit Sitzplätzen in einem weitläufigen Garten, frage ich nach dem Weg. Hier gibt es glutenfreien Kuchen und Cappuccino mit Sojamilch, die Gewohnheiten der Großstädter sind längst auf dem Land angekommen. Mit Laptop oder Smartphone sitzt allerdings niemand am Tisch. Im Garten bin ich ganz alleine. Vogelgezwitscher statt WLAN-Netz. Nach Rutenberg laufe man am besten durch den Wald, sagt die Frau hinterm Tresen.
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Als ich den Waldweg suche, hält plötzlich ein sehr alter VW-Bus neben mir. „Soll ich Sie mitnehmen bis Rutenberg?“, ruft mir ein Mann mit schwarzer Hornbrille und breiten Koteletten zu. Conny Wimmer erzählt, er habe im Café mitbekommen, wo ich hinwolle. Er komme aus München und habe mit seiner Frau vor fünf Jahren ein Haus in Lychen gekauft. „Hier gibt’s noch Freiraum, keine Zäune“, sagt er. Inzwischen hätten sich die Preise aber verdreifacht. Finden würde man auch nichts mehr. „Es gibt ja kaum was, man muss warten, bis einer wegstirbt¡“ sagt der 64-Jährige.
Als ich aussteige, bittet Wimmer mich, „den Martin“ schön zu grüßen, ich wolle ja sicher zum „Rehof“. Man hilft sich nicht nur in der Uckermark. Man kennt sich auch. Martin Hansen, 58, und Marieken Verheyen, 62, haben das Pfarrhaus in Rutenberg und die dazugehörigen Gebäude zu Ferienwohnungen und einer Sauna umgebaut. Der Filmemacher und die Künstlerin lebten lange in Amsterdam, 2015 eröffneten sie den „Rehof“.
„Unsere Kühe sind schöner als unsere Frauen“
„Man weiß, ob man hier leben kann, wenn man den ersten Winter übersteht“, sagt Hansen. Über die Sommermonate sind die Wohnungen fast alle ausgebucht. Man spreche da wohl etwas an in den Leuten. „Ich lasse die Stadt hinter mir und fange etwas Neues an, mit diesem Gedanken laufen viele rum.“ Hansen und Verheyen verkörpern ihn. Die Wohnungen sehen aus wie aus einem Lifestyle-Magazin. Ausgewählte Möbel, Designerlampen, weiße Wände zwischen Holzbalken. Nur die Geräusche des Traktors, die durch die offenen Dachfenster zu hören sind, machen klar, dass dies keine Wohnung in Berlin-Mitte ist.
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Auf einem Spaziergang durch das 220-Seelen-Dorf fühle ich mich erst wie ein Eindringling. Außer mir ist niemand auf der Straße, in den Gärten sitzen alte Männer in weißen Unterhemden, fast alle haben einen Hund im Vorgarten. An einem Eingangstor hängt ein Schild, auf dem steht: „Unsere Kühe sind schöner als unsere Frauen“. Doch die wenigen Bewohner, mit denen ich Blickkontakt habe, lächeln mich an.
In Rutenberg seien die Leute Touristen und Zugezogene gewohnt, sagt Martina Busch, die Handweberin ist und einen eigenen Laden in Lychen hat. Sie stammt aus der Uckermark und kam nach ein paar Jahren in Aachen zurück. „Es ist noch nicht zu Ende entwickelt hier, noch nicht alles umgegraben“, sagt sie. Die Region werde aber oft verklärt. „Die Landschaft ist so schön, aber die Leute hier haben kein einfaches Leben.“ Viele müssten pendeln, um Geld zu verdienen, die Einkommen seien niedrig, die Infrastruktur schlecht.
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Programm in der Uckermark
Das Paradoxe ist: Die Besucherzahlen nehmen seit Jahren zu, während die Anwohner seit der Wende stetig wegzogen. Erst seit 2014 steigen die Einwohnerzahlen wieder leicht. Doch ein Boom ist das nicht.
Was unternimmt man in der Uckermark? Intuitives Bogenschießen, Kanutouren, ein Ausflug auf einen Straußenhof oder zu einem Lyrikhaus zum Beispiel. In Rutenberg wirbt eine Frau mit Kräuterspaziergängen. Dazu kommen unzählige Strecken für Fahrradtouren. Die Wege habe ich fast immer für mich allein. Wer schwimmen will, findet fast überall einen See – und immer Platz. Alles ist weit, alles ist still. Die meisten Gegenden sind Naturschutzgebiete.
Vermutlich ist genau das der Reiz der Uckermark: Nichts will einen betören. Das Handynetz ist ein Witz, viele Busse muss man einen Tag vor der Abfahrt bestellen. Außer sich zu bewegen, bleibt einem: kochen, schlafen, lesen. Es sind genau jene Dinge, die in einer Großstadt als Allererstes zu kurz kommen.
Mit Material von dpa