4. Juni 2015, 16:27 Uhr | Lesezeit: 12 Minuten
Er kommt einfach nicht aus den Schlagzeilen: der Berliner Großflughafen, dessen Eröffnung nach wie vor in den Sternen steht. Doch der Airport ist nicht die einzige Pleite, die Berlin zu verbuchen hat. Die Geschichte der Hauptstadt ist geprägt von Flops und Luftnummern – und manchmal hat dieses Scheitern ganz besondere, einzigartige Orte hervorgebracht. TRAVELBOOK über die schönsten Pleiten der Hauptstadt.
In wohl keiner anderen Stadt führen große Projekte so zielsicher in die große Pleite wie in Berlin, versickern Träume mit den Millionen, verlieren sich Visionen im Kleinkarierten. Doch wie immer, wenn etwas schief läuft, kann man daraus eine ganze Menge lernen. In diesem Fall: über die deutsche Hauptstadt und ihre Bewohner. Denn das Scheitern gehört mittlerweile zu Berlin wie die Currywurst und der Fernsehturm.
Wer die Stadt kennenlernen will, sollte um die Pleite-Orte also keinen Bogen machen – im Gegenteil: Denn die Geschichten, die sie zu erzählen haben, sind nicht nur spannend, sondern oft auch ziemlich amüsant. Folgen Sie uns auf eine unterhaltsame Tour an die schönsten Pleite-Orte der Stadt.
Die verhinderte Weltausstellung
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts träumten die Berliner davon, eine Weltausstellung auszurichten, so wie es Paris und London zu der Zeit abwechselnd taten. Doch der Kaiser lehnte das Vorhaben ab. Er fand es zu teuer und Berlin zu klein. „Ausstellung is nich“, ließ er verlauten. Die Berliner indes gaben ihren Traum nicht so einfach auf. Kurzerhand erklärten sie die nächste lokale Gewerbeschau im Jahr 1896 inoffiziell zur Weltausstellung und motzten sie dementsprechend auf.
Auf dem Ausstellungsgelände im Treptower Park wurde ein See angelegt und neben Pavillons für 3800 Aussteller sogar eine Pyramide aufgebaut – für die Sonderausstellung „Kairo“. Und zunächst war es tatsächlich ein großes Spektakel, gar das Ereignis der Saison. Allerdings: Über die Grenzen hinaus sorgte die Ausstellung nicht für Aufsehen, hatte man das, was dort geboten wurde, alles doch schon mal woanders gesehen. Und gerechnet hat sie sich auch nicht: Denn an 120 von 165 Ausstellungstagen regnete es – und die Massen blieben fern.
Anreise: Das Riesenfernrohr der Archenhold-Sternwarte ist das Einzige, was von der Verhinderten Weltausstellung von 1896 noch zu sehen ist. Die Sternwarte liegt inmitten des Treptower Parks, etwa gegenüber der Gaststätte Zenner/Eierschale, erreichbar mit der S-Bahn S 8, S 9 bis Bf. Plänterwald oder S41, S42 bis Treptower Park. Busse 166, 265, 365: Haltestelle Alt-Treptow.
Der Schwerbelastungskörper
Er ist 14 Meter hoch, 21 Meter im Durchmesser und in erster Linie hässlich. Doch was ihn ausmacht, sieht man nicht: Es ist das Gewicht. 12.650 Tonnen wiegt der Betonzylinder. Mehr als der Eiffelturm in Paris, die Freiheitsstatue New Yorks und der Jesus von Rio zusammen genommen – und genauso viel wie der Triumphbogen allein, den sich Adolf Hitler mitten in seine Welthauptstadt setzen wollte. Der Koloss in Tempelhof sollte einst testen, ob der Märkische Sand solche schweren Bauten überhaupt trägt (wobei er tiefer im Boden versank, als er dafür durfte) – und ist ein dreiviertel Jahrhundert später fast das Einzige, was übrig geblieben war vom Größenwahn Germania.
Noch bis 1977 führte die Deutsche Gesellschaft für Bodenmechanik (Degebo) hier Messversuche durch, danach nur noch ihre Sommerfeste. Mit den Jahren verwilderte das Gelände, wuchsen Birken auf Beton. Erst 2007 tat sich was auf dem Gelände: Die Außenhaut des Zylinders wurde saniert, ein Aussichtsturm mit Plattform nebenan gestellt und ein Infohäuschen gebaut. Die Belastung indes wird am „Schwerbelastungskörper”, wie der Koloss nun umständlich heißt, nur noch in Euro gemessen. 160.000 Euro sollten die Umbauten am Betonpilz ursprünglich kosten. Doch dann war es doch fast eine Million geworden, genauer: 999.227 Euro, wie der Bund der Steuerzahler in seinem Schwarzbuch notierte.
Anreise: Der Schwerbelastungskörper liegt in Tempelhof, erreichbar über die S 1 bis Julius-Leber-Brücke, dann Fußmarsch von ca. 15 Minuten.
Die kürzeste U-Bahn-Linie der Welt
Das Ende kommt schneller als erwartet. Nur drei Minuten dauert die Fahrt vom Hauptbahnhof zum Brandenburger Tor. Dabei überwindet der Zug 25 Höhenmeter, legt einen Zwischenstopp am Bundestag ein und insgesamt knapp zwei Kilometer zurück. Im August 2009 wurde die U55 in Betrieb genommen: 80 Jahre nach den ersten Planungen und 15 Jahre nach dem Spatenstich von Kanzler Kohl (was ihr den Spitznamen Kanzler-U-Bahn bescherte). Das lange Warten und die Mühen haben sich gelohnt, hat Berlin mit der Bahn doch wieder diverse Superlative geschaffen: Die U55 ist nicht nur die kürzeste U-Bahn-Strecke Deutschlands, sondern auch die langwierigste, aufwändigste und umstrittenste.
Doch nicht genug: Die Geschichte der Berliner Kanzler-U-Bahn ist mit der U55 noch lange nicht zu Ende. Es ist erst der Anfang – denn, wie man dann doch irgendwann beschloss: Die Linie soll länger werden, bis zum Alexanderplatz soll man mit ihr fahren können. Also werden nun zwei Kilometer Tunnel gebuddelt, ein U-Bahn-Kreuz unter der Friedrichstraße und zwei weitere Stationen gebaut. 433 Millionen Euro soll das Ganze kosten und spätestens 2020 fertig sein. Wird der Termin nicht eingehalten, kann der Bund übrigens Gelder von Berlin zurückverlangen. Es bleibt also spannend.
Anreise: Die U55 verkehrt vom Hauptbahnhof aus. Für die Fahrt reicht eine Kurzstrecke, Ticket 1,50 Euro. Sehenswert ist vor allem die Haltestelle am Brandenburger Tor, denn hier gibt es sogar eine kleine Ausstellung zur Berliner Mauer.
Streitobjekt Hauptbahnhof
Kaum hatten die Bauarbeiten am neuen Berliner Hauptbahnhof 1995 begonnen, da gerieten sie auch schon ins Stocken. Als 1999 auch noch Grundwasser in die Gruben drang, verschob man die für 2002 geplante Eröffnung vorsorglich in weite Ferne, nämlich auf das Jahr 2006. Doch dann bekam Deutschland im Jahr darauf den Zuschlag für die Fifa-Fußball-Weltmeisterschaft, womit klar war: Zur WM im Sommer 2006 mussten im neuen Hauptbahnhof die Züge rollen.
Bei der Deutschen Bahn, nicht unbedingt bekannt dafür, Verspätungen zu vermeiden, wird das für reichlich Panik gesorgt haben, vor allem beim neuen Vorstandsvorsitzenden Hartmut Mehdorn. Der wollte nun offenbar überhaupt keine Zeit mehr verlieren und machte sich ohne Rücksprache mit dem Architekten an dessen Plänen zu schaffen. Er verkürzte das 430 Meter lange Dach auf 320 Meter und ersetzte das geschwungene Gewölbe im Untergeschoss durch eine gewöhnliche Flachdecke – ohne Rücksicht auf Proportionen und Raumgefühl. Damit wurde allerdings weder Zeit noch Geld gespart, dafür der Grundstein gelegt für einen Jahre langen Streit mit dem Architekten Manfred von Gerkan. Auf der Einweihung des Gebäudes im Jahr 2006 kam Gerkan denn auch nicht zu Wort. Dafür immer wieder vor Gericht – wo man sich 2008 sogar überraschend auf einen Vergleich einigte.
Die schöne Sigi und der Kreisel
„Die schöne Sigi“ wurde sie genannt. Dabei war Sigrid Kressmann-Zschach mindestens ebenso clever wie attraktiv – kaum 40, galt die gebürtige Leipzigerin schon als erfolgreichste Bauunternehmerin Europas. Als Kressmann-Zschach dann Mitte der 1960er durch Insiderkontakte erfuhr, dass in Steglitz eine U-Bahn-Kreuzung entstehen sollte, sicherte sie sich kurzerhand die Eigentumsrechte an dem Gelände, sodass der Senat, als er tatsächlich bauen wollte, nicht an ihr vorbeikam. Ein Einkaufszentrum mit Bürohochhaus schwebte der Diplomingenieurin über dem U-Bahn-Kreuz vor – es sollte das höchste und schönste Gebäude der Stadt werden, ein neues Wahrzeichen im Süden Westberlins.
1969 billigte der Senat das Projekt, das 180 Millionen Mark kosten sollte. Doch der Finanzierungsbedarf fiel dann weit höher aus. 323 Millionen, so wurde 1973 geschätzt, sollte der Riese verschlingen. Woher das Geld kommen sollte, blieb fraglich. Denn bisher wollte sich niemand in dem 119 Meter hohen und auch nicht sehr attraktiven Gebäude einmieten – bis auf die Bezirksverwaltung Steglitz, der es im Rathaus gegenüber langsam zu eng wurde. Im April 1974 mussten die Arbeiten gestoppt werden und die Firma von Kressmann-Zschach Konkurs anmelden. Statt eines großartigen Kreiselneubaus präsentierte die Bauherrin der Stadt, wie sie selbst gestand „die größte Insolvenz (…) die es in Berlin nach dem Krieg gegeben hat“.
Derzeit wird der Kreisel asbest-saniert, im Untergeschoss sind die Geschäfte jedoch geöffnet. Aber zum Einkaufen geht man ohnehin lieber in „Das Schloss”, die Mall liegt direkt schräg gegenüber. Anreise: mit der U-Bahn bis Steglitzer Rathaus.
Der Traum von Olympia
Die Mauer war kaum gefallen, da beschloss der Senat des wiedervereinigten Berlins im Oktober 1990, dass man sich um die Olympischen Spiele im Jahr 2000 bewerben wolle. Einen gewaltigen Investitions- und Wohnungsbauschub erhoffte sich der Regierende Bürgermeister Walter Momper durch Olympia – sowie Einnahmen von knapp vier Milliarden Mark. Nur hatte der Senat die Rechnung ohne die Berliner gemacht. Nach ersten Umfragen waren zwei Drittel der Leute gegen die Spiele in ihrer Stadt, die doch zu der Zeit schon genug andere Probleme zu meistern hatte.
Der Widerstand nahm bald konkrete Formen an. Es gab einen Brandanschlag in der Planungsfirma, die für die Olympia GmbH tätig war, Brandsätze bei Hertie und im Kadewe, Morddrohungen gegen IOC-Mitglieder und Demos sowieso. Zusätzlich unterlief auch den Bewerbern selbst der eine oder andere sehr große Fehler – und so wunderte es nicht, als am Tag der Entscheidung nur magere neun von insgesamt 88 Stimmen für Berlin gezählt wurden. Weniger hatte nur Istanbul. Der Rest ist Geschichte: Die Olympischen Spiele fanden im Jahr 2000 in Sydney statt.
Doch auch wenn Olympia nicht in die Hauptstadt kam, so erinnert doch das eine oder andere Gebäude noch an die Bewerbung: das Velodrom mit der benachbarten Schwimm- und Sprunghalle in der Landsberger Allee sowie die Max-Schmeling-Halle am Mauerpark (erreichbar etwa über die U2 Eberswalder Straße oder Schönhauser Allee).
Ein Vergnügungspark im Dornröschenschlaf
Es war im Jahr 1969, als sich die Hauptstadt der DDR zu ihrem 20. Geburtstag das schönste Geschenk selbst machte: den Vergnügungspark im Plänterwald. Für den VEB Kulturpark hatte man im nicht-sozialistischen Ausland für schwindelerregende 20 Millionen Valuta-Einheiten Karussells gekauft und spätestens nach dem DEFA-Kinderfilm „Spuk unterm Riesenrad“ aus dem Jahr 1979, in dem drei Gespenster aus der Geisterbahn auf einem fliegenden Staubsauger Richtung Harz türmten, kannte in der DDR den „Kulti“ jedes Kind. Als die Mauer fiel, erging es ihm dann wie so vielen anderen Betrieben in der DDR: Er wurde geschlossen, der Rummel verrammelt.
Doch es dauerte nicht lange, da brachte das Ehepaar Pia und Norbert Witte, Schausteller aus Westdeutschland, wieder Schwung in den Spreepark, wie der Vergnügungspark nun hieß. Es wurde abgerissen und aufgebaut, der Aufschwung Ost nahm vorbildhaft Gestalt an. Doch das Geschäft mit den Fahrgeschäften fuhr nicht genug ein. Im November 2001 verließen Herr und Frau Witte von einem Tag auf den nächsten den Plänterwald Richtung Peru – und nahmen nicht nur ihre fünf Kinder und den Kakadu mit, sondern auch sechs der Fahrgeschäfte.
Was sie da ließen und sich irgendwie wegtragen ließ, wurde in den folgenden Jahren von Einbrechern gemopst. Was stehen blieb, konnten sich die Berliner in den letzten Jahren jeweils am Wochenende auf Führungen anschauen: Dinosaurier liegen geköpft im Gras, Achterbahngleise führen nutzlos ins Nichts, Karussells sind zu Skeletten gemagert. An keinem anderen Ort scheiterte Berlin schöner.
Inzwischen hat die Stadt den Park zurückgekauft und plant hier jetzt einen Freizeitpark im kleineren Stil. Führungen über das Gelände sind nicht mehr möglich, aber entlang des Zauns kann man spazieren gehen und hier und das auf das Areal blicken.
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Viel Zirkus um ein Zelt
Was macht man als junge Frau Anfang der 80er-Jahre in Berlin mit 800.000 geerbten D-Mark? Irene Moessinger tat Folgendes: Sie kaufte sich ein Zirkuszelt, stellte es auf den Potsdamer Platz und sich am ersten Tag gleich selbst in die Manege – als Tierdompteurin von Hausschwein Oskar. Das Tempodrom, wie Irene ihren Zirkus nannte, fand schnell viele Freunde, das Zelt wurde zur Heimat von Anarchisten und Alternativen. 1985 zog man in den Tiergarten neben die Kongresshalle. „In den Zelten“ wurde der neue Standort genannt. Es traten unter anderem auf: Nick Cave, Nina Hagen, Die Ärzte, Bob Dylan, der Dalai Lama.
Doch nach der Wende sollte dort das Bundeskanzleramt hin und der Zirkus natürlich weg. Irene Moessinger, bei der über die Jahre das Bedürfnis nach Sesshaftigkeit und einem richtigen Dach über dem Kopf gewachsen war, wollte sich mit dem Standort auch vom Zelt verabschieden. Am Anhalter Bahnhof sollte richtig gebaut werden, mit Beton statt Planen. „Es ist ein 40-Millionen-Projekt, was ziemlich preiswert ist, mit der Kalkulation sind wir spitze“, erklärte Moessinger im Februar 2001 einem Journalisten. „Wenn das neue Tempodrom erst mal steht, werden alle sagen: Das kann doch gar nicht sein, dass das so wenig gekostet hat.“
Tatsächlich sollte es am Ende ein 40-Millionen-Projekt werden, allerdings in Euro, und nicht in D-Mark, die zum Zeitpunkt des Interviews noch galt. So hoch wie der Finanzierungsbedarf, so gering waren die Einnahmen nach der Eröffnung: Am 30. März 2004 entließ der Senat das Tempodrom in die Insolvenz.
Sie wollen mehr über Berlins Pleiten erfahren? Die Autorin dieses Artikels hat ein ganzes Buch darüber geschrieben: „Ach du dickes B! Eine Berliner Pleitengeschichte” von Cornelia Tomerius erschien im Berlin Verlag, 208 Seiten, 12,99 Euro.