11. Dezember 2020, 11:39 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Die Panamericana gilt mit rund 25.000 Kilometern als die längste Schnellstraße der Welt. Sie verläuft zwischen Nord- und Südamerika, verbindet die beiden Subkontinente aber nicht durchgehend. Denn zwischen Panama und Kolumbien gibt es eine Lücke, das sogenannte Darién Gap – ein gefährliches Urwaldgebiet. Nur wenige Touristen haben es bislang geschafft, das Gebiet zu durchqueren.
Die Panamericana, die Alaska mit Feuerland verbindet, hat eine 100 Kilometer lange Lücke. Dort befindet sich ein Schutzgebiet, das mit seiner teils unerforschten Tier- und Pflanzenwelt zum Unesco-Welterbe zählt und zahlreiche Gefahren birgt. Denn in dem Urwaldgebiet kommen nicht nur giftige Schlangen, Skorpione und Frösche vor, sondern auch Krankheiten wie Malaria und Cholera. Außerdem wird das Gebiet von Drogenschmugglern und bewaffneten Paramilitärs kontrolliert.
Darién Gap – die undurchdringliche grüne Mauer
Im Darién, einer Provinz Panamas im Grenzgebiet zu Kolumbien, endet der asphaltierte Teil der Panamericana – und geht in eine Sandpiste über. Im Dschungel, hinter dem kleinen Ort Yaviza, hört die Straße dann endgültig auf.
Auf Spanisch wird die Lücke „Tapón del Darién“ („Darién-Hindernis“) genannt. Hier bildet der Regenwald eine grüne Mauer, die man besser nicht durchdringen sollte. Denn das Darién Gap ist eine der gefährlichsten Gegenden der Welt.
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Lange galt eine Wanderung durch dieses Urwaldgebiet als Tabu, ein schwedischer Rucksacktourist wurde bei seinem Versuch, das Gebiet zu durchqueren, exekutiert, wie der „New Zealand Herald“ berichtet. Die FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia), eine linke, kolumbianische Guerillabewegung, hatte ihn für einen amerikanischen Spion gehalten und getötet. Erst 2017, nachdem die kolumbianische Regierung einen Waffenstillstand mit der FARC vereinbart hatte, schien ein Trip durch das Darién Gap nicht mehr ganz unmöglich zu sein.
Drogenschmuggler und Minen
In der Grenzregion haben Militär und Polizei nicht viel zu sagen. Hier herrscht der Clan del Golfo, der aus rechtsgerichteten Paramilitärs hervorgegangen ist. Sie schmuggeln Kokain und wollen dabei ungestört bleiben. Seit Kurzem arbeitet der Clan mit seinen alten Feinden, Teilen der FARC, zusammen – und bildet so eine der mächtigsten Verbrecherorganisationen der Welt. Nördlich der Grenze, in Panama, agiert die Grenztruppe Senafront.
Im Wald sollen sich außerdem bewaffnete FARC-Mitglieder, die sich nicht an den mit der Regierung geschlossenen Friedensvertrag halten, verstecken, berichtet das Onlinemagazin „Telepolis“. Im Kampf gegen die Regierungstruppen sollen diese großflächige Teile des Gebiets vermint haben. Durch Regen werden die Minen oft in die Flüsse gespült – und bedeuten bei einer Wanderung durch das Urwaldgebiet eine zusätzliche Gefahr. Denn man muss oftmals durch Flüsse laufen.
Trotz aller Gefahren versuchen sich immer mehr Abenteurer an der Challenge, das Darién Gap zu durchqueren. Doch nur wenige schaffen es. Die meisten müssen aufgeben und wieder kehrtmachen, weil der Pfad der Schmuggler immer undeutlicher wird – und schließlich gar nicht mehr zu erkennen ist.
Wanderung durch das Darién Gap – die Geschichte eines Abenteurers
Einer, der versucht hat, das Darién Gap zu durchqueren, ist der deutsche Politikwissenschaftler Malte Schostak. TRAVELBOOK-Autorin Sonja Koller erzählte er von seiner Wanderung durch das Urwaldgebiet im Jahr 2018 – und den Gefahren: „Wegen der Benutzung durch Schmuggler werden die Pfade im Darién nicht markiert und auch nicht gepflegt. Die meiste Zeit läuft man im Fluss. Dadurch gibt es eine große Gefahr, sich zu verirren. Auch die Flüsse im Gebiet sind nicht ungefährlich und werden angeblich bei stärkeren Regenfällen in Minuten so reißend, dass sie Reisende einfach davonschwemmen können.“ Schlangen, Skorpione und andere giftige Tiere erschweren die Wanderung zudem.
Malte entschied sich für einen Weg durch das Darién Gap, der so fest unter Kontrolle des Clan del Golfo ist, dass dort nicht mit FARC-Truppen zu rechnen war. So hoffte er, zumindest den gefährlichen FARC-Kämpfern wie auch den Minen zu entgehen. Als Startpunkt wählte er einen Badeort an der Karibikküste Kolumbiens aus, wo Touristen nicht ungewöhnlich sind. Da die Mitglieder des Clans nicht gern sehen, wenn jemand das Gebiet durchwandert und Malte nicht riskieren wollte, im Dschungel aufgehalten, erpresst oder gefangen genommen zu werden, schlich er sich früh morgens in den Wald und hoffte, dass sein Verschwinden nicht auffallen würde. Nachteil dabei: Einen ortskundigen Führer konnte er so nicht mitnehmen.
„Auf dem Rückweg in den Hügeln wäre ich dann fast verdurstet“
Weil er ohne Führer unterwegs war, verlief er sich dreimal. „Beim dritten Versuch bin ich dann ohne Pfad nach dem Kompass durch den Wald laufend an einem Steilhang ausgerutscht und habe mir den Meniskus gerissen. Das ist schon weit in Panama passiert, eigentlich hatte ich es schon fast auf die andere Seite des Gaps geschafft. Ich bin dann mit notdürftig geschientem Bein rausgehumpelt. Aber auf dem bekannteren Weg wieder nach Kolumbien zurück. Auf dem Rückweg in den Hügeln wäre ich dann fast verdurstet, da die Flüsse immer 500 Meter unter mir verliefen und die Steilwände mit dem Bein unüberwindlich waren. Letztendlich bin ich dann eine der Wände mehr heruntergefallen als geklettert, um an Wasser zu kommen“, erzählt Malte.
Doch der Horror-Trip war damit noch nicht vorbei: Malte war noch fünf Tage unterwegs, bis er es in ein Krankenhaus schaffte. Eine Nacht musste er auf einem Stein in einem reißenden Fluss verbringen und konnte nur hoffen, dass der Wasserstand nicht stieg. Nach seiner Expedition verbrachte er in Panamas Nachbarland Costa Rica einen ganzen Monat im Krankenhaus. Auch musste Malte um seine Finger bangen. „Bei der Kletterpartie habe ich mir offenbar an den Dschungelpflanzen Mikrorisse zugezogen. Diese haben sich dann durch den Dschungeldreck beim Kriechen so entzündet, dass vier Finger nacheinander auf Bratwurstgröße angeschwollen sind,“ erzählt Malte. Doch aufgeben wollte er trotzdem nicht.
Neuer Versuch mit Gehstöcken
Malte wollte das Darién Gap unbedingt durchqueren und versuchte es vier Wochen später mit Gehstöcken und einem Filmteam aus Deutschland erneut. Das Team von „Uncovered“ hatte genug Geld dabei, um mit dem Clan del Golfo eine sichere Durchreise zu verhandeln. So hatten sie gleich mehrere Männer des Kartells als Führer dabei und keine Probleme mehr, den Weg zu finden. Komplikationen gab es aber trotzdem.
Das Filmteam hatte die Einreise nach Panama bei der Senafront angemeldet. Diese hatte die Durchquerung samt Dreharbeiten erst genehmigt, dann jedoch kurzfristig wieder verboten. Trotzdem entschied sich die Gruppe dazu, die Expedition zu versuchen. Aber: „Durch die Anmeldung war es der Senafront ein leichtes, uns im Flussbett abzupassen. Ich glaube, unsere Führer hatten uns zusätzlich noch verpetzt und doppelt verdient. Und weil die Durchquerung dann eben doch nicht mehr legal war, wurden wir aus dem Dariéngebiet ausgewiesen,“ berichtet Malte weiter. Der Abenteurer versuchte es danach noch einmal, aber auch dieser Versuch scheiterte.
Streng genommen hat Malte das Darién Gap also noch nicht durchquert. Von Kolumbien ist er durch den Wald zwar weit über die Grenze nach Panama gekommen, wurde dort aber von der Senafront an die Küste gebracht und mit einem Boot zurückgeschickt. „Zur kompletten Durchquerung zu Fuß fehlen mir noch circa fünf leichte Tage. Die will ich im Sommer nachholen“, sagt er zu TRAVELBOOK.
Das Fernsehteam rund um Thilo Mischke probierte es nach dem gescheiterten Versuch noch einmal – diesmal mit Erfolg. Mithilfe des Stammes der Kuna schaffte es das Team von „Uncovered“ schließlich als erstes deutsches Fernsehteam, das Darién Gap zu durchqueren.
„Wir sind in vier Tagen vielleicht 40 Kilometer gelaufen, meine Füße sind wund, mein Bauch vor Hunger flach. Laut meiner Smartwatch habe ich jeden Tag knapp 4000 Kalorien verbrannt. Meine Unterlippe ist zerbissen, mein Körper übersät von Tausenden Mückenstichen“, berichtete Thilo Mischke „Focus“ über „das härteste Abenteuer seines Lebens“.
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Wird die Lücke in der Panamericana jemals geschlossen?
Die Panamericana ist bereits fast 100 Jahre alt. 1923 beschlossen 17 amerikanische Länder den Bau des Schnellstraßensystems. Sie verläuft über den gesamten amerikanischen Kontinent von Alaska im Norden bis nach Feuerland im Süden – bis auf eben diese eine, rund 100 Kilometer lange Unterbrechung. Wann die Lücke geschlossen werden soll, ist unklar. Denn sie erschwert den Drogenhandel, schützt die Urwaldstämme vor Seuchen. Außerdem würde ein Ausbau teuer werden. Um die Sumpflandschaft zu überwinden, müssten diverse Brücken errichtet werden.
Die Panamericana in der Atacama-Wüste in Chile
Foto: Getty Images
Wer also von Panama nach Kolumbien reisen und nicht durchs Darién Gap wandern will, dem bleiben bis dato nur zwei Möglichkeiten: Die sicherste Option ist ein Flug, die zweite ein Umweg über das Meer. Eine Segeltour vorbei an den paradiesischen San-Blas-Inseln bringt Reisende auf dem Seeweg von Panama nach Kolumbien oder umgekehrt. Die Tour dauert je nach Anbieter fünf bis sechs Tage und startet bzw. endet entweder im kolumbianischen Cartagena oder in Portobelo oder Puerto Lindo in Panama. Die Touren kosten durchschnittlich etwa 460 Euro. Allerdings kursieren im Internet Geschichten über betrunkene Kapitäne, kleine Fischerboote und schlechte Wetterverhältnisse, die die Expedition erschweren.