4. Dezember 2020, 6:18 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
1978 wird das Dorf Geamăna von der Landkarte ausradiert, um für eine Kupfermine Platz zu machen. Der Ort ist heute einer der vergiftetsten im ganzen Land, immer noch wird hier gefährlicher Abfall deponiert. Trotzdem leben dort noch Menschen.
Die Fotos wirken auf den ersten Blick surreal und wunderschön. Wie sich der gelbe Boden durch die Landschaft zieht oder der See in verschiedenen Farben schimmert. Bei vielen zuckt da bestimmt schon der Finger am Auslöser, um Bilder für die Social-Media-Accounts zu schießen. Doch das sollte niemand machen – denn dieser Ort ist extrem gefährlich.
Es ist das Jahr 1978, als über die Bewohner des kleinen rumänischen Dorfes Geamăna die Apokalypse hereinbricht: Im fernen Bukarest hat der Diktator Nicolae Ceaușescu beschlossen, dass der Ort verschwinden muss, denn ganz in der Nähe wurde ein gewaltiges Kupfervorkommen entdeckt — und dieses will der Despot ausbeuten.
Wie die britische „Daily Mail” berichtet, informiert man die Bewohner von Geamăna kurzfristig darüber, dass ihr Dorf verschwinden müsse, um dem Fortschritt Platz zu machen. Jedem der Betroffenen verspricht man als Entschädigung umgerechnet 1300 Euro – eine für die dort lebenden Menschen gewaltige Summe, die sie dazu bewegen soll, ihre Heimat aufzugeben. Viele Familien leben dort bereits seit Generationen. Und nicht alle nehmen das Angebot an…
Eine der größten Umweltkatastrophen in Europa
Eigentlich kommt das, was in Geamăna passiert, einer Zwangsräumung nahe, und schon kurze Zeit später lässt Ceaușescu das gesamte Tal, in dem sich der Ort befindet, fluten. Fast alle Häuser versinken zum Großteil, nur beispielsweise der Kirchturm des Ortes ragt auch heute noch wie ein Mahnmal aus dem Wasser. Was dann passiert, ist wohl eine der größten Umweltkatastrophen der europäischen Geschichte: Die zahlreichen Giftstoffe, die beim Abbau von Kupfer entstehen, werden direkt in den künstlichen See geleitet, der Geamăna unter sich begraben hat.
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Die hoch-toxischen Abbauprodukte machen Geamăna auch heute noch zum wohl gefährlichsten Ort in Rumänien, haben das Wasser des Sees auf bizarre Weise gefärbt. Was auf den Betrachter auf den ersten Blick sogar faszinierend wirken kann, ist in Wahrheit Zeugnis eines unglaublichen Dramas.
Noch immer leben Menschen in Geamăna
Für den Diktator lohnt sich das Geschäft: Die Mine, für die Geamăna geopfert wurde, produziert zu ihren Hochzeiten bis zu 11.000 Tonnen Kupfer im Jahr, ist zeitweise sogar die größte ihrer Art in Europa. Die Einwohner dagegen werden ihrer Heimat beraubt und betrogen. Das Versprechen, Gräber ihrer Ahnen zu verlegen, hält die Regierung laut „Daily Mail“ nicht ein, noch heute liegen die Toten in den giftigen Wassern. Zudem werden die Menschen teils nicht wie versprochen an einen nur sieben Kilometer entfernten Ort umgesiedelt, sondern 100 Kilometer weiter.
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Damals widersetzen sich etwa 20 Menschen der Anordnung der Regierung, die Heimat aufzugeben. Ihre Häuser liegen so hoch, dass sie 1978 von der Überflutung von Geamăna nicht betroffen sind. Und noch immer leben sie hier, weil sie ihr Zuhause einfach nicht verlassen wollen. Abgeschnitten von jeder Infrastruktur harren sie aus und warten auf den Tag, an dem auch sie werden aufgeben müssen. Denn noch immer werden in den künstlichen See, der einst Geamăna verschlang, giftige Abwässer eingeleitet. Der Wasserpegel steigt jedes Jahr um etwa einen Meter.