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Im Südpazifik

Einstiges Atombombentestgebiet! Was wurde aus dem Mururoa-Atoll?

Mururoa
Das Mururoa-Atoll ist kein Südseeparadies, sondern eine Militärbasis. Dieses Foto wurde bereits 1995 aufgenommen. Foto: picture alliance/AP Photo | Francois Mori
Robin Hartmann Autorenkopf
Freier Autor

24. Oktober 2023, 5:57 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

30 Jahre lang missbrauchte Frankreich die beiden Inseln Mururoa und Fangataufa für Atombombentests. Was für die „Grande Nation“ eine Demonstration ihrer vermeintlichen Stärke war, wurde für die Menschen in Französisch-Polynesien zur Katastrophe. Ihr Leid dauert bis heute an.

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Der Juli 1966 war ein schicksalsträchtiger Monat in der Weltgeschichte. Er war gerade einen Tag alt, als Frankreich seinen Austritt aus dem internationalen Verteidigungsbündnis Nato bekannt gab. Nur 24 Stunden später, am 2. Juli 1966, zündete die selbsternannte „Grande Nation“ auf der Insel Mururoa in Französisch-Polynesien eine Atombombe. Es war der erste von insgesamt 193 atomaren Tests, die Frankreich innerhalb von 30 Jahren bis 1996 auf Mururoa und Fangataufa durchführte.  

Laut „Spiegel“ begründete der damalige Präsident Charles de Gaulle die Atombomben-Abwürfe damit, dass Frankreich international stark sein müsse. Man wollte sich unabhängig machen von den USA, denen man mangelnde „Einsatzfreude“ im Zweiten Weltkrieg vorwarf, und daher fortan misstraute. Bereits ab 1960 hatten die ersten französischen Atombomben-Tests stattgefunden, und zwar in der Sahara, auf dem Gebiet der damaligen Kolonie Algerien. Als diese allerdings bis 1962 ihre Unabhängigkeit erkämpfte, brauchte man ein neues Testgebiet.

Fatale Perspektive

Mururoa
Schreckliche Macht: Frankreich testete auf Mururoa und Fangataufa 30 Jahre lang Atombomben Foto: Getty Images

Man fand es, 20 000 Kilometer entfernt von Frankreich, und damit auch weit genug vom Interesse der Weltöffentlichkeit. Mururoa und Fangataufa waren aufgrund ihrer geologischen Bedingungen unbewohnt, die „Nachbarinseln“ hunderte Kilometer entfernt. Laut dem 1991 erschienenen Buch „Radioactive Heaven and Earth“ gab es im Umkreis von 1000 Kilometern zudem nur 5000 mögliche Betroffene. Vermeintlich ideale Bedingungen also, um sowohl ober- als auch unterirdisch Atombomben zur Explosion zu bringen.

Bernd Franke, wissenschaftlicher Direktor und Gründungsmitglied des Institutes für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg, der sich intensiv mit den Auswirkungen der Atombombentests der USA auf den Marshall-Inseln beschäftigt hat, sagt dazu auf TRAVELBOOK-Anfrage: „Damit befand sich Frankreich in ‚guter Gesellschaft‘ mit anderen Nationen, die in gleicher Manier Aufrüstung zu Lasten der betroffenen Bevölkerung betrieben haben.“ Das Land war scheinbar so euphorisiert von seiner eigenen Großmannssucht, dass es mögliche Folgen ignorierte.

Dies zeigte sich bereits nach dem ersten Test. Über Mangareva, einer 400 Kilometer von Mururoa entfernten Insel, ging noch am selben Tag bei Regen eine Fallout-Wolke nieder. Man hatte ganz einfach die Windsituation nicht bedacht. Skrupellos: Viele Polynesier wurden von den Franzosen als Hilfsarbeiter missbraucht, wobei sie selbst in der Arbeit an und mit den Atomtests wohl eine Perspektive zu ihrem häufig ärmlichen Leben als Fischer sahen. Wie ein Zeitzeuge dem „Deutschlandfunk“ erzählte, konnte man als Angestellter der Experimentierbasis auf Mururoa bis zu dem Achtfachen des sonst üblichen Lohns verdienen.

Weltweite Auswirkungen

Auf Mururoa gab es sogar eine Art Retortenstadt, wo Mitarbeiter des Programms während der Zeit der Bomben-Abwürfe lebten und zahlreiche Annehmlichkeiten genossen. Sie konnten zum Beispiel ins Kino gehen oder Sport treiben. Dafür ließ man die Polynesier dann nach Explosionen den angefallenen radioaktiven Abfall beseitigen, ohne ihnen entsprechende Schutzkleidung zu geben. Diesen lagerte man dann an der Nordküste des Atolls auf einer etwa 30.000 Quadratmeter großen Halde. Auch sei es völlig normal gewesen, in der Lagune zu baden, in der einige der Atomtests durchgeführt wurden.

Die Folgen des französischen Wahnsinns waren laut „Spiegel“ weltweit spürbar. Bis nach Südamerika wurde im Wasser radioaktiver Fallout nachgewiesen. In neuseeländischer Milch stellte man hohe Dosen des radioaktiven Elements Jod fest. Australien fertigte in den 1970er-Jahren als Reaktion keinerlei französische Schiffe mehr ab, denn zeitweise galt sogar der Hafen von Adelaide als verseucht.

1974 kam es auf der von Mururoa 1200 Kilometer entfernten Insel Tahiti zwei Tage lang zu radioaktiven Regenfällen, woraufhin die Belastung mit Plutonium den zulässigen Grenzwert um das 500-fache überschritt. Noch heute erkranken Menschen in Polynesien überproportional häufig an Krebs. Am 25. Juli 1979 schließlich kam es im Zuge einer missglückten Sprengung zu einem unterirdischen Erdrutsch und einer anschließenden Tsunami-Welle. Dabei wurden zahlreiche Menschen verletzt, Frankreich gab erst sechs Jahre später seine Schuld daran zu. „Das waren menschenverachtende, zivilisationsfeindliche Anwendungen“, sagt Bernd Franke. „Dafür gibt es keine moralische Rechtfertigung.“

Massiv erhöhte Krebsraten

Skurril: Die Tests brachten Polynesien, das flächenmäßig so groß ist wie Europa, zumindest wirtschaftlich einen Aufschwung. Laut „Deutschlandfunk“ stieg die Bevölkerungszahl des Inselstaates bis 1996 um mehr als das Doppelte auf 220.000 Einwohner. 10.000 Polynesier arbeiteten demnach mit den Franzosen an den Atombombentests. Frankreich selbst reagierte empfindlich auf Kritik an seinem Waffenprogramm, dessen Folgen man laut Zeitzeugen zumindest zu vertuschen versuchte.

So sprengte der französische Geheimdienst 1985 im Hafen von Auckland das Greenpeace-Schiff „Rainbow Warrior“, wobei ein Fotograf ertrank – die Umweltschützer hatten vehement gegen die Atomtests protestiert. 1992 wurde das Atomprogramm zwar vorerst auf Eis gelegt, jedoch schon drei Jahre später vom damaligen Präsidenten Chirac „wiederbelebt“. Der Protest der Weltöffentlichkeit war aber diesmal derart massiv, dass nach sechs Tests das Programm 1996 endgültig eingestellt wurde. Präsident Chirac verkündete, Frankreich verfüge nun über eine „zuverlässige und moderne Verteidigung“. Der Preis: Eine signifikant erhöhte Rate an Leukämie und Schilddrüsenkrebs unter Polynesiern. Ein Jahr zuvor hatte man einen Anti-Atom-Protest auf Tahiti, der in gewaltsame Ausschreitungen ausgeartet war, auch mithilfe von französischer Polizei niederschlagen lassen.

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Kaum ein Opfer wird entschädigt

Mururoa
Zutritt verboten – auf Mururoa stehen heute nur noch Ruinen Foto: Getty Images

Die gesundheitlichen Auswirkungen auf die Betroffenen wurden von Frankreich lange verschwiegen. Viele Leute verstarben in dieser Zeit an den Folgen der Verstrahlung. Eine Initiative, die auf das Schicksal der Opfer aufmerksam machen will, ist zum Beispiel die seit 2001 aktive Gruppe „Moruroa e Tatou“. Auch deren Einsatz ist es zu verdanken, dass 2010 ein Gesetz zur Opferentschädigung verabschiedet wurde. Allerdings haben (Stand 2021) lediglich 454 Personen, darunter nur 63 Ortsansässige, Entschädigungen erhalten. Mehr als 80 Prozent der Ansprüche seien laut „The Guardian“ abgewiesen worden.

Laut „Spiegel“ sorgte dafür auch eine ziemlich willkürliche Auslegung des Gesetzes. Schilddrüsenkrebs etwa wird demnach nur bei Ausbruch der Krankheit in jungen Jahren anerkannt. Das alles stärkt den Verdacht, dass Frankreich an der Aufarbeitung seiner schmutzigen Vergangenheit nicht wirklich interessiert ist. Franke sagt: „Die Amerikaner hatten ja bereits vorgemacht, wie man solche Dinge unter den Teppich kehrt.“

Noch heute vermutet man etwa 15 Kilogramm Plutonium in der Lagune vor Mururoa. Dass es jedes Jahr weniger wird, ist aber kein gutes Zeichen, denn das radioaktive Material wird wohl einfach über unterirdische Erdspalten mit dem Wasser ins Meer gewaschen. Viele dieser Erdspalten seien laut Studien, die das Buch „Atomic Heaven and Earth“ zitiert, vermutlich durch die zahlreichen unterirdischen Sprengungen überhaupt erst entstanden. Demnach gelangten zumindest zeitweise etwa 20 Gigabecquerel radioaktives Plutonium-239 pro Jahr über die Lagune in den Ozean. Dieses habe sich dann auch in der Nahrungskette angereichert:  So kam es in einem untersuchten Zeitraum von 1960 bis 1984 zu einem dramatischen Anstieg von Fällen von Fischvergiftung, wobei die durchschnittlichen Werte im Südpazifik teils um mehr als das hundertfache überschritten wurden.

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Verstrahlt noch in 100 000 Jahren

Bereits 1998 kam eine Studie der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) zu dem Ergebnis, die Strahlung auf Mururoa und Fangataufa sei gering, und auch in Zukunft sei daher nicht mit einer größeren Belastung zu rechnen. Obwohl laut „Neue Zürcher Zeitung“ damals auch französische Wissenschaftler an der Studie mitarbeiteten, wurde dem Gremium Unabhängigkeit bestätigt. Dass dabei aber weder die Umweltbelastung noch die Gefährdung der Arbeiter untersucht wurde, könnte man durchaus als Beihilfe für Frankreich werten, unliebsame Wahrheiten nicht zu sehr ins Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit zu ziehen.

Ein pikantes Detail der Studie: Noch in etwa 100.000 Jahren wird demnach über die Lagune von Mururoa radioaktives Plutonium in die Umwelt gelangen. Dann aber wird längst niemand mehr leben, der sich an das Verbrechen Frankreichs erinnern kann.

Themen Frankreich
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