30. Dezember 2021, 11:37 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Die peruanische Bergbaustadt La Oroya ist durch den Metallabbau derart verseucht, dass die Lebenserwartung der Menschen hier bei gerade einmal 40 Jahren liegt. Bereits Neugeborene kommen mit lebensgefährlichen Blutwerten zur Welt. Dennoch wollen viele Menschen die Industrie behalten…
Es sind Zahlen, die fassungslos machen. Und die erklären, warum die Stadt La Oroya manchmal auch als „Tschernobyl von Peru“ bezeichnet wird. 90 Prozent aller Kinder, die in La Oroya leben, haben einen dramatisch erhöhten Gehalt des gefährlichen Schwermetalls Blei in ihrem Blut. Sogar bei Neugeborenen und Kindern im Mutterleib wurden bereits überhöhte Werte festgestellt, wie Medien wie z. B. die Zeitung „La Vanguardia” berichten.
Es ist die Luft zum Atmen, die die Menschen von La Oroya krank macht und dafür sorgt, dass die durchschnittliche Lebenserwartung hier bei gerade einmal 40 Jahren liegt. Sie enthält unter anderem 85-mal so viel Arsen wie erlaubt. Die zulässigen Höchstwerte für Kadmium werden 41-fach, die für Blei 13-fach überschritten. Die Gifte, die die Menschen töten, sind eine Folge ihrer Lebensgrundlage.
La Oroya in den Top 10 der verseuchtesten Orte
Denn La Oroya ist eine Bergbaustadt in einem Land, in dem 60 Prozent aller Exporte aus diesem Sektor kommen. Hier werden unter anderem Silber, Kupfer, Zinn, Nickel, Bauxit, Mangan, Eisenerz und Gold abgebaut. Das allein wäre noch nicht so gefährlich, aber 1922 entstand in La Oroya eine Schmelzhütte, in der viele dieser Metalle noch bis 2009 weiterverarbeitet wurden. Dabei entstanden giftige Nebenprodukte, die in die Luft gelangten, die die Menschen dann meist ungefiltert und zumindest früher auch ahnungslos einatmen.
Auch interessant: Verstrahltes Osjorsk – die gefährlichste Stadt der Welt
La Oroya wurde deshalb von der US-Umweltorganisation „Pure Earth” (ehemals Blacksmith Institute) als einer der 10 verseuchtesten Orte auf der Welt betitelt. Übrigens: Die Schmelzhütte des Ortes wurde lange Zeit von der Firma Doe Run betrieben, die ihren Hauptsitz im US-Bundesstaat Missouri hat. Seit 2009 befindet sich zumindest die Firma in einem Konkursverfahren. Sie bekam keine Kredite mehr, da sie die vom peruanischen Staat zumindest etwas erhöhten Umweltstandards nicht erfüllen konnte.
Dramatische Erkrankungen
Die Folgen der Verschmutzung sind für die Einwohner immer noch verheerend. Atemwegs- und Verdauungsprobleme, verzögertes Wachstum sowie erhebliche Lern- und Gedächtnisschwächen bei Kindern, Mangelernährung, um nur einige zu nennen. Zudem vermeldete das Magazin „América Economía” unlängst, dass die Schmelzhütte wohl bald verkauft werden könnte. Und anschließend möglicherweise wieder eröffnet.
Tatsächlich wünschen sich das hier trotz all der Verschmutzung nicht wenige Menschen. Denn in der „Metallurgischen Hauptstadt von Peru”, wie La Oroya aufgrund seiner Industrie auch genannt wird, gibt es keine anderen nennenswerten Einnahmequellen. 2015 gab es hier sogar gewaltsame Proteste, die Schmelzhütte wiederzueröffnen und die Umweltstandards zu senken. Dazu muss man wissen: Bevor der peruanische Staat der Produktion in La Oroya entsprechende Maßregeln auferlegte, war die Situation hier sogar noch schlimmer. Damals lag die Quote von Kindern mit dramatisch erhöhten Blei-Werten im Blut bei 99 Prozent.
Picher in Oklahoma Diese Geisterstadt ist der giftigste Ort der USA
Nur wenige Besucher kommen hierher Choquequirao – die unbekannte Schwesternstadt von Machu Picchu
Nicoya in Costa Rica Das Geheimnis des Ortes, an dem die Menschen besonders lange leben
Noch auf Jahrhunderte vergiftet
Bereits in den Jahren 2007 und 2008 kam es vor Gericht zu Prozessen von Menschen, die gegen die Gefährdung ihres Lebens durch die Industrie vor Ort klagten. Wie eine Untersuchung der US-Universität Yale ergab, wurden die Kläger aber nicht etwa unterstützt, sondern von anderen Menschen, die um ihren Arbeitsplatz fürchteten, beschimpft und sogar bedroht. Die Studie gibt auch einen Einblick, wie Patienten offensichtlich bewusst über die Auswirkungen der Schwermetalle in der Luft getäuscht wurden.
Ihre Atemprobleme würden schlicht durch die Höhe verursacht, sagte man ihnen demnach zum Beispiel. La Oroya liegt auf 3750 Metern über dem Meeresspiegel. Weiter hieß es, Schwefeldioxid beeinflusse die Gesundheit nicht, und Blei sei nur dann schädlich, wenn man unter Mangelernährung litte. Doch selbst wenn von heute auf morgen sämtliche Industrie in La Oroya schließen müsste: Laut der peruanischen Zeitung „Diario Correo” haben diverse Studien ergeben, dass die Verseuchung der Luft mit Blei wohl noch über Jahrhunderte anhalten wird.