12. November 2024, 6:39 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Umgeben von hohen Zäunen, Stacheldraht und gesichert auf Sicherheitsstufe 4 wirkt die Insel Riems im Greifswalder Bodden wie eine abgeschottete Gefängnisinsel. Doch hinter der imposanten, 235 Meter langen Klinkerfassade – der längsten in Norddeutschland – werden keine Schwerverbrecher vom Rest der Welt abgeschirmt, sondern Viren! Was verbirgt sich hinter der mysteriösen Ostseeinsel Riems?
Um auf die Insel Riems zu gelangen, braucht es zunächst eine offizielle Genehmigung. Danach führt der Weg durch mehrere Sicherheitsschleusen, in denen man sich vollständig entkleiden und desinfizieren muss. Zu guter Letzt folgt dann das Einkleiden in einen Spezialanzug, der an eine Raumfahrtmission erinnert. Auch der Rückweg ist natürlich streng geregelt: Wer die Anlage verlassen möchte, muss sich einer akribischen Waschung unterziehen. Diese folgt einem exakten Zeitplan – eine Minute Wasser, eine Minute Seife, dann erneut zwei Minuten Wasser. Dabei müssen sowohl die Haare gewaschen, als auch die Fingernägel sorgfältig gereinigt werden. Warum all diese strengen Maßnahmen?
Übersicht
Virusforschung sorgte für schwere Krankheitswellen
Auf der Insel Riems im Greifswalder Bodden darf absolut nichts nach außen dringen. Wirklich rein gar nichts, nicht mal das kleinste Partikel. Deshalb gibt es meterhohe Zäune, einen Stacheldraht und die strengen Sicherheitsvorkehrungen. Grund dafür sind gefährliche Viren und Bakterien, welche hier gezüchtet und erforscht werden. Denn auf der Ostseeinsel Riems existiert die weltweit älteste Virusforschungseinrichtung.
Vor über 100 Jahren erhielt Friedrich Loeffler den Auftrag, die Maul- und Klauenseuche intensiver zu erforschen. Der Schüler von Robert Koch nahm den Auftrag an und nutze hierfür zunächst einen einfachen Stall, der sich mitten in der Stadt befand. Seine Experimente führten damals schnell zu bahnbrechenden Erkenntnissen. Er fand heraus, dass nicht wie bisher angenommen Bakterien die Ursache der Krankheit waren, sondern eine bis dahin unbekannte Art winziger Organismen. So war Loeffler der erste, der die Existenz von Viren entdeckte und als Erreger von Krankheiten identifizierte. Doch seine Arbeit hatte eine erhebliche Nebenwirkung: Im Greifswalder Umland löste seine Forschung nämlich immer wieder schwere Krankheitswellen unter Rindern und Schweinen aus.
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Riems war das weltweit erste Forschungsinstitut
Während Loeffler sich also dem Kampf gegen die Krankheit widmete, erreichte er zunächst das Gegenteil und infizierte durch seine Untersuchungen unbeabsichtigt ganze Herden mit der Krankheit, die er doch eigentlich aus der Welt schaffen wollte. Eine Lösung musste her und so zog Loefflers Institut schließlich auf eine Insel – und ist bis heute dort geblieben. Glücklicherweise lag die Insel Riems nämlich direkt vor der Stadt. Stolze 1250 Meter lang, 300 Meter breit und ausgestattet mit allem, was eine Ostseeinsel so ausmacht. Ab 1926 sorgte zudem eine Seilbahn für den Materialtransport zwischen der Insel und dem Festland. Auf Riems gründete Loeffler im Jahr 1910 das weltweit erste Virusforschungsinstitut, welches heute als das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit bekannt ist.
Bis heute zählt das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) zu den wenigen Laboren Deutschlands mit der höchsten Sicherheitsstufe (S4). Diese erfordert, dass alle Forschungsräume unter Unterdruck stehen und die Zu- und Abluft doppelt gefiltert wird. Zudem wird das Abwasser auf 100 Grad erhitzt, bevor es durch die eigene Kläranlage des Instituts geleitet wird. Außerdem läuft hier ohne Schutzanzug so gut wie nichts – und das ist auch gut so! Denn bis heute bietet die Isolation der Insel Riems Sicherheit für das Vieh auf dem Festland.
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Die Nazis forschten hier zu Biowaffen
Unter Hitler wurde in den Laboren auf Riems an Biowaffen geforscht, in der DDR konzentrierte man sich auf Impfstoffe. Damals fanden hier rund 800 Menschen Arbeit. Anfang der 1970er-Jahre wurde die Insel über einen Damm mit dem Festland verbunden. Dadurch wurde Riems für mehr als 30 Jahre praktisch zur Halbinsel. Allerdings schnitt der 500 Meter lange Damm das Gristower Wieck vom Meer ab und führte so in der Bucht zu Sauerstoffmangel. Deshalb wurde der Damm im Herbst 2007 auf einer Länge von 30 Metern wieder geöffnet.
Um diese Viren geht es
Im darauffolgenden Jahr wurde dann auch die alte Anlage modernisiert. Der Riemser Forschungskomplex dient seit 1997 als Hauptsitz des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) und erfuhr in diesem Zuge eine umfassende Erweiterung. Der Bund investierte 300 Millionen Euro in neue Gebäudekomplexe. Dabei entstanden 89 Labore mit verschiedenen Sicherheitsstufen, sowie 163 Ställe für das Großvieh, welches zu Forschungszwecken angeschafft wurde. Das FLI konzentriert sich bis heute hauptsächlich auf die Erforschung von Tierseuchen. Darunter Krankheiten wie BSE, Maul- und Klauenseuche, Schweinepest und nicht zuletzt Zoonosen. Aber auch Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden und extrem gefährlich sind, werden hier unter die Lupe genommen. Beispiele hierfür sind Sars, Ebola, das Krim-Kongo-Hämorrhagische Fieber und sogar Covid-19.
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Wie bleiben die Viren im Labor?
Im Sommer 2013 weihte Angela Merkel höchstpersönlich die ersten Labore ein. Diese waren die ersten Hochsicherheits-Forschungslabore für Großtiere in Europa. Ähnliche Labore und Ställe gibt es sonst nur im kanadischen Winnipeg und dem australischen Geelong.
Neben dem aufwändigen Verfahren für die Kontrolle von ein- und ausgehenden Menschen gibt es auch andere Maßnahmen, um einen Ausbruch der Viren zu verhindern. Da wären beispielsweise die sogenannten Kill-Tanks, in denen das Abwasser so stark erhitzt wird, dass alle Keime abgetötet werden. Zudem gibt es im isolierten Kellergeschoss eine spezielle Anlage zur Entsorgung von Tierkörpern. Darin befinden sich riesige Metallkesseln, die mit Kaliumhydroxid gefüllten sind. In diesem Stoff können die Kadaver ganzer Tiere aufgelöst werden, sodass am Ende nur noch winzige Staubpartikel und Rückstände übrig bleiben.