21. Mai 2020, 6:11 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Die Insel Diego Garcia im Indischen Ozean ist seit Mitte der 60er-Jahre in der Hand des US-Militärs. Die Menschen, die dort vorher gelebt hatten, wurden mithilfe der britischen Regierung einfach im Geheimen vertrieben, oder zwangsumgesiedelt. Sie kämpfen bis heute um ihr Land und um Entschädigung.
Es ist der 30. Dezember 1966, als sich ranghohe US-amerikanische und britische Beamte unter strengster Geheimhaltung treffen, um ein Verbrechen zu verabreden, das bis heute ungesühnt ist: Amerika befindet sich zu dieser Zeit mitten im Kalten Krieg mit den Sowjets, und man ist besorgt, in dieser Situation keinerlei militärische Präsenz im Raum des Indischen Ozeans zu haben. Ein Problem, bei dem die Briten gerne bereit sind zu helfen, denn zufällig steht die Insel Diego Garcia im Chagos-Atoll südlich der Malediven unter ihrer Kontrolle.
Schnell steht ein dreckiger Deal: Die USA bezahlen 14 Millionen Dollar Schulden für die Briten, natürlich im Geheimen, und die „verpachten” dafür die Nutzungsrechte für Diego Garcia an die Amerikaner, damit diese dort eine Militärbasis bauen können. Jetzt gibt es nur noch ein Problem, wie das „International Forum on Globalization” beschreibt: Diego Garcia war bewohnt, hier lebten die Chagossianer, die sich selbst auch Ilois nennen. Sie sind Nachfahren von Plantagenarbeitern, die hier einst unter französischer Ägide gearbeitet hatten, bevor die Insel an Großbritannien fiel.
Die Bewohner wurden zwangsumgesiedelt
Das Pentagon formuliert nun ganz klar den Wunsch, „exklusive Kontrolle” über Diego Garcia zu erhalten, „ohne Einwohner”. Die Insel sollte vielmehr „gekehrt und gesäubert”, die „Tarzans”, wie die Einheimischen abfällig bezeichnet werden, entfernt werden – und die Briten erklärten sich im Ausgleich für ihre Schuldzahlungen gerne dazu bereit, die administrative Aufsicht dabei zu übernehmen, die „Einwohner umzusiedeln”.
Was nun folgt, ist ein Verbrechen, dass der US-Autor Daniel Smith in seinem Buch „Die 100 geheimsten Orte der Welt” beschreibt: Die Bewohner von Diego Garcia seien aufgrund ihrer Herkunft als Nachfahren von Plantagenarbeitern einfach als „Kontrakt-Arbeiter” eingestuft worden, die überhaupt kein offizielles Recht besäßen, sich auf der Insel aufzuhalten. „Von den Briten erfuhren sie, ihr Aufenthalt auf der Insel sei illegal, wenn sie keine Papiere vorlegen könnten, die ihr angestammtes Aufenthaltsrecht belegten. Natürlich gab es solche Papiere nicht. Die Briten begannen daraufhin mit der Umsiedelung, beziehungsweise Zwangsumsiedelung der Insulaner.”
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„Sie müssen auf jeden Fall verschwinden”
Besonders perfide: Die Plantagen der Einheimischen werden zwangsweise geschlossen, die für die Versorgung notwendigen Lieferungen mit Lebensmitteln und Arznei nicht mehr durchgelassen – die Menschen werden also quasi auf ihrem eigenen Grund und Boden ausgehungert, bis sie sich einer Umsiedlung nicht mehr widersetzen können. Man verfrachtet sie nach Mauritius oder auf die Seychellen, wo sie bis heute laut dem „International Forum on Globalization” in bitterster Armut leben.
Damit der amerikanische Kongress den Bauplänen für eine Militärbasis zustimmt, bezeichnet das US-Militär die Inseln von Chagos in Dokumenten für die Abgeordneten offiziell als unbewohnt – was sie im Zuge der Vertreibung bereits Anfang der 70er-Jahre de facto auch waren. Tatsächlich hatte man ganz heimlich, ohne dass die Weltöffentlichkeit davon Kenntnis nahm, bis zu 2000 Menschen ihrer Heimat beraubt. Elmo Zumwalt, 1971 der höchstrangige Navy-Admiral, verlor zum Schicksal der Chagossianer in einem Memorandum ganz drei Worte: „Absolutely must go” – sie müssen auf jeden Fall verschwinden. 1973 wurde der letzte Einheimische von seiner Heimatinsel vertrieben.
Klagen und schmutzige Tricks
Die Chagossianer begannen schon bald mit Protesten gegen die Maßnahmen, die ihnen ihr Land geraubt hatten, und tatsächlich wurden einige von ihnen, die mittlerweile auf Mauritius lebten, Jahre später mit einer minimalen Entschädigung abgespeist: kleine Häuser, ein Stück Land, 6000 Dollar Schmerzensgeld. Im Jahr 2000 erkannte der British High Court anhand einer 1997 eingereichten Klage an, die Landnahme sei in der Tat illegal gewesen – ein US-Gericht verwarf eine ähnliche Klage jedoch mit der Begründung, die Justiz könne sich nicht in militärische Belange und Außenpolitik einmischen.
Nachdem das höchste britische Gericht nach mehreren Instanzen gegen die Chagossianer entschieden hatte, versuchte die Britische Regierung sich des Problems endgültig zu entledigen: Man erklärte am 1. April 2010 das Chagos-Atoll kurzerhand zu einer maritimen Schutzzone, in der Fischfang und generell menschliche Aktivitäten fortan verboten bzw. zumindest stark eingeschränkt sein sollten – womit eventuellen Rückkehrern von vornherein die Lebensgrundlage genommen wurde.
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Hauptsache zurückkehren – egal wie
Das Portal WikiLeaks veröffentlichte zu dem Fall im Dezember 2010 ein Schreiben der US-Botschaft in London, in dem unter anderem steht: „Frühere Einwohner von Chagos würden es schwierig oder sogar unmöglich finden, ihre Ansprüche auf Wiederansiedlung weiterzuverfolgen, wenn das Gebiet eine maritime Schutzzone wäre.” US-Beamte stimmten zu: „Ein Marine-Reservat einzurichten könnte in der Tat der effektivste Weg sein, die früheren Bewohner von Chagos und ihre Nachfahren daran zu hindern, sich wieder dort ansiedeln zu wollen.” Sorgen machten sich die Amerikaner nur darum, wie es angesehen werden würde, wenn ausgerechnet in einem solchen Gebiet eine US-Militärbasis weiter betrieben würde. Für die militärischen Nutzungen ergäben sich dadurch keine Einschränkungen, wussten die Briten eilfertig zu beruhigen.
Tatsächlich wollen die Chagossianer nicht einmal, das die Militärbasis, die ihnen ihre Heimat genommen hat, verschwindet. Laut dem „International Forum on Globalization” können sich sogar viele von ihnen vorstellen, als Angestellte der Amerikaner auf ihre alte Insel zurückzukehren. Denn auch heute leben auf Diego Garcia bis zu 5000 Menschen, zum Beispiel arbeiten dort Menschen aus Mauritius oder den Malediven als Köche und Putzkräfte.
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Ein geheimes CIA-Labor
Auch wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2013 gegen die Vertriebenen entschied, entschied laut dem Buch „Die 100 geheimsten Orte der Welt” 2019 der Internationale Gerichtshof, die Vertreibung der Chagossianer sei rechtswidrig gewesen, die Inselgruppe müsse zurückgegeben werden. Doch sowohl Großbritannien als auch die USA wehren sich dagegen.
Von Diego Garcia aus wurden schon im 1. Golfkrieg Angriffe geflogen, auch auf Afghanistan, den Irak sowie in jüngerer Zeit den Islamischen Staat. 2008 gaben die USA auch zu, dass auf Diego Garcia die CIA Verhöre vorgenommen habe, ähnlich wie in dem berüchtigten Gefängnis Guantanamo Bay auf Kuba. Offizielle Aufzeichnungen darüber gebe es jedoch nicht mehr, teilten britische Offizielle auf Anfrage mit – die Dokumente seien sämtlich durch starke Unwetter und Regenfälle auf Diego Garcia im Juni 2014 vernichtet worden. Allerdings: Wetterdaten zeigen, dass der Juni 2014 ein ungewöhnlich trockener Monat auf Diego Garcia war…