Es war eine wissenschaftliche Sensation: 1991 entdeckten Archäologen bei einem Überflug des Ortes Pömmelte in Sachsen-Anhalt, unweit von Magdeburg, eine riesige Anlage, etwa 115 Meter groß im Durchmesser. Auswertungen der Luftbilder machten schnell klar, dass es sich hierbei um eine vorzeitliche Kultstätte handeln musste, ein Heiligtum, 4300 Jahre alt – das Ringheiligtum Pömmelte, wie der Ort heute genannt wird.
Nach ersten Ausgrabungen in den Jahren 2005 bis 2008 sowie im Januar 2020 folgte dann eine weitere verblüffende Erkenntnis: Die Kultstätte bestand keineswegs nur als solches, sondern war auch von einer für die damalige Zeit immens großen Siedlung umgeben, der „Spiegel” sprach gar von einer steinzeitlichen Mega-City. Harald Meller, Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt, sagt zu TRAVELBOOK: „Mit der heute als Ringheiligtum bekannten Anlage haben wir ein dem englischen Stonehenge ähnliches Rondell auf dem europäischen Kontinent entdeckt, deren Durchmesser mit dem englischen Pendant identisch ist und die aus der gleichen Zeit stammt.“
Tötungen und Menschenopfer
Anders als Stonehenge besteht das Ringheiligtum Pömmelte aber nicht aus Stein, sondern aus Holz, genauer gesagt tausenden von Holzpfählen, und auch die im Januar 2020 entdeckten Überreste der einst bis zu 30 Meter langen Häuser wurden aus diesem Material gefertigt. Die Funktion war laut Meller aber wohl eine ähnliche: „Das Ringheiligtum gibt Auskunft über die geistige Welt und gesellschaftliche Struktur am Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. Zwischen 2300 und 2000 v. Chr. nutzten die Menschen das Ringheiligtum von Pömmelte als Ritualort, feierten hier Feste und brachten den Göttern Opfer dar. Hiervon zeugen Opfergruben und rituelle Deponierungen, aber auch Bestattungen von auserwählten Personen der damaligen Gesellschaft innerhalb der Anlage.“
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Laut Meller sind aber Pömmelte und Stonehenge durchaus „verwandt“, denn sie wurden beide von Menschen der sogenannten Glockenbecherkultur erschaffen, benannt nach den charakteristisch geformten Tongefäßen, die man an beiden Orten zahlreich fand. In Pömmelte entdeckte man zudem Keramikgefäße, Mahlsteine, Steinbeile, Tier- und auch Menschenknochen, vor allem von Frauen und Kindern. „Anthropologische Untersuchungen zeigen Spuren massiver Gewalteinwirkungen an den menschlichen Überresten, die auf rituelle Tötungen bzw. Menschenopfer schließen lassen.“
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Eine der ersten festen Ansiedlungen der Geschichte
Auch in der Struktur sind Pömmelte und Stonehenge gleich, denn beide sind ringförmig angelegt, haben beide einen Durchmesser von etwa 115 Metern. Meller: „Die Erbauer von Pömmelte und Stonehenge gehörten derselben Kultur an, die sich in jener Zeit über den europäischen Kontinent und auf die Britischen Inseln ausdehnte. Dank moderner DNA-Analysen lässt sich nachweisen, dass im späten dritten Jahrtausend v. Chr. Menschen aus den Steppen des Ostens nach Mitteleuropa und bis auf die heutigen Britischen Inseln vordrangen.”
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Doch während Stonehenge überdauerte, wurde die Anlage bei Pömmelte in ihrer damaligen Form zerstört, wie Meller berichtet. Demnach machte man sie dem Erdboden gleich und verbrannte anschließend die hölzernen Teile der Anlage. Laut dem Archäologen könnte dies mit einem religiösen Wandel in der damaligen Gesellschaft zu tun haben, denn in der nur einen Kilometer entfernten, ebenfalls historischen Anlage von Schönebeck (ca 2200-1800 v.Chr.) wurden keinerlei Anzeichen für Rituale mit Menschenopfern mehr gefunden. Dennoch bleibt Pömmelte als eines der ersten nachweisbaren Beispiele fester menschlicher Ansiedlungen faszinierend. „Die Rituale, zumindest die für uns archäologisch nachweisbaren, verschwanden, aber die Idee, einen rituellen und geschützten Ort für eine Gemeinschaft zu haben, blieb.”
Wer möchte, kann die Anlage laut der offiziellen Webseite das ganze Jahr über besuchen, sie steht unter freiem Himmel, der Eintritt ist kostenlos.