
11. Juli 2014, 11:37 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Wer Fresken vor allem nach Italien verortet, wird im Grenzgebiet von Burkina Faso und Ghana eines Besseren belehrt. Denn hier leben die Kassena und diese sind bekannt dafür, dass sie ihre Häuser mit kunstvollen Malereien verzieren. Corbusier ließ sich davon angeblich schon inspirieren. Und heute? Vielleicht der eine oder andere Tattoo-Designer.
Wer nicht vorbereitet ist, dürfte seinen Augen kaum trauen: Streetart mitten in der afrikanischen Savanne? Hütten im All-Over-Tattoo? Oder haben wir es hier vielleicht mit der afrikanischen Version des Wettbewerbs „Unser Dorf soll schöner werden“ zu tun?
Nein, bei den verzierten Häusern im Grenzgebiet von Burkina Faso und Ghana handelt es sich um kein neuzeitliches Phänomen, sondern um ein sehr altes Kulturgut: Die Fresken an den Außenwänden sind typisch für die Kassena, die im 15. Jahrhundert hier erstmals siedelten und deren Zahl heute auf 250.000 geschätzt wird – 130.000 in Ghana, 120.000 in Burkina Faso.
Auch die Anlage selbst ist interessant, vereint ein Gehöft einer Kassena-Familie doch verschiedene Häusertypen: In den eckigen Häusern wohnen junge Männer und Ehepaare, in den Rundhäusern alte Paare und Kinder. Wird ein Junge erwachsen, baut er sich ein eigenes, eckiges Haus. Wird ein Mädchen erwachsen, zieht es in das Gehöft ihres Mannes. Stirbt ein Mann, wird sein Haus in der Regel nicht mehr ausgebessert – und der Regen sorgt dafür, dass es mit der Zeit verfällt.
Besonders beeindruckend sind die Häuser in Tiébélé, einem Ort mit 17.500 Einwohnern, von der Provinzhauptstadt Pô über eine Piste in etwa einer Stunde erreichbar: Denn hier befinden sich neben den üblichen Unterkünften für die Einheimischen auch die Gebäudekomplexe des Stammesoberhaupts, des Königs der Kassena.
Wer die Häuser von innen sehen möchte, kann sich vor Ort einen Führer nehmen und mit diesem sogar die königlichen Anlagen betreten. Das war nicht immer so: Jahrhundertelang lebten die Kassena isoliert. Doch langsam öffnet man sich dem Tourismus – nachdem man erkannt hat, dass man die Einnahmen daraus gut verwenden kann, um den einzigartigen Ort zu schützen.
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Regenschirm vom König verboten
Vor wenigen Jahren noch benötigten Reisende, die Tiébélé besuchen wollten, eine Menge Geduld. Bloggerin Olga Stavralos schreibt etwa, dass dem Besuch im Jahr 2009 jahrelange Verhandlungen vorausgegangen sind. Unter anderem wurde im Vorfeld geklärt, dass die Gäste doch bitte keine rote Kleidung tragen sollen und auch keinen Regenschirm mitführen – denn beides sind Privilegien der Herrscherfamilie.
Die Fresken an den königlichen Gebäuden sind im Vergleich zu den herkömmlichen Hütten natürlich besonders aufwendig und kunstvoll. Und was sie auch von den anderen Häusern unterscheidet: Der Eingang – bei den Häusern der Kassena ohnehin oft so niedrig, dass man ihn nur gebückt passieren kann – ist besonders winzig. Denn der Herrscher bedarf eines besonderen Schutzes. Und genau das ist der Grund für die Mini-Pforten: Feinde sollen es schwer haben, einzudringen.
Und auch die Malereien haben schützende Funktionen. Nicht vor menschlichen Feinden, sondern vor Wind, Wetter, Regen. Denn bevor die Verzierungen aufgetragen werden, kommt eine spezielle Masse aus Lehm und Kuhdung auf die Wand, was die Widerstandskraft der Wände gegen Nässe erhöht, das Haus hält länger.

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Was die Zeichnungen bedeuten
Manche der Zeichnungen haben tatsächlich eine Symbolik, andere dienen nur der Dekoration. So sollen etwa Hühnerspuren daran erinnern, dass das Huhn eines der wichtigsten Opfertiere der Kassena ist. Schildkröten wiederum sind das Totem der königlichen Familie. Fischernetze werden oft gezeichnet, weil der Fischfang die Kassena einst vor einer Hungersnot rettete. Und Kalebassenscheiben: weil die Kalebasse – das Gefäß, das aus einem ausgehöhlten und getrockneten Flaschenkürbis hergestellt wird – eine Kassena-Frau durch ihr ganzes Leben begleitet und auch nach ihrem Tod noch religiöse Funktionen hat.
Überhaupt erzählen die Bemalungen viel über das Leben der Frauen. Denn sie sind es, die für die Bemalung der Häuser zuständig sind. Ausgeführt wird sie übrigens nach einer sehr alten Methode, die auf das 16. Jahrhundert zurückgeht. Verwendet werden schwarze Farbe, die aus Grafitpulver und Wasser gemischt wird, sowie weiße Farbe, die mithilfe von Specksteinen gewonnen wird.
Wer einmal hinter derart verzierten Mauern schlafen möchte, checkt am besten in der Auberge Kunkolo ein, einem – wie Gäste im Internet beschreiben – sehr entspannten Ort. Allerdings könnte es sein, dass man es im Haus dann doch nicht aushält, weil es zu heiß ist. Dann weicht man einfach auf das Dach aus, Moskitonetze und Unterlagen werden zur Verfügung gestellt. Und wer Glück hat und vorsichtig fragt, darf vielleicht sogar auf der Terrasse des Königs übernachten.