9. November 2020, 7:11 Uhr | Lesezeit: 3 Minuten
Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges verübten Soldaten der deutschen Wehrmacht ein Massaker an den Einwohnern von Oradour-sur-Glane. Sie fielen in das Dorf ein und schlachteten fast sämtliche Menschen ab. Heute gilt der Ort als die wichtigste Gedenkstätte in Frankreich.
Es ist der 10. Juni 1944, als das Grauen über den kleinen französischen Ort Oradour-sur-Glane hereinbricht: 200 deutsche Soldaten der SS-Einheit „Das Reich“ marschieren nur vier Tage nach der Landung der Alliierten in der Normandie in das Dorf ein, treiben sämtliche Einwohner zusammen. Was dann passiert, ist von unvorstellbarer Grausamkeit.
Die Nazis versammeln die Einheimischen zunächst auf dem Dorfplatz, wie unter anderem „Encyclopedia Britannica” berichtet. Dann kündigen sie an, den Ort nach Sprengstoff durchsuchen zu wollen — immer wieder waren Einheiten der Deutschen in den Tagen zuvor von Widerstandskämpfern angegriffen und in Gefechte verwickelt worden. Die Männer werden daraufhin in Schaftställe gebracht, Frauen und Kinder in der Kirche eingesperrt.
Nur zehn Überlebende
Dann setzen die Nazis die Gebäude in Brand, werfen zusätzlich Dynamitstangen ins Feuer — jeder, der nicht in den Flammen verbrennt oder durch den Rauch erstickt, wird von Maschinengewehr-Feuer niedergemäht. Von den insgesamt 652 Einwohnern von Oradour-sur-Glane überleben nur zehn Menschen das Gemetzel, weil es ihnen gelingt, sich unter Haufen von toten Menschen zu verstecken, bzw. sich selbst tot zu stellen.
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Die Bilanz des Grauens: 642 Tote, davon 245 Frauen und 207 Kinder. Das Massaker von Oradour gilt damit bis heute als eines der schlimmsten Kriegsverbrechen der Nationalsozialisten an Zivilisten in der Geschichte des Zweiten Weltkrieges. Ein Überlebender sagte später dem „Guardian“: „Viele Dorfbewohner hatten vor dem Massaker noch nie einen Deutschen gesehen.“ Bevor die Nazis abziehen, legen sie im gesamten Ort Feuer.
Der Ort des Schreckens ist heute eine Gedenkstätte
Nach dem Sieg der Alliierten über Nazi-Deutschland verkündet der damalige Präsident Charles de Gaulle, die Ruinen von Oradour-sur-Glane mögen forthin und für immer als Gedenkstätte bestehen bleiben, und so ist es auch bis heute geblieben. Die jährlich etwa 300.000 Menschen, die das ausgelöschte Dorf besuchen, sehen die Überreste der eingestürzten Gebäude, auch das ausgebrannte und verrostete Wrack des Autos des damaligen Bürgermeisters des Ortes steht noch dort.
Oradour gilt als wichtigste Gedenkstätte Frankreichs, weswegen die Regierung jährlich 150.000 Euro investiert, um die Überreste des Ortes zu erhalten, – der dennoch immer weiter verfällt. In unmittelbarer Nähe wurde bereits nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges das „neue“ Oradour errichtet, in dem heute etwa 2500 Menschen leben. Die internationale Aufarbeitung der Geschichte dauert an, so war der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck laut „Guardian“ am 4. September 2013 der erste bedeutende deutsche Staatsmann überhaupt, der die Gedenkstätte besuchte, um dort einen Kranz niederzulegen.
Noch immer ungesühnt
Das Verbrechen an sich ist dagegen bis heute ungesühnt geblieben: Von den 200 an dem Massaker beteiligten Deutschen wurden 1953 gerade einmal 21 vor Gericht gestellt. Fünf von ihnen erhielten Gefängnisstrafen, zwei wurden hingerichtet. Die meisten Toten von Oradour-sur-Glane konnten niemals identifiziert werden, da ihre sterblichen Überreste bis zur Unkenntlichkeit verbrannt waren.