13. Juli 2023, 17:59 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
1819 entdeckte ein britischer Offizier zufällig einen der größten Kunstschätze der Menschheitsgeschichte. Die Höhlen von Ajanta beherbergen teilweise über tausend Jahre alte Wandmalereien. Doch die einzigartigen Werke sind heute stark bedroht.
Es ist der 29. April 1819, als der britische Kavallerie-Offizier John Smith unabsichtlich Geschichte schreibt. Nahe der indischen Stadt Aurangabad im heutigen Bundesstaat Maharashtra befindet er sich auf der Tiger-Jagd, als er durch Zufall eine wahrhaft sensationelle Entdeckung macht. Der Tiger, dem Smith auf der Spur ist, flüchtet über den Waghora-Fluss in den Schutz einer hufeisenförmigen Felswand. Als der Soldat ihm folgt, steht er auf einmal in einer der Höhlen von Ajanta.
Dass die Höhle menschengemacht ist, erkennt Smith sofort. 39 Säulen säumen den großen Raum, in dem sich außerdem eine betende Buddha-Figur befindet. Doch der wahre Schatz, wegen dem die Höhlen von Ajanta heute weltberühmt sind, sind die kunstvoll gearbeiteten Wandbilder, die den Raum bedecken. Sie zeigen zum Teil erotische Szenen aus dem Leben des Siddhartha Gautama, der später zu Buddha werden sollte. Was Smith soeben entdeckt hat, ist nicht weniger als die älteste erhaltene Darstellung buddhistischer Motive auf der ganzen Welt.
Seit über 1000 Jahren verlassen
Wie sich bei späteren Untersuchungen herausstellt, sind die insgesamt 30 Höhlen von Ajanta in zwei Phasen wohl zwischen dem 1. und 6. Jahrhundert nach Christus entstanden. In den Stein gehauen von den buddhistischen Mönchen, die die Tempelanlage mehrere hundert Jahre nutzten. Ebenso wird klar, dass die Höhlen seit weit über 1000 Jahren verlassen und vergessen waren – was den vergleichsweise guten Zustand, in dem sie sich befinden, noch erstaunlicher macht.
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1844 beauftragt die Königliche Asiatische Gesellschaft Großbritanniens den Major Robert Gill damit, Reproduktionen der Wandbilder in den Höhlen von Ajanta anzufertigen. Eine Aufgabe, der Gill mit fanatischem Eifer nachgeht. Und unter sehr schweren Bedingungen. Denn nicht nur hat der Mann mit der Hitze zu kämpfen, auch gibt es in der Gegend immer noch viele Tiger. Zu allem Überfluss gehört das Land, auf dem sich die Höhlen befinden, dem kriegerischen Stamm der Bhil, die jegliche Invasoren seit Jahrtausenden bekämpfen.
„Feinste Bildergalerie der antiken Welt“
Als Gills Bilder schließlich in London gezeigt werden, schockiert ihre Freizügigkeit die viktorianische Gesellschaft – und macht sie gerade dadurch zum Publikumsmagneten im Crystal Palace, wo sie gezeigt werden. 1966 kommt es jedoch zum Drama, als ein Brand 23 der insgesamt 27 Wandbilder vernichtet, die Gill so aufwendig reproduziert hat. Dieser verzweifelt jedoch nicht, sondern beginnt seine Arbeit einfach wieder von vorne.
Zu dieser Zeit befinden sich die Höhlen von Ajanta längst in Gefahr, denn ihre Wiederentdeckung zieht neben Archäologen auch immer mehr Plünderer an. Diese stehlen die kostbaren Wandbilder, die der „Guardian“ als nicht weniger als die „möglicherweise feinste Bildergalerie der antiken Welt“ bezeichnet. Eines der wenigen geraubten Bilder, die heute noch erhalten sind, wird 1924 für 1000 Britische Pfund bei Sotheby’s versteigert.
Plünderer und Vandalen
In der Folge werden die Bemühungen, die Schätze der Höhlen von Ajanta zu bewahren, immer intensiver. 1872 beginnt eine Gruppe um den Kunstprofessor John Griffiths mit insgesamt 300 Reproduktionen der Wandbilder. Ein Drittel davon verbrennt jedoch 1885 bei einem Feuer in Londons Imperial Institute. Zwischen 1930 und 1955 erscheinen dann insgesamt vier Bildbände des indischen Kunsthistorikers Ghulam Yazdani, der die Höhlen und ihre Bilder fotografiert hat.
Doch nicht nur Plünderer hinterließen ihre zerstörerischen Spuren in den Höhlen von Ajanta. Vielmehr ritzten immer wieder Menschen in die Wände und sogar Skulpturen der Tempel ihre Namen ein. Den Anstoß dafür hatte der Wieder-Entdecker John Smith persönlich gegeben. Nach seinem spektakulären Fund hatte er nichts Besseres zu tun, als seinen Namen und das Datum seiner Entdeckung in eine Buddha-Statue zu schneiden.
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Einer der größten Touri-Magnete Indiens
Derart angegriffen, befanden sich zur Jahrtausendwende mehrere der Höhlen von Ajanta in einem beklagenswerten Zustand. Umso schwerer wog das, da sie seit 1983 auf der Liste der Unesco-Welterbe stehen. Und längst zu einem der größten Touristenmagneten von ganz Indien geworden waren. Heute kommen pro Tag bis zu 5000 Menschen, um die ältesten Buddha-Darstellungen der Welt zu bewundern. Auch, weil sie wieder in neuem Glanz erstrahlen.
Zu verdanken ist dies einem aufwendigen Restaurationsverfahren, das bereits 1999 begann. Die wieder hergestellten Wandbilder sind derart kunstvoll, dass der Hype um die Höhlen von Ajanta noch zugenommen hat. So sehr, dass man 2013 vier Kilometer entfernt von dem eigentlichen Ort vier künstliche Höhlen anlegte, um die Besucherströme zumindest etwas abzubremsen. Diese Idee zahlte sich jedoch nicht aus.
Bedroht durch Mensch und Natur
Und so kommen auch heute noch jeden Tag massenhaft Touristen in die Höhlen von Ajanta, um eine der ältesten und schönsten Kunstgalerien der Menschheitsgeschichte zu bewundern. Der massive Overtourism setzt den einmaligen Wandgemälden dabei genauso zu wie die Natur. Durch die hohe Luftfeuchtigkeit setzen sich sowohl Algen, Mikroben als auch Pilze auf den Bildern fest, die ihnen schaden. Exkremente von Vögeln und Fledermäusen, die die Höhlen bewohnen, tun ihr Übriges.
Anders als Frankreich, das seine legendäre Höhle von Lascaux für Besucher schloss, um sie zu retten, macht der indische Staat zu einem ähnlichen Schritt bislang keinerlei Bemühungen. Zu groß ist der Wirtschaftsfaktor für die Region und ihre Menschen, denn rund um die Höhlen von Ajanta findet sich mittlerweile eine Art riesiger Freiluft-Basar, auf dem es alles Mögliche zu kaufen gibt. Und so bleibt die Zukunft von einem der wichtigsten Kunstschätze der Welt bis auf Weiteres offen.