25. November 2023, 6:28 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Einst war die usbekische Stadt Moʻynoq der größte und wichtigste Hafen der Fischereiflotte des Landes. Doch mit dem Austrocknen des Aralsees starb auch die gesamte Industrie. Die Boote, die einst täglich Tonnen von Fisch an Land brachten, verrotten längst in der unbarmherzigen Sonne. So entstand auch der Schiffsfriedhof von Moʻynoq als schauriges Wahrzeichen einer der größten jemals durch Menschen verursachten Umweltkatastrophen.
Im Westen von Usbekistan, etwa 1200 Kilometer entfernt von der Hauptstadt Taschkent, liegt mitten in der Wüste Aralkum die verlassene Stadt Moʻynoq. Die Sommer sind brütend heiß, die Winter unbarmherzig kalt, zudem ist die Krankheitsrate signifikant höher als im Rest des Landes. Und wohl kaum ein anderer Ort in dem riesigen Land steht so symbolisch für die beispiellose Umweltkatastrophe, die sich hier innerhalb der letzten Jahrzehnte ereignete. Das sichtbare Zeichen dieser Tragödie sind zahllose Boote auf dem Schiffsfriedhof von Moʻynoq , die langsam in der Sonne verrotten. Die gestrandeten Gerippe erzählen eine traurige Geschichte davon, was menschliche Gier anrichten kann.
Es mag heute kaum noch vorstellbar sein, doch einst war Moʻynoq eine prosperierende Hafenstadt. An den Ufern des Aralsees gelegen, war sie sogar nicht weniger als der größte und damit wichtigste Fischereihafen an dem gewaltigen Gewässer, das seinerseits einst das viertgrößte Binnenmeer auf der ganzen Welt war. Doch das Wasser ist schon lange verschwunden, heute liegt der Ort mitten im Inland, etwa 160 Kilometer entfernt von der Küste des Sees, wie unter anderem „Business Insider“ berichtet. Hatte er einst eine Fläche von 68.000 Quadratkilometern, ist davon heute nur noch etwa ein Zehntel übrig geblieben. Auf dem Schiffsfriedhof von Moʻynoq rosten seitdem nicht nur die Boote vor sich hin. Hier liegt auch die Zukunft einer ganzen Region begraben.
Einst eine blühende Hafenstadt
„Uzbek Travel“ zufolge arbeiteten noch vor wenigen Jahrzehnten in Moʻynoqs Fischindustrie etwa 10.000 Menschen. Täglich zogen sie Tonnen von Fisch aus dem Aralsee, der auch vor Ort in den zahlreichen Fabriken gleich verarbeitet und konserviert wurde. Als 1921 in Russland eine verheerende Hungersnot wütete, halfen die Fischer der Aralflotte mit einer Lieferung von 21.000 Tonnen Fisch innerhalb weniger Tage. Zu dieser Zeit konnte noch niemand hier ahnen, dass sie nur wenige Jahrzehnte später selbst auf Hilfe angewiesen sein würden. Und dass ihre einst so stolzen Boote dann auf dem Schiffsfriedhof von Moʻynoq verenden sollten.
Die Umweltkatastrophe, die den Aralsee in die jüngste Wüste der Welt verwandelte und die Stadt Moʻynoq zum Untergang verdammte, nahm ihren Lauf ab den 50er Jahren. Damals beschloss die sowjetische Regierung Usbekistans, den Anbau von Reis und Baumwolle südlich des Aralsees massiv voranzutreiben. Da beides Pflanzen sind, die zum Wachsen enorm viel Wasser benötigen, entschied man sich zu einem dramatischen Schritt. Gewaltige Wassermassen aus den wichtigsten Zuflüssen des Aralsees, vor allem dem Syrdarja und dem Amudarja, ließ man fortan einfach umleiten. Schon bald begann der Wasserspiegel des viertgrößten Sees der Welt in der Folge drastisch zu sinken.
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Salzig, verseucht, unfruchtbar
Als das Wasser begann, sich zurückzuziehen, folgten ihm die Fischer von Moʻynoq und anderen Orten rund um den Aralsee noch so lange wie möglich. Doch je mehr das Volumen des Sees abnahm, desto salzhaltiger wurde er auch, was schließlich zu einem gigantischen Fischsterben führte. Bereits in den 1980er Jahren fiel der Wasserspiegel um bis zu 90 Zentimeter pro Jahr. Mitte der 90er Jahre hatte sich die ehemalige Küstenlinie laut „Al Jazeera“ bereits mehr als 100 Kilometer von der Stadt entfernt. Bis hier 1998 die letzte Fischfabrik dicht machte, verarbeitete man den importierten Fang von anderswo. Was schließlich blieb, war ein zerstörter Ort, und der Schiffsfriedhof von Moʻynoq.
Für die Einheimischen bedeutet das Verschwinden des Wassers aber noch mehr Leid als den Verlust ihrer Existenzgrundlage. Die Abwässer von den Baumwollfeldern, verseucht mit Pestiziden, Düngemitteln und anderen Chemikalien, haben ihr Grundwasser nachhaltig vergiftet. Durch das Austrocknen des Sees ist auch der Boden stark salzhaltig und damit unfruchtbar geworden. Die Region verwandelt sich in eine Salzwüste. Bis zu 90 Tage im Jahr toben hier Sandstürme, die die Schadstoffe noch weiter verteilen. Die Lebenserwartung liegt seitdem deutlich unter dem Landesdurchschnitt, die Krankheitsrate genauso deutlich weit darüber.
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Hoffnung auf Rückkehr des Sees
Und so sind die Ruinen von Moʻynoq und anderen Orten rund um den Aralsee längst zu einer bizarren Attraktion für Fans des Dark Tourism geworden. Auf diese Weise generieren viele Menschen, die der früher viertgrößte See der Welt einst ernährte, zumindest wieder ein bescheidenes Einkommen. Die rostigen Gerippe des Schiffsfriedhofs von Moʻynoq stehen sinnbildlich dafür, wie aus einem der größten Seen der Welt eine Wüste wurde. In der Stadt selbst erzählt heute auch ein Museum von den längst vergangenen, besseren Zeiten, als der Fischfang hier den Menschen die Existenz sicherte.
Tatsächlich finden sich auf Portalen wie Tripadvisor Reviews zum Schiffsfriedhof von Moʻynoq. „Ein niederschmetterndes Beispiel dafür, zu was menschliches Handeln führen kann“, schreibt da einer. Ein anderer meint: „Unwirklich, aber doch real.“ Ein dritter ergänzt: „Es ist beeindruckend, diesen menschlichen Wahnsinn und Dummheit zu sehen. Unser negativer Einfluss auf die Umwelt wird hier auf dramatische Weise sichtbar.“ Hoffnung für den Aralsee gibt es jedoch seit 2005 wieder. Denn in jenem Jahr wurde der Korakal-Damm in Kasachstan fertiggestellt. Er verhindert, dass einmal in den Aralsee gelangtes Wasser wieder abfließt. Seitdem hat sich auch der Salzgehalt des Wassers wieder gesenkt. Und auch die Fische sind zurückgekehrt.
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2018 maß der Aralsee an seiner breitesten Stelle laut „Deutschlandfunk“ schon wieder 110 mal 80 Kilometer, das Wasser war bis zu 49 Meter tief. Viele Orte wie das kasachische Aralsk haben sogar Hoffnung geschöpft, dass es einst wieder bis zu ihren Gestaden reichen könnte. Ob jedoch damit auch Moʻynoq zu retten wäre, ist ungewiss. Laut „Business Insider“ könnte die Katastrophe um den Aralsee eventuell zumindest teilweise rückgängig gemacht werden. Doch nur, wenn man die damals umgeleiteten Flüsse wieder in ihre ursprünglichen Bahnen lenkte. Jedoch ist es unwahrscheinlich, dass das passieren wird. Denn Usbekistan und auch Kasachstan sind zu sehr abhängig von ihrer Baumwollindustrie. Und so steht der Schiffsfriedhof von Moʻynoq weiterhin als Mahnmal einer der größten vom Menschen jemals verursachten Umweltkatastrophen.