2. März 2021, 15:23 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Die Arbeiterstadt Fordlandia war die große Utopie des Autobauers Henry Ford – in den 30er Jahren wollte der Unternehmer sie tief im brasilianischen Dschungel verwirklichen. Doch von Anfang an lief alles schief, und so endete das Experiment in einer regelrechten Katastrophe.
Ein paar Läden, Bars, eine kleine Kirche, ein Marktplatz – viel ist heute nicht mehr übrig von Fordlandia, einem Ort, der so tief im brasilianischen Dschungel liegt, dass man ihn nur mit regionalen Flügen und per Schiff erreicht. Nur noch ein paar Ruinen zeugen von einer längst vergangenen Zeit, einer Zeit, in der der amerikanische Automagnat Henry Ford hier seinen Traum einer perfekt organisierten Arbeiterstadt verwirklichen wollte – und grandios scheiterte.
Kautschuk sollte hier einst angepfanzt werden, zur Gummigewinnung, Rohmaterial für Reifen, Fußmatten und Scheibenwischer, die dann wiederum in Fords Autos verbaut werden sollten. Am Ende des von Beginn an wahnwitzigen Experiments waren zahllose Arbeiter tot und eine riesige Fläche Regenwald vernichtet – ohne dass in Fordlandia auch nur ein einziges Gramm Kautschuk geerntet worden war. Doch der Reihe nach.
Ford bezahlte 125.000 Dollar für 10.000 Quadratkilometer Land
Im Jahr 1927 erwirbt der Tycoon Henry Ford vom Gouverneur des brasilianischen Bundesstaat Pará für 125.000 Dollar eine Fläche von rund 10.000 Quadratkilometern. Der Deal, den Fords Mittelsmann Blakeley abschließt, erlaubt den Amerikanern neben dem Anbau von Kautschuk auch die Förderung von Rohstoffen wie Öl und Holz, die sie dann obendrein auch noch steuerfrei in die USA verschiffen dürfen.
Und so treten 1928 in Detroit die zwei riesigen Schiffe „Ormoc“ und „Farge“ ihre Fahrt in den brasilianischen Dschungel an, beladen mit Baggern, einem Zementmischer und Rohmaterial für mehrere Gebäude, unter anderem eine Bibliothek, ein Krankenhaus und zahlreiche Fertighäuser. Ford selbst tönt in der amerikanischen Presse: „Es wird keine großen Schwierigkeiten beim Erreichen unserer Ziele geben.“ Währenddessen beginnt ein Trupp von Pionieren mit der Rodung des Dschungels, und schon hier erweist sich die Unkenntnis der beauftragten Männer als katastrophal.
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Fordlandia entwickelte sich zum Flop-Projekt
Das größenwahnsinnige Projekt des Henry Ford begann also denkbar ungünstig, doch es sollte noch schlimmer kommen, denn der notorische Besserwisser Ford hatte für die Planung von Fordlandia keinerlei Experten zu Rate gezogen. Während Vorarbeiter Blakeley in einem vornehmen Haus residierte, hausten seine Arbeiter in fensterlosen Baracken oder gar in Hängematten, aufgrund von fehlenden Toiletten bahnte sich schon rasch ein sanitäres Desaster an. Fordlandia, ausgelegt für 8000 Arbeiter, entwickelte sich zur Katastrophe und Fords größter Niederlage, auch in finanzieller Hinsicht.
Mitten in der Regenzeit beginnen die Arbeiten, so dass die Arbeiter bald im morastigen Dschungel sprichwörtlich feststecken, und auch das Sägewerkzeug ist für das Dschungelholz kaum brauchbar. Daraufhin lässt Vorarbeiter Blakeley den Urwald einfach mit einer riesigen Menge Kerosin abfackeln, tagelang brennt der Dschungel und gibt Hunderte Hektar Fläche frei. Allein: diese sind nach der Brandrodung auf Jahre für den Anbau von Kautschuk völlig ungeeignet geworden.
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Rund um Fordlandia siedelten sich Bars und Bordelle an
Die Arbeiter, die in Fordlandia anheuerten, waren nicht selten bereits krank, nicht wenige waren auch Kriminelle. So berichtete ein Ford-Händler laut „Spiegel Online“ schockiert an die Firmenzentrale: „Es gibt keine sanitären Einrichtungen, der Müll liegt auf dem Boden, 30 von 104 Männern sind krank. In der Küche sind so viele Fliegen, dass man das Essen auf dem Tisch kaum sehen kann.“ Im Schnitt soll ein Arbeiter pro Tag in Fordlandia gestorben sein, bereits 1930 lagen auf dem Friedhof des Städtchens 300 Tote.
Die größte Fehleinschätzung jedoch unterlief Ford, als er glaubte, er könne die puritanische US-amerikanische Lebensweise auch seinen Arbeitern aufzwingen. So sollte streng nach Stechuhr gearbeitet werden, es galt ein striktes Alkoholverbot, die amerikanischen Vorarbeiter prüften die Hygiene, es wurde den Frauen sogar vorgeschrieben, wie sie ihre Wäsche zum Trocknen aufzuhängen hätten. Zudem wollte Ford über den Ernährungsplan seiner Arbeiter verfügen und zog die Kosten für das Essen obendrein noch vom Lohn ab. Gegen Malaria erhielten die Arbeiter so stark überdosierte Medikamente, dass sie davon teilweise heftige Beschwerden bekamen. Rund um Fordlandia siedelte sich dennoch, oder gerade deshalb, schon bald eine wahre lasterhafte Industrie mit schwimmenden Bars und Bordellen ein, und selbst Plantagenchef Blakeley trank schon nachmittags Zuckerrohrschnaps.
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Irgendwann eskalierte die Situation
Zwei Tage vor Weihnachten 1930 eskalierte die Situation schließlich vollends: Gebeutelt von Krankheiten und den US-amerikanischen Restriktionen rebellierten die Arbeiter und zerstörten zahlreiche Maschinen und Einrichtungen in Fordlandia, sowie auch die verhassten Stechuhren. „Tod allen Amerikanern“, skandierten sie, und trieben ihre Vorgesetzten in eine kopflose Flucht in den tiefen brasilianischen Urwald. Dieser Vorfall war es, der Ford schließlich zum Umdenken brachte.
In einem wahren Kraftakt wurden Schulen, Lebensmittelläden und andere Einrichtungen aus dem Boden gestampft, Straßen asphaltiert, eine noble Golfanlage gebaut. 1935 ließ Ford sogar eine zweite Dschungelstadt namens Belterra errichten, die für den Anbau von Kautschuk geeigneter schien. Ein Irrtum, wie sich bald herausstellen sollte, denn man hatte die Kautschukbäume, die sehr viel Platz zur Entfaltung brauchen, viel zu dicht nebeneinander gepflanzt. Und so machten sich schon bald Schädlinge breit, Pilze, Käfer und Raupen vernichteten Millionen von Bäumen. Das endgültige Todesurteil kam, als synthetischer Gummi erfunden wurde. Nur 1942 wurde in Belterra überhaupt einmal Kautschuk geerntet, eine einmalige Marge von 750 Tonnen.
Von der Presse zuvor als Heilsbringer und sogar „Jesus Christus der Industrie“ gefeiert, zog sich Ford schließlich 1945 gänzlich von seinem wahnwitzigen Dschungelprojekt zurück – nachdem er nach heutigem Wert etwa eine Milliarde US-Dollar versenkt hatte. Da half es auch nichts, dass Walt Disney höchstselbst noch 1944 den Werbefilm „The amazon awakens“ gedreht hatte, der für die Industrialisierung und Zähmung des Dschungels hatte werben sollen. Henry Fords Sohn Edsel versuchte noch, das Areal seinem Konkurrenten Harvey Firestone anzudrehen, bevor schließlich Enkelsohn Henry Ford II die Siedlung an die brasilianische Regierung verkaufte. Bis heute harren einige Bewohner in dem einstigen Utopia aus, das für so viele zum Grab geworden war.