25. November 2016, 15:48 Uhr | Lesezeit: 3 Minuten
Val-Jalbert in der Region Quebec erblühte in den Zwanzigerjahren und wurde dann verlassen. Heute ist das historische Dorf eine Touristenattraktion, in der Besucher in die Vergangenheit reisen. Doch um die Geisterstadt streiten sich die Geister.
Die spannende Geschichte von Val-Jalbert in Kanada begann 1901 mit einer Geschäftsidee: Der Industrielle Damase Jalbert erkannte das Energie-Potenzial der beiden kräftigen Wasserfälle des Flusses Ouiatchouan in der Region Quebec, von denen einer mit 72 Metern höher als die Niagara-Fälle ist. Jalbert ließ eine Mühle in der waldreichen Gegend bauen, die Holzstoff produzierte, ein Grundstoff für Papierfabriken. Für die Mitarbeiter errichtete er ein Dorf – die Geburtsstunde von Val-Jalbert.
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Tod, Krankheit, Ruin
Nur drei Jahre später starb Jalbert. Der Ort steuerte in den Ruin. Amerikanische Investoren übernahmen die kränkelnde Mühle, verkauften sie aber bald wieder. Die Rettung nahte in Gestalt der damals größten kanadischen Holzsstoff-Firma: Sie kaufte Val-Jalbert im Jahr 1909 und begann umfangreiche Modernisierungen.
Bis 1924 erlebte Val-Jalbert eine regelrechte Blüte. Mit ihren modernen, konfortablen Einrichtungen war zog sie den Neid der umliegenden Orte auf sich. Doch es gab auch dunkle Zeiten: Als die Spanische Grippe ausbrach, raffte die Epedemie große Teile der kleinen Bevölkerung dahin. Rund fünf Jahre später wurde sie durch eine Entlassungswelle weiter dezimiert. Ein kurzer Aufschwung 1926 kann die Mühle nicht retten: 1927 wird sie endgültig still gelegt. Die Bewohner zogen fort.
Reise in die Zwanziger
Jahrzehnte vergingen. Val-Jalbert geriet in Vergessenheit und verfiel. Erst 1960 wurde die Geisterstadt als mögliche Tourismusattraktion entdeckt und wieder zum Leben erweckt. 2009 erlebte sie eine zweite Blüte, diesmal als anerkannte historische Stätte. Die kanadische Regierung investierte rund 20 Millionen kanadische Dollar, um Val-Jalbert als Tourismusziel für eine Reise in die Zwanzigerjahre aufzuwerten.
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Heute können Besucher in Val-Jalbert Urlaub in der Vergangenheit machen. Die Gebäude wurden liebevoll restauriert. Angestellte in Zwanzigerjahrekleidung führen die Gäste durch die Stadt und die historische Mühle, fahren sie in der Nostalgie-Tram umher und erklären dabei, wie damals Holzstoff hergestellt wurde und die Arbeiter ihren Alltag lebten. Touristen können die Klosterschule besuchen, in den alten Gebäuden bei modernem Komfort nächtigen oder zelten und die wilden Wasserfälle und die reizvolle Natur erleben.
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Streit im Paradies
Doch es gibt auch Konflikte. Zeitgleich zur zweiten Blüte des Ortes als Tourismusattraktion 2009 kündigte die Region den Bau eines Wasserkraftwerks nahe der historischen Mühle und die Errichtung eines Dammes an. Zahlreiche Proteste begleiteten die Bauarbeiten. Bewohner der Region fürchteten um die Schönheit der Natur und die Zukunft von Val-Jalbert als Touristenattraktion, auch weil die Stauung die Wasserfälle beeinträchtigten. Ihre Kritik äußerten sie auf einer eigenen Website „SOS Val-Jalbert“, unter anderem im folgenden Youtube-Video.
Umweltschützer warnten von den Auswirkungen auf die Biotope und die Tierwelt, wenn durch den Damm Lebensräume verschwinden. Die örtlichen Innu beschwerten sich über fehlendes Mitbestimmungsrecht und sahen ihre traditionellen Fischgründe sowie heilige Stätten ihrer Ahnen bedroht.
Ungeachtet aller Protestaktionen wurde das Kraftwerk 2015 fertig gestellt und ist auf der offiziellen Website der Geisterstadt nun sogar als zusätzliche Attraktion gelistet. Trotzdem: Bis heute warnen Bewohner der Region vor den möglichen Folgen des Kraftwerks und rufen auf ihrer eigenen Protest-Website zu Aktionen wie Protestbriefen auf. Sie fürchten, dass sich der Segen der Vergangenheit von Val-Jalber, die Energie bringenden Wasserfälle, für die Zukunft als Fluch erweisen könnten.
(mgr)