7. November 2022, 21:09 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
In der Wüste des US-Bundesstaates Utah befinden sich noch heute die Überreste eines der skurrilsten Experimente der amerikanischen Geschichte. Die Siedlung „Home of Truth“ war ein paar Jahre lang ein Utopia für eine kleine Gemeinschaft von Gläubigen. Doch äußerst bizarre Praktiken führten schließlich zum Ende des Kults.
Nahe der US-Kleinstadt Monticello befindet sich, in der Wüste des Bundesstaates Utah, eine Ansammlung windschiefer Bretterbuden. Oder besser gesagt, das, was von ihnen übrig ist. Die meisten Menschen würden wohl einfach achtlos an ihnen vorbeifahren, dabei erzählen sie von einer der bizarrsten Geschichten der amerikanischen Neuzeit. Denn vor knapp 100 Jahren befand sich an diesem Ort eine kleine Siedlung mit dem Namen „Home of Truth“ – das „Zuhause der Wahrheit“. Doch was als Utopia einiger gottesfürchtiger Pioniere begann, endete in einem Desaster.
Laut „Atlas Obscura“ beginnt die Geschichte des Home of Truth im Jahre 1933. Die reiche Witwe Marie Ogden aus Newark, New Jersey, hat in diesem Jahr eine wahrhaft göttliche Vision. Demnach trägt der Allmächtige ihr auf, nach einem Ort zu suchen, an dem sie ein neues Zuhause für sich und andere Gläubige gründen könne. Ogden, die sich nach dem Tod ihres Mannes drei Jahre zuvor immer mehr der spirituellen Welt zugewandt hat, empfängt den Willen des Herrn demnach direkt über ihre alte Schreibmaschine.
Warten auf die Wiederkehr von Jesus
Ogden schart in der Folgezeit etwa 100 Jünger um sich, denn sie ist durch selbst verfasste Pamphlete über den Glauben zu einiger, auch überregionaler, Bekanntheit gelangt. Die Botschaften, die Gott ihr schickt, führen sie und ihre Schar schließlich in das Dry Valley im San Juan County von Utah. Ein unwirtlicher Ort mitten in der Wüste, aber laut Ogden, die sich selbst für die Reinkarnation der Jungfrau Maria hält, der ideale Platz für „ihr“ Home of Truth. An dieser Stelle, so glaubt sie, würde am nahenden Ende der Welt Jesus Christus den Menschen wieder erscheinen. Hier wollen sie den Erlöser gebührend empfangen.
Das Leben im Home of Truth muss man wohlwollend asketisch nennen. Die Mitglieder der Gemeinschaft verzichten auf alle weltlichen Besitztümer und Genüsse wie Alkohol, Tabak und Fleisch. Nur Fisch ist erlaubt. Ansonsten versuchen sie, dem kargen Land abzutrotzen, was es eben hergibt. Eine Weile scheint das Utopia in der Wüste sogar eine Erfolgsgeschichte zu werden. So gibt Ogden unter anderem mit dem „San Juan Record“ die einzige Zeitung im gesamten County heraus. Die „Nachbarn“, hauptsächlich Mormonen, akzeptieren die einzigartige Gemeinschaft, denn ihre Glaubenssätze sind zu weiten Teilen deckungsgleich.
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Eine untote Leiche
Die Siedlung Home of Truth an sich, eine Ansammlung von etwa 20 Hütten, besteht aus drei sogenannten Portalen. Dem äußeren, dem mittleren und dem inneren Portal. In letzterem lebt Ogden, von hier aus verkündet sie ihrer Gefolgschaft das Wort, das Gott ihr immer noch per Schreibmaschine diktiert. Nach der Apokalypse, so ihr Glaube, werde man hier in der Wüste ein neues Leben beginnen. Zu diesem Zeitpunkt ahnt noch niemand, dass das Experiment nur wenige Jahre später auf höchst bizarre Weise scheitern wird.
Denn bereits 1935 ereignet sich in der Kolonie ein mehr als schauriger Vorfall. Als ein weibliches Mitglied namens Edith Peshak an Krebs stirbt, weigert sich Ogden, sie begraben zu lassen. Sie glaubt fest daran, die Seele der Frau würde in deren Körper zurück kehren. Ihr Wahn geht so weit, dass sie die Leiche von Mitgliedern ihres Kults über Monate lang mit Milch und Eiern „füttern“ lässt. Die Kunde von dem gruseligen Ritual verbreitet sich in der Gegend, und so schaltet sich laut der der Zeitung „The Daily Sentinel“ vier Monate nach dem Tod der Frau schließlich das Gesetz ein.
Das Utopia zerfällt
Im Mai 1935 stattet der Sheriff des San Juan County dem Home of Truth einen Besuch ab. Ogden jedoch weist ihn ab, genauso wie kurze Zeit später einen Staatsanwalt. Als der öffentliche Druck jedoch zu hoch wird, gestattet sie schließlich einem Arzt und zwei Krankenschwestern den Zutritt. Was sie vorfinden, ist eine mittlerweile ob der trockenen Hitze mumifizierte Leiche. Da diese aber laut der Diagnose des Doktors kein Gesundheitsrisiko für die lebenden Mitglieder der Kolonie darstellt, darf sie vor Ort verbleiben. Marie Ogden wartet zu diesem Zeitpunkt immer noch darauf, dass ihre Seele in den Körper zurückkehrt.
Der Fall schlägt jedoch landesweit in der Presse derart hohe Wellen, dass das Home of Truth zu zerfallen beginnt. Die Medien stellen die Glaubensgemeinschaft als Sekte dar, und schließlich wenden sich immer mehr Gläubige von Ogden und ihrer Vision ab. Elmar, der Mann der verstorbenen und mumifizierten Edith, bleibt bis zum Schluss an ihrer Seite. 1937, nur vier Jahre nach der Gründung, ist das Home of Truth schließlich am Ende, und wird so in der Folgezeit langsam zu einem der skurrilsten Geisterdörfer der USA.
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Heute eine Geisterstadt
Nur sieben der ursprünglich etwa 100 Jünger harren 1940 noch aus, ein paar besonders Glaubensfeste sogar bis zum endgültigen Ende der Kolonie 1977. Bereits zwei Jahre vorher stirbt Marie Ogden in einem Altersheim in Blanding, Utah. Einer ihrer Getreuen verbrennt daraufhin alle ihre Manuskripte, inklusive einem Buch über das Home of Truth, an dem Ogden lange gearbeitet hatte. Obwohl zu Lebzeiten mehrfach von der Presse zu dem Fall Edith Peshak befragt, hat sie sich nie offiziell dazu geäußert.
„Atlas Obscura“ zufolge plant der aktuelle Besitzer des Geländes, auf dem sich das Home of Truth befindet, es zu restaurieren, und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Wer in Utah die State Road 211 fährt, kann die übrig gebliebenen Gebäude von Weitem sehen. Das einzige greifbare Überbleibsel von einem der skurrilsten Experimente der US-Geschichte ist die Zeitung „San Juan Record“, die bis heute erscheint. Laut einer im Jahr 2009 eingereichten Master-Arbeit an der Brigham Young University von Utah gilt Marie Ogden heute als eine der ersten New Age-Spiritistinnen.