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Hier starben mehr als 900 Menschen in einer Nacht

Die Horror-Geschichte von Jonestown in Guyana

Guayana
Der Ort Jonestown auf einer Luftaufnahme von 1978 - im selben Jahr begingen hier über 900 Menschen einen Massen-Selbstmord. Heute ist das Gelände wieder von Dschungel zugewachsen Foto: dpa Picture Alliance
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TRAVELBOOK Redaktion

29. Januar 2021, 5:44 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten

1978 geschah im Dschungel von Guyana eine Tragödie von unfassbarem Ausmaß: Mehr als 900 Menschen begingen hier auf Geheiß ihres Anführers in nur einer einzigen Nacht Selbstmord. TRAVELBOOK erzählt die unglaubliche Geschichte, wie es so weit kommen konnte, und was heute aus dem Ort geworden ist.

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Es ist das Jahr 1955, als im US-Bundesstaat Indiana ein charismatischer Mann auftaucht, der vor einer schnell wachsenden Schar an Zuhörern von Gleichheit und Nächstenliebe predigt, in einer selbst gegründeten Kirche, die er den „Peoples Temple“ nennt. Bald machen auch Gerüchte die Runde, der Mann könne Gedanken lesen oder Menschen Kraft des christlichen Glaubens von Krankheiten heilen. Besonders in der afro-amerikanischen Bevölkerung findet er viele Bewunderer, denn er setzt sich für die Gleichstellung aller Rassen ein in einer Zeit, in der das in weiten Teilen Amerikas noch wie eine bloße Utopie erscheint.

Niemand kann zu diesem Zeitpunkt ahnen, dass Jim Jones, so der Name des Predigers, 23 Jahre später mehr als 900 Menschen in nur einer einzigen Nacht in den Tod führen wird – vor dem 11. September 2001 war diese Tragödie der schlimmste Einzelfall, bei dem US-Bürger ums Leben kamen, wie der „Guardian“ berichtet. Als Jonestown-Massaker hat der Fall traurige Berühmtheit erlangt, genau wie die unglaubliche Geschichte um den „Peoples Temple“, die zu dem Drama führte.

Sektenführer Jim Jones auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1978
Sektenführer Jim Jones auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1978 Foto: dpa Picture Alliance

Missbrauch und Erpressung

Doch zunächst einmal wächst Jones‘ selbst ausgerufene Kirche, zieht im Jahr 1965 nach Kalifornien um, da sich der zunehmend paranoide Anführer hier vor den Folgen eines Atomkrieges sicher glaubt, den er im Zuge des Kalten Krieges heraufdämmern sieht. Jones ist ein glühender Anhänger des Sozialismus, bezeichnet sich selbst auch als Reinkarnation von Christus oder wahlweise Buddha. Sein Charisma und sein Einsatz für benachteiligte Menschen tragen ihm damals aber immer noch viel Anerkennung und Gefolgsleute ein, Politiker wie Harvey Milk oder auch die Black Panther Party hofieren ihn.

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Seine Anhänger opfern sich für ihn regelrecht auf, nicht Wenige überschreiben dem „Peoples Temple“ all ihren weltlichen Besitz, arbeiten unbezahlt für die Kirche und brechen mitunter auch den Kontakt zu ihren Familien ab, so diese ihren Glauben infrage stellen. Jones agiert damals schon wie ein Autokrat, erwartet, dass seine Schäfchen auch ihre Kinder innerhalb der Glaubensgemeinschaft erziehen. Besonders perfide: Zahlreiche Mitglieder unterzeichneten laut „Guardian“ gefälschte Aussagen, wonach sie ihren eigenen Nachwuchs sexuell missbraucht hätten – Dokumente, die die Freikirche offensichtlich einsetzte, um Menschen auf Parteilinie zu halten, bzw. gegebenenfalls zu erpressen.

In dieser Kirche in Los Angeles predigte Jim Jones in den Anfangszeiten des „Peoples Temple”
In dieser Kirche in Los Angeles predigte Jim Jones in den Anfangszeiten des „Peoples Temple” Foto: dpa Picture Alliance

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Das Paradies wird zur Hölle

Dennoch wächst der „Peoples Temple“ immer weiter, hat Mitte der 1970 Jahre Tausende Anhänger, doch irgendwann beginnen Gerüchte über tatsächlichen Kindesmissbrauch die Runde zu machen. Was anschließend passiert, hat die Seite „History“ rekonstruiert: Jones beschließt, mit seinen treusten Anhängern in das kleine südamerikanische Land Guyana überzusiedeln, wo zu dieser Zeit eine kommunistische Regierung an der Macht ist. Seinen Gefolgsleuten verspricht er nicht weniger als ein Utopia mit mildem Klima und beschwört die Vision von einem selbstbestimmten Leben von der Landwirtschaft herauf.

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1977 kommt Jones schließlich mit Hunderten Getreuen in der neuen Heimat mitten im Dschungel an, die nach dem Spiritus Rector Jonestown getauft wird. Doch das vermeintliche Paradies wird schnell zur Hölle: Auf dem angeblich so fruchtbaren Boden will einfach nichts gedeihen, und so leiden die Menschen Hunger, werden teils zum Betteln in die Zivilisation geschickt. Jones selbst wird in seinen Methoden immer rigider: Jeden Tag müssen seine Anhänger trotz hoher Temperaturen auf den unfruchtbaren Feldern arbeiten, abends gibt es verpflichtende Lektionen in Sachen Glauben.

Eine Aufnahme aus Jonestown aus dem Jahr 1978
Eine Aufnahme aus Jonestown aus dem Jahr 1978 Foto: dpa Picture Alliance

Die fast perfekte Täuschung

Seine Ideen und Durchhalteparolen gibt Jones durch überall auf dem Gelände installierte Lautsprecher weiter, während seiner täglichen Ansprachen darf niemand reden. Außerdem fordert er seine Anhänger explizit dazu auf, andere zu denunzieren, sollten diese sich über die Zustände in Jonestown beschweren oder anderes zersetzendes Gedankengut äußern. Eine ihm treu ergebene Truppe schwer bewaffneter Söldner, bald als die „Rote Brigade“ gefürchtet, sorgt darüber hinaus für Einschüchterung.

In den USA beginnen derweil Angehörige von Menschen, die in Jonestown leben, sich Hilfe suchend an Politiker zu wenden, denn die wenigen Briefe, die sie aus Guyana erhalten, geben Anlass zur Sorge. Schließlich gewährt Sektenführer Jones dem Kongressabgeordneten Leo Ryan und einem Tross aus Journalisten und unabhängigen Beobachtern am 17. November 1978 Zutritt zu seinem Reich – die Männer erwartet ein fast perfektes Theater, wochenlang hat Jones zuvor seine Anhänger einüben lassen, was sie zu sagen hätten, hat sogar Tänze einstudieren lassen, um den Anschein einer perfekten, heilen Welt zu wahren.

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Der Anfang vom Ende

Ryan und seine Leute fallen auch tatsächlich darauf rein – bis ihnen kurz vor ihrer Abreise jemand heimlich eine Notiz zusteckt, auf der erklärt wird, wie es in Jonestown wirklich zugeht. Jones bekommt von der Sache Wind, fordert die Männer daraufhin auf, „seine“ Stadt zu verlassen. Als Ryan und seine Begleiter jedoch auf dem Landestreifen ankommen, von wo aus sie wieder ausgeflogen werden sollen, erwartet sie ein Hinterhalt von bis an die Zähne bewaffneten Jones-Anhängern: Ryan und vier weitere Menschen sterben in einem wahren Kugelhagel, elf weitere Mitglieder seiner Kommission werden verletzt.

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Jones wiederum weiß, dass dieser Zwischenfall das Ende für sein Utopia bedeutet – und ruft seine treuen Untergebenen kurzum zu einem Massen-Selbstmord auf. Bereits mehrfach hatten sie für einen solchen Ernstfall in den sogenannten „weißen Nächten“ geübt, und nun ist es schließlich so weit: Sämtliche anwesenden Bewohner von Jonestown werden zusammengetrieben, eine Schar mit Armbrüsten und Pistolen Bewaffneter sorgt dafür, dass niemand entkommen kann. Wer zu fliehen versucht, wird erschossen, auf die anderen wartet allerdings ein noch viel grausigeres Ende: Sie werden gezwungen, einen Fruchtpunsch zu trinken, versetzt mit Cyanid, einem starken Gift.

Die Kinder wurden zuerst getötet

Zuerst kommen die Kinder und Säuglinge an die Reihe, mehr als 300 Menschen unter 18 Jahren sterben in dieser Nacht. Man flößt ihnen das tödliche Gebräu ein, und wer sich weigert, es zu trinken, bekommt eine letale Spritze. Laut „History“ glauben zu diesem Zeitpunkt noch viele, es handele sich wiederum um eine Übung, trinken wohl auch deshalb so bedenkenlos den Gift-Cocktail. Überliefert aus dieser Nacht des Grauens ist ein Tonband, auf dem Jones Eltern auffordert, ihre Kinder zu beruhigen, damit diese keine Angst vor dem Tod hätten. Zu hören sind aber auch qualvolle Schreie sterbender Menschen.

Nur etwa 100 von Jones‘ Anhängern überleben diese Nacht, die auch als das Jonestown-Massaker in die Geschichte eingeht. 918 Menschen dagegen finden einen grausamen Tod. Den irren Prediger findet man mit einem Kopfschuss, den er sich mutmaßlich selbst zugefügt hat. Um all die Toten auszufliegen, wird das US-Militär angefordert, noch vor dem Ende des Jahres 1978 löst sich der „Peoples Temple“ offiziell auf.

Jonestown-Massaker, Gedenkstein
Eine Überlebende des Massakers kehrte 2018 erstmals an den Ort des Grauens zurück. Ein Gedenkstein im Dschungel erinnert an die Opfer. Foto: dpa Picture Alliance
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Pilgerstätte für Fans des „Dark Tourism“

2009 wurde an der Stelle der Tragödie ein Gedenkstein aufgestellt, auch wenn der Dschungel in den über 40 Jahren nach dem Vorfall das Gelände wieder zurückerobert hat. Heute ist der Ort vor allem unter Fans des „Dark Tourism“ beliebt, und laut Berichten auf einschlägigen Blogs im Netz findet man wohl auch Guides, die einen im Zweifel hinbringen.

Die Einheimischen dagegen machen bis heute einen großen Bogen um die Gegend, nicht wenige glauben, dass es in den Ruinen des alten Jonestown spukt. Das Jonestown-Massaker hat längst Einzug in die Popkultur gehalten, zahlreiche Bücher und Filme befassen sich mit dem Thema. Laut „Encyclopedia Britannica“ wurden zu dem Fall insgesamt nur zwei Schuldsprüche jemals vor Gericht gegen ehemalige Helfer des Lagers erlassen.

Die 913 Opfer wurden auf dem Evergreen Cemetery in Oakland (Kalifornien) beigesetzt. 2008 wurde dort ein Gedenkstein mit allen Namen der Opfer aufgestellt sowie dem Alter, in dem sie jeweils zu Tode kamen.

Autorenfoto

Guyana, Guayana, Französisch-Guyana – was ist was?

„Bei Guyana handelt es sich um einen Staat in Südamerika, der westlich von Suriname liegt. Auch Französisch-Guyana ist ein Staat in Südamerika – er liegt östlich von Suriname und hat keine gemeinsame Grenze mit Guyana. Guayana gibt es auch. Das allerdings ist kein Staat, sondern eine Berg-Region. Sie erstreckt sich über die Länder Venezuela, Brasilien, Guyana, Suriname und Französisch-Guyana.“
Themen Südamerika USA
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