18. Mai 2016, 12:14 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Dieser Ort scheint direkt im Land der Träume zu liegen – mit seinen skurrilen Skulpturen, ins Nichts führenden Treppen und Palästen, die bei näherer Betrachtung keine sind. Doch dieser Ort ist real – und liegt mitten im mexikanischen Regenwald. Wer hat ihn dahin gebaut? Und warum?
Sie nannten ihn „Don Eduardo“ oder auch „The crazy Englishman“, diesen eigenartigen Fremden, der in den 1940ern plötzlich im Dschungel bei Xilitla auftauchte und verkündete, er wolle hier seinen „Garten Eden“ erschaffen. Zuvor war er in Los Angeles, wo er seinen Traum zwar erstmals in Künstlerkreisen besprach, ihn dann aber doch lieber in Mittelamerika realisierte, da ihm „Mexiko romantischer erscheint als das übervölkerte Südkalifornien.“
Es hätte in den USA auch gar nicht funktioniert. Denn was am Ende bei seinem Vorhaben herauskommen sollte, hätte niemals vor den kritischen Blicken amerikanischer Bauprüfer und Versicherungsagenten bestanden. In Las Pozas nämlich führen Treppen ohne Geländer ins Nichts – oder in Gebäude ohne Dächer. Hier kriechen Würgeschlangen durchs Dickicht, schlängeln sich Wege ohne Ziel und System durch den Dschungel.
Der Mann, der Las Pozas erbaute
So gefährlich wie fantastisch ist dieser „Garten Eden“, eine mysteriöse Traumstadt mitten im Dschungel, die neben aller Verwirrung und grenzenlosem Staunen auch Verwunderung hervorruft: Wer war dieser Mann, für den das Paradies wie ein verwildertes Labyrinth aus Beton und Dickicht aussieht?
Edward William Frank James wurde 1907 in Schottland geboren, als einziger Sohn von Evelyn Forbes, einer prominenten schottischen Dame der höheren Gesellschaft. Sein biologischer Vater war angeblich der damalige Prinz von Wales, der spätere König Eduard VII. Welche Gene ihm tatsächlich in die Wiege gelegt wurden, ist unklar. Eine Menge Geld war es aber allemal. Als James volljährig wurde, war er bereits Multimillionär.
Und was machte er mit seinem Geld? Er förderte Künstler und wurde Mäzen. Vor allem der Surrealismus hatte es ihm angetan, James war einer der ersten Unterstützer dieser sich gegen traditionelle Normen richtenden geistigen Bewegung. Salvador Dalí wurde ein enger Freund. Mit ihm bereiste er Italien, von ihm kaufte er zahlreiche Gemälde und Kunstobjekte. Und wie Dalí wanderte James im Zweiten Weltkrieg nach Los Angeles aus – um von dort allerdings bald weiter nach Mexiko zu fahren und einen Ort für seinen Garten zu suchen.
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Die meisten Gebäude wurden nie fertig
Fünf Kilometer östlich von Xilitla, an den Kleinwasserfällen Las Pozas mitten im mexikanischen Regenwald, wurde er fündig. Hier begann James zunächst, Orchideen zu züchten. Doch Frost zerstörte Anfang der 1960er-Jahre die zarten Blüter, was James dazu bewog, Orchideen überlebensgroß als Beton-Skulpturen zu verewigen.
Über die Jahre kamen Tempel, Pagoden und Paläste dazu – miteinander verbunden von verschlungenen Wegen, gesäumt von Säulen und Treppen, die kein Ziel haben und im Nichts enden. Überhaupt wurden die meisten der Gebäude nicht fertig, oft fehlt das Dach. Umso umfangreicher indes sind ihre Namen: „The House with Three Storeys that Might be Five“ (deutsch: Das Haus mit den drei Stockwerken, die eigentlich fünf sein könnten) heißt eines, „The House Destined to be a Cinema“ (Das Haus, das dazu bestimmt ist, ein Kino zu sein) ein anderes.
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Nicht nur zu poetischen Namen, auch zu ganzen Gedichten inspirierten ihn die Gebäude. Die Poesie war übrigens die einzige Kunst, die James nicht nur förderte, sondern auch selbst betrieb. Allerdings sah er sich nie als Künstler – da half es wenig, dass sein Freund Dalí ihn einen großen Dichter nannte. Erst in Las Pozas änderte sich das, hier sah sich James endlich selbst als Künstler. Und was sonst sollte er auch sein – angesichts dieses fantastischen Gartens, den er hier schuf, dieses einzige Gesamtkunstwerk?
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Nur ein Gebäude ist bewohnbar
Insgesamt 36 Skulpturen und Gebäude ließ James hier bauen. Doch nur eines davon ist bewohnbar: ein kleiner Dschungelpalast, in dem natürlich „Don Eduardo“ selbst logierte – umgeben von seinen handzahmen Papageien, nicht selten auch von durchreisenden Künstlern aus der ganzen Welt, die sein surrealistisches Xanadu besuchten.
Gebaut wurde die mysteriöse Urwaldstadt zum größten Teil von ansässigen Otomí-Indianern. James gesamtes Vermögen floss in seinen surrealistischen Traum, die Rede ist von 5 Millionen Dollar. Für Las Pozas versteigerte er sogar seine Sammlung mit surrealistischen Werken, darunter auch von Dalí. Vollendet wurde James‘ Traum indes nie: Als er 1984 auf der Rückreise von einem Europabesuch an einem Schlaganfall starb, wurden die Bauarbeiten eingestellt. Die Anlage verkam, der Dschungel eroberte sich das Areal zurück.
Und fast schon hatte er den Beton verschluckt – als 2008 eine Stiftung sich des Skulpturengartens annahm und nun versucht, die Anlage zu erhalten. Heute können Besucher den Garten besichtigen, jeweils von 9 Uhr in der früh bis zum Sonnenuntergang ist er geöffnet. Es gibt ein Restaurant und geführte Touren.
Anreise: Flug bis Tampico (etwa via Mexico City) und dann mit dem Mietwagen weiter. Oder von Texas (etwa Brownsville oder McAllen) mit dem Bus bis Xilitla (8 Stunden Fahrtzeit).