29. April 2020, 12:12 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Die ehemalige Bergarbeiterstadt Picher im US-Bundesstaat Oklahoma hält einen traurigen Rekord: Sie ist laut der amerikanischen Umweltbehörde der giftigste Ort der Vereinigten Staaten.
Irgendwo im Grenzgebiet zwischen Kansas, Missouri und Oklahoma, im Herzen eines 100 Quadratkilometer großen, als „Tar Creek“ bekannt gewordenen ehemaligen Bergbaugebietes, liegt Picher – beziehungsweise, das was davon übrig ist, von dieser einst blühenden Stadt, die einen traurigen Rekord für sich „beansprucht“: Picher ist der giftigste Ort in den gesamten Vereinigten Staaten.
Doch wie kam es zu dieser Katastrophe? Als Picher 1891 gegründet wurde, entdeckte man laut „Wired“ bald die reichen Vorkommen an Blei und Zink im Boden – beides Materialien, die für die Produktion von Kriegsmaschinerie in den beiden aufkommenden Weltkriegen einen reißenden Absatz fanden. Bald hätten in Picher 14.000 Bergarbeiter gelebt, die insgesamt 227 Minen im Jahr 1925 ein Produktionsvolumen von fünf Millionen Kilo Roh-Erz gehabt – pro Tag. Insgesamt sollen aus diesem zwischen 1891 und 1970, als die Förderung versiegte, 1,7 Millionen Tonnen Blei und 8,8 Millionen Tonnen Zink gefördert worden sein.
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Millionen Tonnen Giftabfall
Diese Mengen klingen gigantisch, doch um sie zu gewinnen, musste man unfassbare 181 Millionen Tonnen Roh-Erz verarbeiten, wobei oft giftige Rückstände wie Kadmium, Blei, Arsen, Eisen und Mangan zurückblieben und sukzessive das Wasser verseuchten, was zu einer drastisch erhöhten Krankheitsrate besonders unter Kindern beitrug – laut „NBC“ habe eine Studie im Jahr 2004 gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, an Pneumokoniose, besser bekannt als Staublunge, zu erkranken, in Picher um 2000 Prozent höher war als im Durchschnitt. Auch die Raten für Lungenkrebs, Bluthochdruck, Atemwegserkrankungen und Kindersterblichkeit seien hier stets höher gewesen.
Laut „Wired“ hätten damals in mehreren Fällen Kinder nach dem Baden in den Gewässern rund um Picher chemische Verbrennungen davongetragen, die man allerdings für einen einfachen Sonnenbrand gehalten habe. Im Jahr 1980 hatte die amerikanische Umweltbehörde begonnen, das Problem rund um Picher zu erfassen, für dessen Eindämmung bis heute ein hoher dreistelliger Millionbetrag ausgegeben wurde – denn die EPA erklärte Picher damals zum giftigsten Ort der USA. Tausende Minenschächte wurden verschlossen, zudem für die künftige Versorgung mit Trinkwasser tiefer liegende Grundwasserschichten angezapft, auf zahlreichen Grundstücken die obere Bodenschicht abgetragen.
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Permanent einsturzgefährdet
2006 wurde noch eine andere, unterirdische Gefahr entdeckt: Durch den jahrzehntelangen hemmungslosen Abbau war die Stadt durch die zahllosen Stollen, die unter ihr verliefen, sprichwörtlich einsturzgefährdet – laut „NBC“ waren 9 von 10 Häusern bedroht. Das sei der Todesstoß für Picher gewesen, und so akzeptierten nicht wenige die Reparationszahlungen von der Regierung, um ihre Häuser zu verlassen und woanders ein neues Leben zu beginnen. 2008 schließlich fegte ein zerstörerischer Tornado durch Picher, der acht der verbliebenen Bewohner das Leben kostete, 150 weitere verletzte und zahlreiche Häuser und Geschäfte zerstörte.
In den Folgejahren machte erst die Polizei und dann die Stadtverwaltung dicht, auch die Schule sowie diverse Läden und Restaurants schlossen für immer ihre Pforten, denn in Picher gab es schlicht niemanden mehr, dem der Service etwas genützt hätte.
Ort ohne Zukunft?
Die unfassbaren Mengen an Abraum, die damals im Zuge der Blei- und Zink-Gewinnung zutage gefördert wurden, verschmutzen als riesige, tonnenschwere Haufen die Stadt Picher übrigens heute noch – laut einem Bericht von „Oklahoma News“ werden die Aufräumarbeiten noch mindestens 30 Jahre dauern. Das Problem: In ihnen befinden sich immer noch Bleirückstände, sie sind mithin hochgiftig. Kaum zu glauben, aber laut der Nachrichtenseite gibt es allein in Oklahoma noch zahlreiche weitere Orte, die genau wie Picher unter den Folgen des Blei- und Zinkabbau leiden.
Laut „Wired“ gehört das Land, auf dem sich auch Picher befindet, heute zu großen Teilen dem Indianer-Stamm der Quapaw, und sie seien es auch, die sich hier um Aufräumarbeiten bemühten. Eine Nachnutzung sei bereits angedacht, unter anderem ausgerechnet ein Wildtierreservat. Das Blatt zitierte 2010 den ehemaligen Minenarbeiter Tim Kent, der sich gemeinsam mit den Quapaw engagiert, zum Thema Picher: „Wir mussten zwei Weltkriege gewinnen, und das war der Preis. Es ist traurig, dass wir so viel Land verseucht haben, um Menschen umzubringen.“