18. November 2020, 17:08 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Seit mehr als 80 Jahren steht vor der Küste der Insel Sachalin ein Leuchtturm. Lange war er ein Neben-Schauplatz einer blutigen Auseinandersetzung zwischen zwei Nationen – und birgt auch heute noch ein dunkles Geheimnis.
Mitten im sturmumtosten Ochotskischen Meer, eingeklemmt zwischen Russland und Japan, liegt die Insel Sachalin, ein unwirtlicher Ort mit langen Wintern – und einer dunklen Vergangenheit. Ein Teil dieser Geschichte ist auch ein Leuchtturm, der seit mehr als 80 Jahren auf einem schroffen Felsen, genannt Kap Aniva, vor Sachalins Küste empor ragt. Heute ist er verlassen, Wind und Gezeiten arbeiten an seinem Verfall.
Im 19. Jahrhundert ist die Insel Sachalin nichts weiter als ein bedeutungsloser Felsen in einem Meer zwischen zwei Nationen, die immer ambitionierter und aggressiver um Mitsprache im globalen Machtgefüge kämpfen – und das ist wörtlich gemeint, denn sie setzen auch ihr Militär ein, um ihre Ansprüche geltend zu machen. Die Rede ist von Russland und Japan.
„Um hier zu überleben, muss man verrückt oder betrunken sein”
Russland schafft zunächst vermeintlich Tatsachen, indem es auf der Insel eine berüchtigte Kolonie für Strafgefangene errichtet, die laut „Neue Zürcher Zeitung” zwischen 1864 und 1906 betrieben wird. Der russische Literat Anton Tschechow schrieb demnach einst in einem Buch, um hier zu überleben, müsse man entweder verrückt oder betrunken sein.
1905 spitzen sich die Rivalitäten zwischen Russland und Japan zu einem Krieg zu, in dessen Verlauf die überlegenen Japaner zunächst einmal einen Großteil der russischen Flotte bei der Seeschlacht von Tsushima versenken und anschließend als vermeintliche Siegermacht auch Sachalin besetzen. Beide Nationen handeln schließlich unter Fürsprache der USA ein Friedensangebot aus, bei dem die Insel in zwei Teile geteilt wird: Der Süden verbleibt in japanischem Besitz, der Norden ist fortan russisch.
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Gefährliches Bauprojekt auf dem Kap Aniva
1937 beginnen die Japaner schließlich laut der Seite „Go Sakhalin” mit dem Bau eines Leuchtturms auf dem Kap Aniva, denn zuvor waren dort immer wieder Schiffe verunglückt und gesunken. 31 Meter hoch ist er, als er nach zwei Jahren Bauzeit 1939 fertig gestellt wird, neun Stockwerke mit Platz für bis zu zwölf Personen. Der Architekt, Miura Shinobu, hatte davor bereits zahlreiche Leuchttürme gebaut, und so gelang ihm auch dieses Projekt – das unter anderem dadurch erschwert worden war, dass sämtliche Baumaterialien über das stürmische Meer angeliefert werden mussten.
Doch schon ein paar Jahre später verliert Japan 1945 wieder die Kontrolle über seinen Teil von Sachalin und damit auch den Leuchtturm, denn als unterlegene Macht im Zweiten Weltkrieg muss das Land all seine Territorien abgeben. Sachalin wird nun vollständig der Sowjetunion zugesprochen, und so gelangt auch der Leuchtturm nur sechs Jahre nach seiner Fertigstellung unter russische Kontrolle.
Atom-Leuchtturm ist radioaktiv verseucht
Für die nächsten 61 Jahre war er dann auch in Betrieb, sein Licht strahlte in einem Radius von mehr als 28 Kilometern, um nahende Schiffe zu warnen. Lange wurde die Lampe mechanisch betrieben, musste alle drei Stunden vom Personal des Leuchtturms immer wieder aufgezogen werden, doch in den 1990er Jahren entschied man sich schließlich, auf einen automatischen Betrieb umzustellen. Und zwar einen, der durch einen Atomreaktor gespeist wurde.
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2006 wird der Leuchtturm auf Kap Aniva dann endgültig aufgegeben und angeblich auch das gefährliche radioaktive Material entfernt. Die Seite „Lighthouses of Russia” behauptet allerdings, immer noch würden sich in dem Gebäude bis zu 300 Kilogramm Quecksilber befinden. Ob der Ort tatsächlich auch heute noch potenziell gefährlich ist, oder warum er aufgegeben wurde, ist nicht bekannt. Jedoch ist er heute eine der wenigen Touristenattraktionen auf Sachalin. Touren bucht man laut „Go Sakhalin” am besten zwischen Juni und September.
Laut der Fernsehsendung „Galileo” kämen mittlerweile jede Woche hunderte Touristen, da sich der Leuchtturm zu einem „Instagram-Hotspot” entwickelt habe. Das war zumindest vor der Corona-Pandemie der Fall. Dennoch sei ein Besuch hier aber gefährlich, denn der Turm sei radioaktiv verseucht, es gäbe immer noch Strahlung.