4. Mai 2021, 6:11 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Mehr als 50 Jahre lang wurden Lepra-Kranke in Griechenland auf die kleine Insel Spinalonga verbannt. Wer dort landete, existierte für den Staat quasi nicht mehr. Und selbst als es längst ein Heilmittel gab, ließ man die Menschen weiter leiden. Heute ist der Ort eine Touristenattraktion.
Unweit von Kreta, Griechenlands größter Insel, liegt das kleine Eiland Spinalonga. Eigentlich gibt es hier nicht viel zu sehen, außer ein paar Ruinen aus der Zeit der venezianischen Herrschaft. Dennoch ist die Insel ein Touristenmagnet, und das liegt an ihrer dunklen Vergangenheit. Denn auf Spinalonga befand sich einst Griechenlands schlimmste Lepra-Kolonie.
Wie die touristische Webseite „Meet Crete“ berichtet, wurden ab 1903 die ersten Lepra-Kranken nach Spinalonga gebracht. Abgeschoben trifft es eher, denn wer die Krankheit hatte, wurde als Aussätziger betrachtet. Sogar kranke Kinder trennte man demnach von ihren Familien und verschleppte sie nach Spinalonga. Auf der Insel lebten sie abgeschieden von der Außenwelt, die sie am liebsten vergessen wollte.
Nur ein Arzt für 400 Menschen
Die Menschen auf Spinalonga lebten in den Ruinen der venezianischen Wehranlage, und für die bis zu 400 Menschen gab es nur einen Arzt. Für den Staat hatten sie da bereits aufgehört, als Menschen zu existieren. Wie die „BBC“ schreibt, war der Umgang mit den Lepra-Kranken gnadenlos. Nicht nur stigmatisierte man sie, sondern beschlagnahmte auch ihren Besitz und ihr Geld. Man nahm ihnen ihre Bürgerrechte und löschte ihre Identität zum Teil aus offiziellen Registern.
Die Kranken bekamen eine kleine monatliche Zuwendung, die meist nicht einmal reichte, um Essen und Medikamente zu kaufen. So vegetierten die Menschen auf Spinalonga bis 1930 in katastrophalen Zuständen, bis ein Mann namens Epameinondas Remoundakis auf die Insel kam. Als Jura-Student, der selbst erkrankt war, begann Remoundakis, die Inselbewohner zu vereinen. Wo vorher ein schierer Überlebenskampf geherrscht hatte, gründete er die „Bruderschaft der Kranken von Spinalonga“.
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Warum es auf Spinalonga keine Spiegel gab
Man begann nun mit der Renovierung von Häusern und Straßen, baute ein Theater und sogar ein Kino. Die Kranken durften fortan auch untereinander heiraten, manchmal gaben musikalische begabte Bewohner von Spinalonga Konzerte. Eines jedoch war auf der Insel streng verboten: Spiegel. Niemand wollte sich aufgrund der Krankheit selbst sehen.
1948 dann wurde endlich ein Heilmittel gegen Lepra gefunden. Doch das bedeutete längst noch nicht das Ende des Leidens für viele Bewohner. Erst 1957 wurde die Kolonie auf Spinalonga endgültig geschlossen. Die letzten 30 Insassen brachte man in eine Klinik in Athen. Auslöser war der Besuch eines britischen Arztes gewesen, der Spinalonga ein vernichtendes Zeugnis ausstellte. Der griechische Staat versuchte nun mit allen Mitteln, die Erinnerung an die Lepra-Insel auszulöschen.
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Die Lepra-Kolonie wird zum Touristen-Magnet
Sämtliche Akten wurden verbrannt, und wer auf Spinalonga gelebt hatte, weigerte sich meist, darüber zu reden. Es war, als habe die Insel nie existiert, wie die „BBC“ schreibt. Dieser Zustand hätte wohl auch angehalten, doch bereits in den 1980er Jahren kamen plötzlich immer mehr Touristen nach Spinalonga. Sie wollten die ehemalige Lepra-Kolonie mit eigenen Augen sehen. Plötzlich war die schreckliche Vergangenheit ein probates Mittel, Geld zu verdienen.
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Der Hype nahm zu, als die Autorin Victoria Hislop 2005 ihren Roman „Insel der Vergessenen“ veröffentlichte, der auf Spinalonga spielte. Daraufhin folgte 2010 im griechischen Fernsehen die Hit-Serie „To Nisí“ (Die Insel). Mittlerweile ist Spinalonga ein Touristenmagnet, zur Hochsaison kommen täglich 5000 Menschen.
Heute gibt es auf der ehemaligen Lepra-Insel daher auch Shops, ein Café und sogar eine kleine Schule. Auch die Anlage, in der regelmäßig Kleidung der Kranken verbrannt wurde, steht noch. 2013 bekamen dann auch die Toten von Spinalonga endlich eine angemessene Würdigung. Nachdem zahlreiche Touristen den Friedhof geschändet hatten, bettete man ihre Knochen um.
Die Corona-Lage in Griechenland: Aktuell ist das Land nach Angaben des Auswärtigen Amts als Risikogebiet eingestuft, vor Reisen dorthin wird gewarnt.