20. Januar 2025, 12:10 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Mehr als 50 Jahre lang wurden Menschen, die an Lepra erkrankt waren, auf die kleine griechische Insel Spinalonga verbannt. Für den Staat wurden sie dort praktisch unsichtbar gemacht und vom Rest der Gesellschaft ausgeschlossen. Selbst nachdem es bereits ein Heilmittel gab, wurden die Erkrankten dort weiterhin ihrem Leid überlassen. Heute zieht der Ort zahlreiche Menschen aus aller Welt an.
Nur einen Katzensprung von Kreta entfernt, liegt die kleine Insel Spinalonga vor der Küste Griechenlands. Auf den ersten Blick bietet sie kaum mehr als einige Ruinen aus der venezianischen Ära. Doch gerade ihre düstere Vergangenheit macht Spinalonga zu einem Anziehungspunkt für Schaulustige. Denn einst war sie die Heimat von Griechenlands berüchtigtster Lepra-Kolonie.
Übersicht
Laut der Tourismus-Website „Meet Crete“ wurden bereits ab dem Jahr 1903 die ersten Lepra-Erkrankten auf die Insel Spinalonga gebracht. Das Wort „abgeschoben“ beschreibt es wohl treffender, denn die Betroffenen galten als die Ausgestoßenen. Selbst vor erkrankten Kindern machte das Land keinen Halt, diese wurden ihren Familien entrissen und nach Spinalonga verbannt. Dort lebten sie isoliert von jener Außenwelt, welche sie am liebsten vollständig vergessen wollte.
Nur ein Arzt für 400 Menschen
Die Menschen auf Spinalonga lebten in den Ruinen einer venezianischen Wehranlage, für die bis zu 400 Menschen gab es damals nur einen Arzt. Für den Staat hatten sie da bereits aufgehört, als Menschen zu existieren. Wie die „BBC“ schreibt, sei der Umgang mit den Lepra-Kranken gnadenlos gewesen. Nicht nur, dass sie stigmatisiert wurden, man beschlagnahmte auch ihren Besitz und ihr Geld. Man nahm ihnen ihre Rechte und löschte ihre Identität teilweise sogar aus offiziellen Registern.
Die Erkrankten bekamen eine kleine monatliche Zuwendung, die zumeist nicht einmal ausreichte, um Essen und Medikamente zu kaufen. So vegetierten die Menschen auf Spinalonga in katastrophalen Zuständen, bis 1930 ein Mann auf die Insel kam. Der Jura-Student Epameinondas Remoundakis war selbst an Lepra erkrankt und begann nun, die Menschen auf der Insel zu vereinen. Wo vorher ein schierer Überlebenskampf geherrscht hatte, gründete er die „Bruderschaft der Kranken von Spinalonga“.
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Warum es auf Spinalonga keine Spiegel gab
Man begann nun mit der Renovierung von Häusern und Straßen, baute ein Theater und sogar ein Kino. Die Kranken durften einander fortan sogar heiraten, manchmal gaben musikalische begabte Talente auf der Insel Konzerte. Eines jedoch war auf der Insel streng verboten: Spiegel. Denn aufgrund der optisch entstellenden Krankheit wollte sich niemand selbst sehen.
1948 dann wurde endlich ein Heilmittel gegen Lepra gefunden. Doch das bedeutete längst noch nicht das Ende des Leidens für die Erkrankten. Erst 1957 wurde die Kolonie auf Spinalonga endgültig geschlossen. Die letzten 30 Insassen brachte man in eine Klinik in Athen. Auslöser war der Besuch eines britischen Arztes, der Spinalonga ein vernichtendes Zeugnis ausstellte. Der griechische Staat versuchte nun mit allen Mitteln, die Erinnerung an die Lepra-Insel auszulöschen.
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Die Lepra-Kolonie wird zum Touristen-Magnet
Sämtliche Akten wurden verbrannt und wer einst auf Spinalonga gelebt hatte, hüllte sich ohnehin meist in Schweigen. Es war, als habe die Insel nie existiert, wie die „BBC“ schreibt. Dieser Zustand hätte wohl auch weiterhin angehalten, doch in den 1980er-Jahren kamen plötzlich immer mehr Leute nach Spinalonga. Sie wollten die ehemalige Lepra-Kolonie mit eigenen Augen sehen. Plötzlich war die schreckliche Vergangenheit ein probates Mittel, um Geld zu verdienen.
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Der Hype nahm zu, als die Autorin Victoria Hislop 2005 ihren Roman „Insel der Vergessenen“ veröffentlichte, der auf Spinalonga spielte. Daraufhin folgte 2010 im griechischen Fernsehen die Hit-Serie „To Nisí“ (Die Insel). Mittlerweile ist Spinalonga ein Touristenmagnet, zur Hochsaison kommen täglich bis zu 5000 Menschen.
Daher gibt es heute auf der ehemaligen Lepra-Insel auch Shops, ein Café und sogar eine kleine Schule. Auch die Anlage, in der regelmäßig Kleidung der Kranken verbrannt wurde, steht heute noch. 2013 bekamen dann auch die Opfer von Spinalonga endlich eine angemessene Würdigung. Nachdem zahlreiche Besucher der Insel den Friedhof geschändet hatten, bettete man die Knochen der Verstorbenen um.