18. Mai 2021, 15:14 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Auf den ersten Blick gleicht er einem verrosteten Gullydeckel. Doch unter dem Deckel verbirgt sich nicht nur ein mehr als zwölf Kilometer tiefer Schacht, sondern obendrein ein düsteres Geheimnis.
Der ominöse Deckel befindet sich auf der Halbinsel Kola im Nordwesten Russlands. Genauer gesagt: in einer verlassenen Forschungsanlage etwa zehn Kilometer südwestlich der Stadt Sapoljarny und 160 Kilometer nordwestlich der Hafenstadt Murmansk. Wer nicht weiß, was sich unter dem unscheinbaren Deckel verbirgt, wird ihn wohl keines Blickes würdigen. Wissenden hingegen wird bei seinem Anblick das Blut in den Adern gefrieren. Denn unter dem Deckel öffnet sich ein mehr als zwölf Kilometer tiefes Loch, das nicht nur das tiefste Loch der Erde ist, sondern um das sich obendrein düstere Schauergeschichten ranken.
Die Bohrung des tiefsten Lochs der Erde
Die Bohrung des Superlochs war ein ehrgeiziges Projekt der Sowjets während des Kalten Krieges. Die ehemalige UdSSR investierte Millionen, um noch weiter ins Erdreich vorzustoßen, als die USA es mit ihrem 9584 Meter tiefen Bohrloch „Bertha Rogers“ in Oklahoma bereits getan hatten. Zudem sollten die Bohrungen auf der Halbinsel Kola mit Gesteinsaltern bis zu 3,5 Milliarden Jahren geologischen Forschungen dienen.
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Am 24. Mai 1970 wurde nach jahrelanger Vorbereitung schließlich mit der sogenannten „Kola-Bohrung SG-3“ begonnen. 15.000 Meter, so war ursprünglich geplant, sollte der Bohrer sich Stück für Stück Richtung Mittelpunkt der Erde vorarbeiten. Auf seinem Weg in bislang unergründete Tiefen machten die Forscher eine Reihe von Entdeckungen. Sie vernahmen Geräusche, anhand derer sie seismografische Aktivitäten voraussagen konnten. Darüber hinaus stießen sie in einer Tiefe von 3000 Metern auf eine Mondgestein-ähnliche Substanz, in 6000 Metern schließlich auf Gold. Als der Bohrer im Jahr 1989 die Tiefenmarke von 12.262 Meter erreicht hatte, machten die Geologen allerdings auch weniger erfreuliche Entdeckungen: In dieser Tiefe lag die Temperatur nicht, wie erwartet, bei 100 Grad Celsius, sondern bei 180 Grad, was die weitere Bohrung erschwerte, berichtet u. a. „Spiegel Online“.
„Wir haben die Decke der Hölle angebohrt“
Etwa zur selben Zeit kamen in der Welt Gerüchte auf, die Wissenschaftler auf der Halbinsel Kola wären bei der Bohrung auf die Hölle gestoßen. Nachdem der Bohrkopf einen Hohlraum mit Temperaturen von mehr als 1000 Grad Celsius erreicht hatte und plötzlich ins Leere drehte, wie berichtet wird, ließen die Wissenschaftler eine Kamera und ein Mikrofon in den Schacht hinab. Während die Kamera aufgrund der Hitze versagte, nahm das Mikrofon hingegen eine kurze Zeit lang auf. Bei dem was die Geologen anschließend auf der Aufnahme hörten, sollte ihnen der Atem stocken.
„Wir hörten Menschen, die vor Schmerz heulten, die Stimmen von Millionen“, soll Projektleiter Dr. Dimitri Azzacov später gesagt haben. Er glaube weder an Gott noch an den Himmel, „aber jetzt glaube ich an die Hölle. Wir sind davon überzeugt, dass wir damals die Decke der Hölle angebohrt haben.“
Gerüchte über die Höllenbohrung verbreiten sich wie Feuer
Ein norwegischer Lehrer schmückte die Geschichte anschließend aus und übermittelte sie der US-amerikanischen Fernsehsenderfamilie Trinity Broadcasting Network (TBN). Trotzdem TBN Zweifel an der Wahrheit der Geschichte hegte, gab der Sender sie an einen texanischen Fernsehprediger weiter, der die Höllenbohrung dann in den gesamten USA verbreitete, wie „Spiegel Online“ schreibt.
Was es mit den menschlichen Schreien, die die Wissenschaftler aus mehr als zwölf Kilometern Tiefe vernommen haben wollen, tatsächlich auf sich hatte, konnte nie hinreichend geklärt werden. Denn eine giftige Gaswolke, die den Gerüchten zufolge aus dem Bohrloch nach oben geschossen sein soll, habe weitere Nachforschungen verhindert.
Soweit die Gerüchte. Dass die Geologen damals menschliche Stimmen beziehungsweise ähnlich klingende Geräusche aus der Tiefe gehört haben sollen, hält Serge Shapiro, Professor für Seismologie und Geophysik an der Freien Universität Berlin, schlichtweg für „Fake News“, wie der Wissenschaftler gegenüber TRAVELBOOK sagt. Signale von seismischem Rauschen oder Mini-Erdbeben hingegen seien in so einer Tiefe durchaus wahrnehmbar.
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Das Ende der Bohrarbeiten
Die Kola-Bohrung wurde 1992 vollständig eingestellt, 2012 war der Bohrturm abgerissen. Heute erinnern an das ehrgeizige Projekt nur noch die verfallenen, ehemaligen Arbeiterbarracken und Forschungslabore sowie eben jener rostige Deckel, der das tiefste Loch der Erde und ein tiefes, düsteres Geheimnis birgt.