10. Oktober 2020, 7:46 Uhr | Lesezeit: 3 Minuten
Man sagte ihnen, sie müssten nur vorübergehend ihre Häuser verlassen – und doch durfte bis heute kein Bewohner von Tyneham in seine ehemalige Heimat zurückkehren. TRAVELBOOK erzählt die traurige Geschichte des Geisterdorfes.
Als die Bewohner des kleinen Dorfes Tyneham im englischen County Dorset im Dezember 1943 ihre Häuser nahe der Küste verlassen mussten, hinterließen sie an der Kirchentür eine Notiz: „Bitte behandeln Sie die Kirche und die Häuser sorgsam – wir haben unsere Heimat aufgegeben, wo viele von uns seit Generationen leben, um unseren Beitrag zum Krieg und der Freiheit zu leisten. Eines Tages werden wir wiederkehren, und uns dafür bedanken, dass Sie unser Dorf gut behandelt haben.”
Ohne es zu ahnen, verfassten die wenigen Hundert Bewohner von Tyneham mit diesem Schriftstück damals einen tragischen Abschiedsbrief, denn keiner von ihnen sollte sein Haus je wieder bewohnen dürfen – und das Dorf wurde ein heute fast vergessener Nebenschauplatz einer der größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte.
Vertrieben vom Militär
Denn es war der Zweite Weltkrieg, der das Schicksal von Tyneham besiegelte, ein Ort, an dem Besiedlung laut der Seite „Dorset Guide” bis in die Eisenzeit nachweisbar ist. Das britische Militär gab am 19. Dezember 1943 die Order, alle Bewohner hätten das Dorf innerhalb weniger Tage zu verlassen. Die Truppen brauchten ein Gelände, auf dem sie sich für den ein halbes Jahr später statt findenden D-Day in der Normandie vorbereiten konnten.
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Ursprünglich hieß es, die Bewohner von Tyneham dürften bald in ihre Heimat zurück kehren, doch das Militär brach sein Versprechen und erwarb 1948 das Land, auf dem Tyneham bis heute steht, durch einen erzwungenen Verkauf. Heute gehört das Dorf zur sogenannten „Lulworth Ranges”, einem vom britischen Militär noch immer genutzten Gelände. Dennoch gelang es auf Druck ehemaliger Einwohner zumindest, Tyneham ein Stück weit zurückzugewinnen: An vielen Wochenenden und in den Schulferien kann man den Ort, der seinen Bewohnern gestohlen wurde, mittlerweile besuchen.
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Auch heute noch wird hier geschossen
Tyneham ist in der Zwischenzeit dabei längst zu einem Geisterdorf geworden, die Mauern vieler Häuser eingestürzt, die Fassaden verwittert. Die Kirche aus dem 13. Jahrhundert und das Schulhaus dagegen sind durch Pflege erhalten geblieben, immer noch steht mitten im Ort eine der typischen englischen Telefonzellen. Doch auch heute noch wird das Gebiet regelmäßig abgesperrt, erklingen hier Schüsse der Militärübungen, die dann durchgeführt werden – und auf traurige Weise an das Dorf erinnern, dass seinen Bewohnern gestohlen wurde.