28. November 2023, 15:09 Uhr | Lesezeit: 3 Minuten
Eine raumschiffartige Kapsel verfällt unter Algenranken und Korallen, verwitterte Haikäfige haben sich tief in den Meeresboden gegraben. Mitten im Roten Meer liegen die Ruinen eines Unterwasserdorfes, dessen Geschichte völlig in Vergessenheit geraten ist.
1962 wurde laut der Webseite der Cousteau Society 35 Kilometer von der sudanesischen Küste entfernt die Menschen-Siedlung Précontinent I auf dem Grund des Roten Meeres gebaut. Der Meeresforscher Jacques-Yves Cousteau wollte mit ihrer Konstruktion demnach beweisen, dass Menschen für längere Zeit unter Wasser leben können, und zwar nicht in U-Booten, sondern in stabilen Gebäuden am Meeresgrund. Um dieses Experiment zu finanzieren, überredete der Franzose die nationale Petroleumbehörde Frankreichs, seine Forschungen zu sponsern. Cousteau entwickelte drei verschiedene Unterwasser-Habitate, die an verschiedenen Stellen der Weltmeere installiert wurden. Nur das zweite dieser Projekte ist heute noch sichtbar: Die ein Jahr später installierte Précontinent II.
Platz für mehrere Menschen
Die Siedlung bestand laut dem Bericht der Cousteau Society aus mehreren Gebäudekomplexen: Die Kapsel – heute Hauptattraktion für Hobbytaucher – war einst das sogenannte Seestern-Haus. Es beinhaltete Schlaf-Gelegenheiten, einen Wohn- und Essraum, sanitäre Einrichtungen und einen Raum zur Tauchvorbereitung. Die Konstruktion ruhte auf zwei Meter langen Teleskop-Beinen. Sie konnten dem Untergrund angepasst werden. Hier wohnten mehrere Ozeanografen, Cousteau und seine Frau.
Vom Seestern gingen mehrere Räume ab, in denen noch einmal bis zu acht Taucher wohnen konnten. Der daneben gelegene „Seeigel“ wurde als Garage für ein U-Boot genutzt, das bis zu einer Tauchtiefe von 300 Meter eingesetzt werden konnte. Nördlich davon lag ein Geräteschuppen, in dem Scooter und Flaschen aufbewahrt waren. Über das gesamte Gelände verteilt wurden in den unterschiedlichsten Tiefen Haikäfige aufgestellt.
Die Forscher nannten sich Aquanauten
Den Aufbau und Alltag im Habitat schilderte Cousteau in seinem 1964 erschienenen Film Le monde sans soleil (franz. für Welt ohne Sonne): Ziel der Forschungen war es, die Crew vier Wochen lang auf einer Tiefe von zehn Metern zu stationieren, wo sie ein Gemisch aus Luft und Helium zum Atmen nutzten. Man wollte beweisen, wie gut Menschen unter Wasser leben konnten und die Funktion verschiedener Unterwasser-Werkzeuge testen. Außerdem sammelten die Forscher Fische und andere Meerestiere, um sie zu untersuchen und später auszustellen. Die Précontinent-Bewohner nannten sich selbst „Aquanauten.“
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60 Mitarbeiter überwachten die Mission an Land. Verpflegung wurde von Kurieren zum Habitat gebracht. Außerdem kam ein Arzt regelmäßig zur medizinischen Untersuchung der Besatzung. Ein Teil der Crew blieb einen ganzen Monat lang unter Wasser.
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Bau einer weiteren Siedlung – aber ohne Cousteau
Nach dem erfolgreichen Abschluss der Mission Précontinent II baute das Team 1965 noch eine weitere Siedlung nahe der französischen Hafenstadt Nizza. Diesmal jedoch forderte die Petroleumbehörde, dass es bei diesem Projekt mehr um die Erschließung von Erdöl-Förderungsmöglichkeiten als um wissenschaftliche Forschung gehen müsse. Da beschloss der mittlerweile zum Umweltschützer gewordene Cousteau, aus dem Deal auszusteigen und konzentrierte sich den Rest seines Lebens auf den Schutz der Weltmeere. Seit Cousteaus Ausstieg gerieten die Habitate in Vergessenheit.
Wer die Ruinen von Précontinent II erkunden will, kann dies normalerweise entweder auf eigene Faust tun oder aber eine Tauch-Safari bei verschiedenen professionellen Anbietern vor Ort buchen. Startorte gibt es sowohl in Ägypten als auch in der Republik Sudan. Die verschiedenen Gebäude der Siedlung liegen nur 7 bis 12 Meter tief und die Strömung ist eher schwach. Die Erkundung des französischen Unterwasserdorfes ist also auch etwas für Tauchanfänger.