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Bewohner wurden vertrieben

Wollseifen – das verlassene Dorf in der Eifel

Das Eifel-Dorf Wollseifen existiert eigentlich bereits seit 1946 nicht mehr. Trotzdem weigern sich einige der ehemaligen Bewohner immer noch, ihre Heimat für immer aufzugeben
Das Eifel-Dorf Wollseifen existiert eigentlich bereits seit 1946 nicht mehr. Trotzdem weigern sich einige der ehemaligen Bewohner immer noch, ihre Heimat für immer aufzugeben Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb
Robin Hartmann Autorenkopf
Freier Autor

28. August 2024, 12:14 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten

Mitten im Nationalpark Eifel liegt das kleine Dorf Wollseifen. Oder besser gesagt, das, was heute noch davon übrig ist. Denn offiziell existiert der Ort bereits seit 1946 nicht mehr. Er wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in einen Truppenübungsplatz umgewidmet, seine Bewohner wurden vertrieben. Doch ganz verschwunden ist das verlorene Dorf auch heute noch nicht.

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Das Wort „Lost Place“ wird heutzutage auch im deutschen Sprachgebrauch oft verwendet, um einen verlassenen Ort zu beschreiben. Dabei bedeutet das Wort „lost“ übersetzt eigentlich verloren, und genau diese Bezeichnung trifft auch auf das kleine Eifel-Dorf Wollseifen zu. Oder vielmehr auf das, was heute noch davon erhalten ist. Denn seine Bewohner haben ihre Heimat vor fast 80 Jahren tatsächlich verloren, als sie nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges von den Briten von dort vertrieben wurden. Bis 2006 war das der Status Quo, Wollseifen nur noch ein Geisterdorf. Doch seitdem ist hier wieder Leben eingekehrt – zumindest ein wenig.

Es ist der 18. August 1946, als die Bewohner von Wollseifen wie aus heiterem Himmel eine Hiobsbotschaft erreicht. Ihre Heimat, bereits im 12. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt, soll geräumt werden, denn die Briten wollen hier einen Truppenübungsplatz errichten. Wie der Landschaftsverband Rheinland berichtet, hatten sie als eine der Siegermächte im Zweiten Weltkrieg bereits die nahegelegene „Ordensburg“ Vogelsang von den Nazis übernommen, nun muss der kleine Ort selbst weichen. Die etwa 550 Bewohner, die gerade erst zurückgekehrt waren und die schweren Kriegs-Zerstörungen notdürftig beseitigt hatten, stehen unter Schock. Für das Verlassen ihrer Heimat gibt man ihnen nicht einmal drei Wochen.

Verlorene Heimat

Wollseifen
Die ehemalige NS-Ordensburg Vogelsang. Von hier aus führten die Briten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ihre Geschäfte. Und beschlossen auch, Wollseifen als Truppenübungsplatz zu nutzen. Foto: dpa Picture Alliance/Henning Kaiser

Dem „WDR“ erzählte der ehemalige Einwohner Franz-Josef Sistig bereits 2008, was damals in Wollseifen für eine Untergangsstimmung geherrscht habe. Der offizielle Räumungstermin war bereits der 1. September 1946, dabei hatte man noch nicht einmal das Obst und die Kartoffeln geerntet. Doch es half alles nichts, 120 Familien mussten sich quasi über Nacht eine neue Bleibe suchen. Eine neue Heimat fanden viele von ihnen nie wieder, zumindest nicht im Herzen. Was noch schlimmer ist: Ihr geliebtes Dorf wird zunächst von den Briten, ab 1950 dann von den Belgiern und NATO-Truppen als lebensechte Kulisse genutzt, um den Häuserkampf zu üben. Dass in diesen Häusern einmal Menschen gelebt haben, scheint zweitrangig zu sein.

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Und so verfällt Wollseifen nicht einfach, sondern wird bei Manövern sukzessive zerschossen. Einige mutige Bewohner wie Sistig kehren trotzdem manchmal nachts zurück, um sich etwas von dem wiederzuholen, was sie in der Eile zurücklassen mussten. Einmal gerät er dabei mitten in eine Übung, bei der mit scharfer Munition geschossen wird, und versteckt sich in einer Scheune. Erst Mitte der 1950er-Jahre entschädigt die Bundesregierung die Menschen von Wollseifen für deren Vertreibung, kauft ihnen ihre verlorenen Grundstücke ab. „Zu gedrückten Preisen“, wie Sistig dem „WDR“ sagte.

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Heute für jedermann zugänglich

Viele ehemalige Bewohner können ihr Wollseifen aber einfach nicht vergessen, gründen 1962 einen Heimatverein. Die Belgier erlauben ihnen, den 40. und 50. Jahrestag ihrer Vertreibung vor der St.Rochus-Dorfkirche zu feiern, die als eines der wenigen Gebäude bis heute steht. Erhalten sind außerdem das alte Schulgebäude, ein Trafohäuschen sowie eine Kapelle am Ortseingang. Auf Landkarten wird Wollseifen heute aber als „Wüstung“ bezeichnet. Beamtendeutsch für „verlassener Ort“. Es liegt mitten im Nationalpark Eifel, einem beliebten Wandergebiet.

Ende 2005 dann geschah aber doch noch ein kleines Wunder in Wollseifen. Damals zogen die Belgier endgültig ab, seit dem 1. Januar 2006 ist das verlorene Dorf wieder offiziell für Jedermann zugänglich. Heute wird der Ort zudem als Bodendenkmal geführt. Am 17  August 2008 feierte man in Wollseifen die Restaurierung der Kirchenruine, seitdem erstrahlt das Gotteshaus, als könnten seine Schäfchen jeden Augenblick wieder zurückkehren. Den Ort findet man heute am besten über die Geodaten, die man auch auf Google Maps einsehen kann: 50.57975457868885, 6.424175061225385.

Diesen und viele weitere spannende Orte in Deutschland stellt übrigens Autor Moritz Wollert in seinem neuen Buch „Der verrückteste Reiseführer Deutschlands 2“ vor, erschienen am 23. Mai 2023 im riva Verlag.

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Tipps für die Anfahrt nach Wollseifen

Der Seite des „Traditions- und Fördervereins Wollseifen e.V.“ zufolge ist der Ort nicht mit dem Auto erreichbar. Dafür fährt von April bis Ende Oktober jeden 1. und 3. Sonntag eine Kutsche dorthin. Die Kutschen fahren vom nahen Vogelsang aus um 11.30 Uhr sowie 14.15 Uhr. Die einfache Fahrt kostet für Erwachsene 5 Euro, Hin- und Rückfahrt 9 Euro. Kinder zahlen 2,50 Euro bzw. 4,50 Euro. Auf der Website findet man unter anderem auch eine Liste mit den Namen aller Menschen, die damals vertrieben wurden. Insofern kann man Wollseifen vielleicht tatsächlich zurecht als „Lost Place“ bezeichnen. Verlassen, aber nicht verloren.

Autorin Louisa Stoeffler
Louisa Stoeffler

Leider kein Geheimtipp mehr

„Ich bin 2023 auf einer Fernwanderung den Eifelsteig abgelaufen und wollte es mir nicht nehmen lassen, das verlassene Dorf Wollseifen zu besichtigen. Auf dem Weg von Monschau arbeitet man sich auf ein Plateau hinauf, auf dem sich, so weit das Auge reicht, nichts Menschengemachtes befindet. Man hört nicht einmal etwas anderes als Vögel und den Wind, der über die Ebene streift – wenn man nicht gerade in eine Gruppe von Touristen mit Selfie-Sticks und Turnschuhen gerät, die einem aus Richtung des verlassenen Dorfes entgegenkommen.
Hat man den Ortseingang erst einmal erreicht, zeigen sich vermauerte Eingänge von verminten Truppenunterkünften. Und sobald man den Ortskern erreicht: erneut Selfie-Touristen. Besonders in Erinnerung habe ich eine spärlich bekleidete Influencerin und ihren leicht schmierig wirkenden Fotografen, die eine halbe Stunde lang in der entweihten Dorfkirche eine Fotosession veranstalteten. Als ‚normaler‘ Wandertourist gab es kaum eine Möglichkeit, die Verlassenheit des Ortes tatsächlich auf sich wirken zu lassen.
Der ‚Lost Place‘ Wollseifen ist also schon lange kein Geheimtipp mehr. Wer jedoch auch noch auf etwas anderes als Selbstinszenierung Wert legt, der kann auf vielen Infotafeln in der Ortsmitte und dem angrenzenden Schulgebäude viel über die Geschichte des Dörfchens lernen.“

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