2. April 2023, 15:51 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
In der Nähe von Berlin gibt es einen Ort, der jahrzehntelang als „verbotene Stadt“ galt – Wünsdorf. Zehntausende Menschen lebten hier, heute sind aus dieser Zeit noch immer zahlreiche Bunker und Ruinen übrig. TRAVELBOOK war vor Ort und hat sich umgeschaut.
Mit dem Zug ist man von Berlin in weniger als einer Stunde in Wünsdorf. Der Ort ist heute ein Teil der Stadt Zossen und wirkt zunächst vor allem unscheinbar. Wer dort ankommt, ahnt nicht, dass ausgerechnet dieser Ort einst als „verbotene Stadt“ bekannt war. Denn Wünsdorf hat eine jahrzehntelange Geschichte als wichtiger Militärstützpunkt. Erst im Ersten Weltkrieg, dann während des Nationalsozialismus und später für die Sowjetarmee. Heute zeugen noch verfallene und verlassene Gebäude und zahlreiche Bunker von der Vergangenheit.
TRAVELBOOK war vor Ort und erzählt die Geschichte eines der spannendsten Lost Places in Brandenburg.
Wünsdorf früh militärisch genutzt
Aufzeichnungen zeugen davon, dass es Wünsdorf schon seit Mitte des 16. Jahrhunderts gibt. Doch an Relevanz gewann der Ort erst mit dem Beginn der militärischen Nutzung. So wurde schon 1872 der größte Schieß- und Versuchsplatz Preußens in dem Ortsteil erbaut. 1910 kamen Truppenübungsplätze für das damalige Deutsche Kaiserreich hinzu und wurden 1914 um eine Militärsportschule erweitert.
Während des Ersten Weltkriegs wurde in Wünsdorf zudem das „Halbmondlager“ gebaut, ein Lager für vorwiegend muslimische Kriegsgefangene, in dem zeitweise bis zu 30.000 Menschen lebten. Für diese Gefangene wurde am 13. Juli 1915 eine Moschee eingeweiht – es war die Erste in Deutschland. Sie sollte dabei helfen, die Muslime davon zu überzeugen, für Deutschland zu kämpfen.
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Als 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kamen, übernahmen sie die Bauten Wünsdorfs und erweiterten den Ort um Bunker und andere Militärgebäude. Das Hauptquartier des Oberkommandos des Deutschen Heeres und die Nachrichtentechnik des Deutschen Reiches wurden in den zwei Bunkern „Zeppelin“ und „Maybach“ untergebracht. Unter anderem war hier auch Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg stationiert.
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Die „verbotene Stadt“ Wünsdorf
Als das nationalsozialistische Deutschland 1945 besiegt war, wurde Wünsdorf zum Standort des Oberkommandos der Sowjet-Streitkräfte Deutschlands. 35.000 Sowjets waren in Wünsdorf stationiert. Sie verwandelten den Ort zu einer in sich funktionierenden Stadt um: Neu erbaute Geschäfte, Theater, Brotfabriken, Schulen und ein Krankenhaus ermöglichten ein selbstständiges sowjetisches Städtchen in Brandenburg. Selbst eine Eisenbahnlinie direkt nach Moskau wurde gebaut.
Den Beinamen „verbotene Stadt“ erhielt Wünsdorf, weil den meisten Deutschen der Zugang zu dem Ort verwehrt blieb. Die 600 Hektar große Militärstadt wurde ummauert und streng bewacht. Neben den Russen hatten lediglich circa 1000 DDR-Bürger, die dort arbeiteten und über einen speziellen Ausweis verfügten, Zugang. Erst 1994, als die Russen abzogen, kamen wieder mehr Deutsche in die Stadt. Doch lange nicht so viele, wie hier einst lebten – was sich noch heute zeigt.
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So ist es heute in Wünsdorf
Inzwischen ist Wünsdorf ein kleiner Ort mit etwas mehr als 6000 Einwohnern (Stand: 2005). Touristen besuchen den Ortsteil von Zossen vor allem wegen der Gebäude des Zeitgeschehens. Neben den Bauten des Kaiserreichs stehen noch diverse Bunker aus der NS-Zeit in der kleinen russisch geprägten Stadt.
Im Video ganz oben sehen Sie, wie es in Wünsdorf heute ausschaut.
Durch seine idyllische Lage neben dem kleinen und großen Wünsdorfer See inmitten der Natur Brandenburgs zieht Wünsdorf aber nicht nur historisch interessierte Menschen, sondern auch Erholungssuchende aus der Umgebung und Berlin an. Der Ort ist zudem seit 1998 „Bücherstadt“: Hier finden sich geballt zahlreiche Antiquariate.