22. Juli 2020, 18:00 Uhr | Lesezeit: 3 Minuten
Das Autragen von Briefen mag eintönig sein – Ferdinand Cheval machte es umso kreativer. Der Franzose sammelte auf seiner täglichen Botentour Kieselsteine und Felssplitter vom Wegesrand auf und baute daraus innerhalb von 33 Jahren einen beeindruckenden Palast, der in die Geschichte einging.
Tag ein Tag aus absolvierte Ferdinand Cheval († 88) seine Postboten-Tour durch Hauterives, eine kleine Gemeinde im französischen Département Drôme, doch zu eintönig war ihm das offenbar nie. Immerhin entdeckte der Landbriefträger am Wegesrand Kieselsteine, Felssplitter und Flusssteine in den ungewöhnlichsten Formen, die er auf seinen rund 30 Kilometer Arbeitswegen jeden Tag einsammelte. Die Steine inspirierten ihn zu einem Traum – seinem „Luftschloss“, sozusagen. Und daraus machte er mit seinen bloßen Händen Wirklichkeit – und erschuf einen Palast, der später sogar Friedensreich Hundertwasser inspirieren sollte.
Es war im Jahr 1879, als Cheval damit anfing, die Steine in seine Schubkarre einzusammeln und mit zu sich nach Hause zu nehmen, wo schließlich bald eine Baustelle entstand. Ohne handwerkliche Ausbildung – Cheval hatte die Schule nur bis zu seinem 13. Lebensjahr besucht – begann er mit dem Fundament für einen Palast. 33 Jahre und offenbar eine Menge Hingabe hat der Briefträger investiert, um tausend Kubikmeter Gestein zu einem 24 Meter langen und 12 Meter hohen Ganzen zusammenzufügen.
„Der Traum eines Mannes“
Das heute als „Le Palais Idéal“ (z. Dt. „Der ideale Palast“) bekannte Bauwerk ist optisch eine Mischung aus Pharaonengrab, Hindutempel, Geisterbahn, Kathedrale und Katakombe. Mit seinen ungewöhnlichen Formen und Fassadenskulpturen, labyrinthischen Grottengängen und fantasievollen Dekors ist es keiner Epoche oder Stilrichtung zuzuordnen. So trifft die Beschreibung, die sein Schöpfer in einen der unzähligen Steine gemeißelt hat, darauf am allerbesten zu: „Der Traum eines Mannes.“
Chevals ambitioniertes Vorhaben musste natürlich mit seinem Job vereinbart werden. So gab der verwitwete Briefträger seinen Sohn in die Obhut der Pateneltern und baute bei Öllampenbeleuchtung am Abend – 33 Jahre lang. „Aus Angst, ausgelacht zu werden“, wie er in seinem Tagebuch vermerkte, erzählte er niemand von seinem Projekt, das später eines der ungewöhnlichsten Sehenswürdigkeiten Frankreichs werden sollte.
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Ein eigenes Mausoleum
Für seinen Erschaffer bedeutete der Tempel natürlich die Welt. So hätte er sich gewünscht, nach seinem Ableben darin begraben zu werden, doch das war gesetzlich nicht erlaubt. Und so machte er sich wieder an die Arbeit und erbaute auf dem Dorffriedhof von Hauterives im gleichen Stil sein eigenes Grabmal. Zwei Jahre später, 1924, verstarb er.
Nach Chevals Tod verwalteten zunächst seine Erben das Bauwerk, danach ging es in den Besitz einer öffentlichen Stiftung über. In den 1980er-Jahren begannen Restaurierungsarbeiten, die 1994 zum Ende kamen. Seither zieren die beachtlichen Bauten des Postboten französische Briefmarken – und dürfen auch aus nächster Nähe bewundert werden! Die Touristenattraktion „Le Palais Idéal du Facteur Cheval“ („Der perfekte Palast des Briefträgers Cheval“) ist täglich (bis auf Neujahr und den ersten Weihnachtsfeiertag) geöffnet. Der Eintrittspreis für Erwachsene liegt bei etwa 8 Euro, für Kinder und Gruppen gibt es Ermäßigungen.