19. Oktober 2023, 6:01 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Ende des 16. Jahrhunderts verschwand auf Roanoke Island im US-Bundesstaat North Carolina eine ganze Kolonie englischer Siedler, von denen nie wieder auch nur eine Spur entdeckt wurde. Der Fall ist eines der größten Rätsel in der Geschichte der USA. Archäologen glauben aber, des Rätsels Lösung einen Schritt näher gekommen zu sein.
Es ist der April des Jahres 1587. Vor der Küste von North Carolina geht eine Gruppe von 115 englischen Siedlern auf der Insel Roanoke Island an Land. Sie entstammen mehrheitlich der gehobenen Londoner Mittelschicht, wollen sich in der Neuen Welt eine Existenz aufbauen. Doch nur drei Jahre später sind sie alle verschwunden, ohne auch nur die geringste Spur zu hinterlassen. So entsteht die Legende von Roanoke Island, die bis heute eines der größten Rätsel der US-Geschichte darstellt.
Bereits seit 1584 hatte man unter der Federführung des legendären Seefahrers Sir Walter Raleigh versucht, auf Roanoke eine Kolonie zu etablieren. Doch die ersten zwei Stoßtrupps von Siedlern waren nach kurzer Zeit wieder nach England zurückgekehrt. Und auch John White, Gouverneur der dritten Expedition, machte sich bereits im August 1587 wieder zurück auf den Weg nach England. Das berichtet unter anderem „National Geographic“ . Der Grund: Roanoke Island warf zu wenig ab, den Siedlern waren nach nur vier Monaten bereits die Vorräte knapp geworden.
Spurlos veschwunden
White kehrte nach London zurück, gerade als die Spanier England den Krieg erklärten, wodurch sich seine Rückreise bis zum Jahr 1590 verzögerte. Man kann sein Entsetzen nur erahnen, als er wiederum auf Roanoke Island eintraf – nur, um es vollständig verlassen vorzufinden. Sämtliche Siedler dort, darunter auch seine Tochter und seine Enkelin Virginia, waren spurlos verschwunden. White fand nur die Ruinen der einst so stolzen Siedlung. Und den einzigen möglichen Hinweis, den es bis heute auf das Rätsel gibt.
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In die Rinde von Bäumen rund um die Kolonie waren die Wort „Croatoan“ und „Cro“ eingeritzt. Wie „Encyclopedia Britannica“ schreibt, musste White die weitere Suche wegen eines aufkommenden Sturms abbrechen. Er kehrte unverrichteter Dinge wieder nach England zurück. Seine Familie sollte er nie wiedersehen. Um die verlorene Siedlung von Roanoke Island entstand mit den Jahren eine Legende, wie es in der Geschichte der USA wohl keine zweite gibt. Denn trotz jahrhundertelanger Spurensuche fand man nie heraus, was mit den verschwundenen Siedlern passiert war.
Seuche, Hungersnot oder Massaker?
Schon früh gab es allerdings eine durchaus plausible Theorie, denn das Wort „Croatoan“ deutet möglicherweise auf Hatteras Island hin, das zum Zeitpunkt der tragischen Expedition noch Croatoan Island hieß. Benannt nach dem Stamm Indigener, die dort lebten. Immer wieder wurde vermutet, die Siedler von Roanoke hätten dort versucht, sich ein neues Leben aufzubauen, und wären nach und nach in den Stamm der Ureinwohner assimiliert worden. Solche Fälle gab es über die Jahrhunderte zahlreich.
Laut der Seite „First Colony Foundation”, die sich mit der Geschichte von Roanoke Island beschäftigt, könnten die Siedler aber auch Opfer eines Massakers geworden sein, das der Häuptling Wahunsonacock, der Vater von Pocahontas, im Jahre 1607 an Kolonisten verüben ließ. Wieder andere glauben, die Roanoke-Kolonie wurde von den mit England rivalisierenden Spaniern vernichtet. Genauso wie bei den anderen Theorien, eine Krankheit oder eine Hungersnot könnte die Siedler dahingerafft haben, stellt sich aber eine Frage. Warum fand man dann auf Roanoke Island nicht die geringste Spur der Menschen, die einst hier gelebt hatten?
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Ist das Rätsel endlich gelöst?
2020 kam dann aber unerwartet wieder Bewegung in den jahrhundertelang ungelösten Fall: Laut „National Geographic“ verkündeten gleich zwei Forscher-Teams, Spuren der verschwundenen Siedler entdeckt zu haben. Zum einen wurden etwa 80 Kilometer westlich von Roanoke Island europäische Töpferwaren ausgegraben, die laut einem Archäologen den Menschen aus der verlorenen Kolonie zugeschrieben werden könnten. Aber auch auf Hatteras Island glauben Wissenschaftler, Gegenstände gefunden zu haben, die einst den Siedlern von Roanoke Island gehörten.
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Das würde die Theorie stützen, die Kolonisten hätten sich, unfähig, alleine zu überleben, in mindestens zwei Gruppen aufgeteilt. Die Indigenen, die den Siedlern zu dieser Zeit nicht selten noch durchaus freundlich gesonnen waren, könnten ihnen „fast sicher“ geholfen haben. Später gingen die Europäer dann in deren Stämmen auf. Zweifler geben aber an, die gefundenen Töpferwaren könnten genauso gut aus Jamestown stammen, der ersten fest etablierten Kolonie auf amerikanischem Boden, die zwei Jahrzehnte nach Roanoke gegründet wurde.
Was auch immer auf Roanoke Island damals passierte, die Erinnerung an die verschwundene Kolonie wird hier heute immer noch wachgehalten. Ein Teil der Insel gehört zur nationalen Gedenkstätte „Fort Raleigh“, wo in normalen Zeiten sowohl historische Fundstücke präsentiert werden, als auch Theater-Vorstellungen und Festivals stattfinden. Bis sich sicher feststellen lässt, ob die Archäologen tatsächlich das Rätsel um die Kolonie wirklich gelöst haben, wird es wohl noch Jahre dauern. Bis dahin bleibt es eines der größten Geheimnisse der US-Geschichte.