30. Juni 2022, 8:39 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Elf Menschen verschwanden in den 1970er- und 1980er-Jahren auf dem Flinders Highway in Australien, Anfang des Jahres 2018 ein weiterer junger Mann. Bis heute ist in fast allen Fällen unklar, was geschah – teils, weil die Mörder verstarben, weil es Ermittlungsfehler gab oder schlicht, weil die Täter nie gefunden wurden. Was geschah auf dem Flinders Highway und warum verschwinden und sterben immer wieder Menschen auf dieser Straße? TRAVELBOOK über den „Highway des Todes“.
Der Flinders Highway verläuft von Townsville, einer Stadt im Norden der Ostküste Australiens, 774 Kilometer durch das Outback Queenlands bis in die Kleinstadt Cloncurry. Neben der Küstenstadt Townsville, die bei Touristen aufgrund der Lage am Great Barrier Reef als beliebtes Urlaubsziel gilt, führt die Straße zudem durch den beeindruckenden „White Mountains National Park“.
Auf seinen insgesamt 774 Kilometern passiert der Highway, der auch „Highway des Todes“ genannt wird, zwar zahlreiche kleine Orte, führt jedoch zum größten Teil durch die Weiten der australischen Wildnis – wo es nicht viel Wasser gibt. Eine Ödnis, die schon vielen zum Verhängnis wurde.
Denn in den 1970er- und 1980er-Jahren machte sich der Flinders Highway in Australien als „Highway des Todes“ einen Namen. Die Vermissten-Geschichte ist lang: Seit 1970 verschwanden hier mindestens zwölf Personen. TRAVELBOOK hat die Fälle entlang des Flinders Highway rekonstruiert.
Sie wollen die Geschichte des Flinders Highway lieber hören, statt sie zu lesen? Hören Sie rein in unsere neue Folge von „Tatort Reise – dem True-Crime-Podcast von TRAVELBOOK“.
Übersicht
Der erste Mord auf dem Flinders Highway
Der erste bekannte Fall stammt aus dem Jahr 1970. Die ersten Vermissten waren die Schwestern Judith und Susan Mackay. Judith Mackay war sieben Jahre alt, ihre Schwester Susan fünf. Die beiden Mädchen wurden das letzte Mal am Morgen des 26. Augusts 1970 gesehen, als sie auf dem Weg zur Schule waren, wo sie jedoch nie ankamen. Sie verschwanden von einer Schulbushaltestelle 200 Meter von ihrem Haus im Townsville-Vorort Aitkenvale entfernt, weniger als 10 Minuten nachdem sie das Haus verlassen hatten. Nachdem sie nicht in der Schule angekommen waren, startete eine tagelange Suchaktion. Schließlich fand man die Schwestern – sie waren vergewaltigt und ermordet worden.
Im Anschluss gab es einen großen Aufschrei in der Bevölkerung und es starteten fieberhaft die Ermittlungen. Doch es kam zu einigen Ermittlungsfehlern. So ging man trotz widersprechender Zeugenaussagen lange fälschlicherweise davon aus, der Täter würde ein bestimmtes Automodell fahren. Der Irrtum stellte sich Ende der 90er Jahre heraus, als man einen Mann namens Arthur Stanley Brown festnahm. Er hatte bereits in seiner Familie mehrere Personen sexuell belästigt und missbraucht, darunter auch eine Cousine seiner Frau, die sich schließlich an die Polizei wandte. Als man Brown untersuchte, stellte sich heraus, dass er an der Schule der Mackey Schwestern arbeitete, ein überaus großes Interesse an dem Fall zeigte und die Morde sogar zweimal gestanden hatte.
Arthur Stanley Brown wurde für 45 Fälle von sexueller Belästigung und Vergewaltigung von Opfern im Alter von drei bis zehn Jahren sowie für die Morde an Susan und Judith Mackay festgenommen. Doch als der Prozess schließlich 1999 begann, war Brown dement. So ließ man die Anschuldigungen fallen und Brown starb 2002 – offiziell als unschuldiger Mann.
Weitere Frauen werden aus dem Flinders Highway ermordet
Wenige Jahre nach dem Mord der Mackay-Schwestern reisten 1972 Robin Hoinville-Bartram und Anita Cunningham auf dem Flinders Highway. Anita war 19 Jahre alt und Robin 18 Jahre alt. Beide machten gerade eine Ausbildung als Krankenschwestern. Sie wollten per Anhalter zu Robins Mutter nach Townsville fahren – doch weder Anita noch Robin erreichten je ihr Ziel. Robins Körper wurde später nahe der Stadt Charters Towers entlang des Highways gefunden: Zwei Schüsse in den Kopf hatten die junge Frau getötet. Anitas Körper wurde nie gefunden. Sie gilt bis heute als vermisst.
Weitere drei Jahre später, im Ende August 1975, fand man die Leiche von Catherine Graham nahe dem Fundort der Mackay-Schwestern. Sie war vergewaltigt und zu Tode geprügelt worden. Bei Catherine Graham gab es etwa die Vermutung, dass ebenfalls Arthur Stanley Brown der Mörder sei – vor allem wegen des ähnlichen Fundortes. Doch Catherine entsprach nicht dem Schema Browns. Bei Robin Hoinville-Bartram hingegen hält sich hartnäckig die Vermutung, dass der Serienmörder Ivan Milat der Täter war. Aufgeklärt werden konnte auch dieser Fall nicht: Ivan Milat starb ohne ein Geständnis.
Mehr zu Ivan Milats Morden im Bengalo State Forest lesen Sie hier.
Der mysteriöse Dreifachmord von 1978
Ebenfalls Ende der 70er Jahre machten die drei Freunde Karen Edwards, 23, Timothy Thomson, 31, und Gordon Twaddle, 21, einen Roadtrip – ausgerechnet auf dem Flinders Highway. Mit dem Motorrad wollten sie im Jahr 1978 von Alice Springs über Cairns nach Melbourne. Sie erreichten nie ihr Ziel. Zuletzt gesehen hatte man sie am 5. Oktober 1978 in der Stadt Mount Isa, die sich westlich des Flinders Highway befindet, wo sie in einen Toyota eingestiegen waren, wie später Zeugen berichteten. 19 Tage später fand man ihre Leichen in der Nähe von Spear Creek. Alle drei wurden erschossen.
Verdächtigt wurde der ehemalige Gefängniswärter Bruce John Preston, da er mit dem rot-goldenen BMW-Motorrad von Karen Edwards und Timothy Thomson gesehen wurde. Preston sagte, er habe das Motorrad gefunden und sei zu dem Tatzeitpunkt nicht in Mount Isa gewesen. Später stellte sich jedoch heraus, dass er durchaus vor Ort gewesen war. Nachdem der Fall im Zuge einer Cold-Case-Initiative wieder aufgerollt wurde, wurde Preston im April 2019 angeklagt. Zu einer Verurteilung kam es jedoch nicht. Der Fall ist bis heute ungeklärt.
Einer der aufsehenerregendsten Vermisstenfälle Australiens: Das Verschwinden von Tony Jones
Vier Jahre nach dem Dreifachmord, 1982, reiste Tony Jones per Anhalter durch Australien. Er war auf dem letzten Teil seiner Reise, befand sich zunächst in Townsville und wollte von dort Richtung Mount Isa, wo er sich mit seinem Bruder treffen wollte. Doch Jones kam nie bis nach Mount Isa. Am 3. November 1982 wurde er vermisst gemeldet.
Der Fall Tony Jones konnte nie aufgeklärt werden und wurde zu einem der aufsehenerregendsten Vermisstenfälle in der australischen Geschichte, auch deshalb, weil er von der Polizei grob fehlerhaft behandelt wurde. Der Fall stehe sinnbildlich für die Kultur der Polizei von Queensland in den 1980er Jahren, die, so das australische Portal news.com.au, „durch Fehlverhalten, Ineffizienz, Inkompetenz und Führungsmängel geschwächt“ war. So verlor die Polizei etwa einen Brief, der als Beweismaterial hätte dienen können, und verheimlichte Zeugenaussagen, um Kollegen zu decken. So wurde ein hochrangiger Polizeibeamter sogar wegen Vertuschungen zu 14 Jahren Haft verurteilt. Zwei Verdächtige sind mittlerweile verstorben – ohne, dass es je zu weiteren Ermittlungen gekommen wäre.
Der aktuellste Fall des Flinders Highways
Der zwölfte Fall einer vermissten oder ermordeten Person ereignete sich erst vor fünf Jahren. Am 31. Dezember 2017, die Sonne knallte bei mehr als 30 Grad, fuhr der 22-jährige Jayden Penno-Tompsett mit seinem Freund Lucas Tattersall den Flinders Highway entlang. Penno-Tompsett hatte seinen Job verloren, seine Freundin hatte die Beziehung beendet, er hatte Ärger mit der Familie und er hatte ein Drogenproblem und konsumierte regelmäßig Methamphetamin, wie aus Gerichtsdokumenten hervorgeht. Kameraaufnahmen einer Raststätte zeigen den Australier kurz vor seinem Verschwinden:
Jayden sei immer unruhiger und reizbarer im Laufe der Fahrt geworden, schließlich sei laut seinem Mitfahrer die Lage eskaliert und Penno-Tompsett sei ins Outback gelaufen. Seither wurde er nicht mehr gesehen. Dem Gericht zufolge sei Penno-Tompsett vermutlich an Dehydration und natürlichen Umständen gestorben, wobei die Mutter des Vermissten, Rachel Penno, glaubt, ihr Sohn sei ermordet worden. Auch habe die Polizei die Ermittlungen nicht zeitnah genug durchgeführt. Aber: Am Ende des Gerichtsberichts steht wörtlich: „Der Tod von Jayden wird nicht als verdächtig angesehen.“
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Immer noch viele Unklarheiten
Bis heute gibt die Familie von Jayden Penno-Tompsett jedoch nicht auf. Auf einer Facebook Seite wird immer wieder um Hinweise gebeten. Auch bei dem weiterhin ungeklärten Verschwinden von Tony Jones setzt man noch auf eine Aufklärung, so gibt es etwa eine Belohnung von 250.000 Dollar für jeden, der weitere Informationen zum Verschwinden von Tony Jones hat. Es bleibt also immer noch die Hoffnung, dass sich irgendeiner dieser Fälle doch noch aufklärt…