28. April 2020, 6:08 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Die kultige Graffitistraße Hosier Lane ist einer der ikonischsten Orte Melbournes im Süden Australiens. Und: In der berühmten Gasse soll ein Geist sein Unwesen treiben. Und zwar kein Geringerer, als der von Jack the Ripper. TRAVELBOOK-Autorin Anna Wengel war vor Ort.
Das graue Kopfsteinpflaster liegt verlassen dar. Geteilt von der Sonne. Eine Straßenseite hell erleuchtet, verschwindet die andere fast im Schatten. Graffiti neben Graffiti zieht sich über die untersten Geschosse der Hosier Lane in Melbourne. Wahnsinnig talentierte und ein bisschen weniger talentierte Street-Art-Künstler haben sich hier in riesigen Kunstwerken bis hin zu kleinen Kritzeleien verewigt. Kaum ein Stück Mauer ist kunstfrei. Kein Mensch ist hier. Oder doch. Im hinteren Teil der Gasse kauert eine Gestalt. Schaut zu mir rüber, reglos. Guckt einfach. Ein Mann mit einer roten Mütze.
Langsam laufe ich weiter, schaue mir Bild nach Bild an und links in eine kleine Gasse. Vollgesprayte Mülltonnen stehen hier, an der Wand ein Bild von einer Frau. Zahlreiche kleine Gesichter kommen neben ihr aus der Wand. Gegenüber eine weitere Frau, mit elfenartigen Ohren. Die Gasse endet an einem Bauzaun. „Danger” (zu Deutsch: „Gefahr”) steht auf zwei Schildern, die daran hängen. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sich etwas auf der Hosier Lane bewegt. Der Geist? Laut „Culture Trip” gehört die Hosier Lane zu den Spukorten Melbournes. Und in der Kultstraße soll nicht irgendein Geist spuken, sondern ein ganz besonders gruseliger.
Spukt es in der Hosier Lane?
Ich drehe mich nach rechts. Zwei Menschen wanken aus einer zweiten Gasse heraus. Bleiben stehen, mustern mich. Gehen dann weiter, um sich an die gegenüberliegende Hauswand zu lehnen. Ich gehe weiter. Vorbei an Hauseingängen, vergitterten Fenstern oder einfach Löchern, und zahlreichen Graffitis. Komme zu der Gasse, aus der gerade das Paar hervorkam, das noch immer an der Hauswand steht und mich anschaut. In dieser Gasse ist mehr los. Zahlreiche Menschen, vermutlich obdachlos, sitzen, liegen und stehen hier. Eine ältere Frau mit strähnigem Haar hat eine Schale in der Hand, aus der sie eifrig Dinge in sich hineinlöffelt. Ein Mann kommt gerade aus einer Tür auf der linken Seite. Ich gehe weiter, bis ans Ende der Hosier Lane. Ein Künstler hat sich hier dem Thema unserer Zeit gewidmet: Social Distancing.
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Den Geist habe ich weder gesehen noch gespürt. Und finde das auch nicht allzu schade, soll der seine eiskalten Finger um die Nacken seiner Opfer legen und zudrücken. Unschön. Allerdings bin ich auch kein betrunkener Mann, der sich nachts in der Gasse entleert. Die scheint der Geist am liebsten zu erschrecken. Zumindest sind das anscheinend diejenigen, die ihn entweder spüren oder ihn aus dem Augenwinkel in der Ecke stehen sehen. Drehen sie sich dann um, ist er verschwunden. Das schreibt zumindest die News-Seite „Pedestrian”. Es wird vermutet, dass der Geist auf der Suche nach seinem nächsten Opfer ist. Denn ist er der, der er angeblich sein soll, ist das Töten für ihn eine gern getätigte Hauptbeschäftigung.
Der Geist der Hosier Lane ist ein bekannter Serienkiller
In der Hosier Lane soll kein Geringerer spuken als der weltbekannte Serienmörder Jack the Ripper. Zumindest vielleicht. Vielleicht, weil Jack the Rippers Identität nie abschließend geklärt wurde. Die des Hosier-Lane-Geistes hingegen soll klar sein: In Melbournes Kultstraße spukt angeblich der hingerichtete Serienkiller Frederick Bailey Deeming – ist er Jack the Ripper? Deeming ist einer der Haupt-Tatverdächtigen der Whitechapel-Morde, einer Mordreihe an elf Frauen, mindestens neun von ihnen Prostituierte, zwischen dem 3. April 1888 und 13. Februar 1891 in Whitechapel, einem Stadtteil Londons. Für mindestens fünf davon soll Jack the Ripper verantwortlich sein.
Ob Deeming nun Jack the Ripper ist oder nicht, jede Menge Dreck am Stecken hatte er auf jeden Fall. Nicht nur, dass er alle möglichen Leute betrogen hat, Deeming soll auch mehrere seiner Ehefrauen und Kinder umgebracht haben. Mehrere, weil ihm das Töten anscheinend so sehr lag wie das Heiraten.
Die Heirats- und Mordgeschichte Frederick Bailey Deemings
Mindestens drei Ehefrauen hatte der, 1853 in England geborene, Australier gleichzeitig. Die erste, Marie, heiratete er 1881 und zog mit ihr ein Jahr später nach Australien. Hier arbeitete er als Gasinstallateur, machte offenbar einen exzellenten Job – bis er neben anderen Betrügereien auch diverse Auftraggeber bestahl. Er floh schließlich vor einer zweiten Gefängnisstrafe nach Südafrika, wo er an wahrscheinlich einem Diamantenschwindel beteiligt war. Das steht unter anderem in „Psychopedia: The Wikipedia Serial Killer Files”.
Marie und ihre mittlerweile zwei Töchter zogen zurück nach England, hin und wieder besucht von Deeming, von dem sie noch zwei weitere Kinder bekam. Schließlich kam Deeming wieder nach England, allerdings nicht zu seiner Familie und auch nicht als Deeming. Zurück im Land nannte er sich Harry Lawson und heiratete als dieser Helen Matheson. Die verließ er dann schon einen Monat später und kehrte zu seiner ersten Frau zurück. Nach einem weiteren Gefängnisaufenthalt lebte Deeming unter dem Namen Albert Williams – und heiratete darunter seine dritte Frau, Emily Mather, im September 1891. Die nahm er Ende des Jahres mit zurück nach Australien. Gemeinsam zogen sie nach Melbourne, wo er sie wenig später in der gemeinsamen Wohnung umbrachte. Kurz nach dem Mord verschwand er. Die Tote wurde erst rund zwei Monate später entdeckt, als sich die neuen Mieter über Gestank beschwerten. Der kam vom Fußboden in einem der Schlafzimmer. Darunter wurde Emily mit aufgeschlitzter Kehle, gebrochenem Schädel und mit Zement übergossen gefunden.
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Bereits die nächste Beinahe-Ehefrau an der Angel, wurde Deeming 1892 in Southern Cross, Western Australia, verhaftet. Zu dieser Zeit fand man auch seine erste Frau Marie und die vier Kinder: acht Monate zuvor mit aufgeschlitzter Kehle oder stranguliert in den Küchenboden der gemieteten Villa in England zementiert. Im Mai 1892 wurde Deeming nach Schuldigsprechung an allen sechs Morden im Gefängnis Old Melbourne Gaol erhängt.
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Ist Frederick Bailey Deeming Jack the Ripper?
Als wären diese Morde nun nicht schon brutal genug, wird der Serienmörder eben auch mit den Prostituierten-Morde in Whitechapel in Verbindung gebracht, zumindest als einer von mehreren möglichen Tatverdächtigen. Besonders die Kälte und Brutalität der Taten werden hier in Zusammenhang gestellt. Zeitmäßig könnte es auch hinkommen, soll Deeming ungefähr zur Zeit der Whitechapel-Morde in England gewesen sein. Und dann ist da noch ein Geständnis, das Deeming laut der Website „jack-the-ripper-tour.com“ abgegeben haben soll. Der Serienkiller will für zwei der Whitechapel Morde verantwortlich gewesen sein. Von den anderen wisse er aber nichts.
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Vielleicht spukt Deeming auch deshalb in der Hosier Lane. Denn in der Nähe befindet sich der Tatort eines weiteren brutalen Mordes: dem an einer Prostituierten, die bis heute vor der gerade einmal rund 250 Meter von der Hosier Lane entfernten Kultbar Young & Jackson spuken soll. Ob Deeming damit auch was zu tun hat?