19. Dezember 2022, 11:48 Uhr | Lesezeit: 3 Minuten
Sie wurden gefesselt und mit Elektroschocks gefoltert: Die venezianische Insel San Servolo war fast 200 Jahre lang eine „Heilanstalt“ für geistig kranke Menschen. Viel mehr glich der Ort jedoch einem Gefängnis – aus dem es für die meisten Insassen keine Rückkehr gab.
Wer heute vom Zentrum Venedigs aus nach San Servolo fährt, den erwartet eine moderne Insel, die unter anderem die Internationale Universität Venedig beherbergt. Zudem befindet sich hier einer der größten Parks der gesamten Stadt, in dem regelmäßig Kunstausstellungen, Kongresse und andere Veranstaltungen stattfinden. Doch nur die wenigsten wissen um die düstere Geschichte des Ortes. Denn bis 1978 war San Servolo bekannt als die „Insel der Wahnsinnigen“ oder als „Insel der Schmerzen“, wie im Buch „Die Elenden von Venedig“ beschrieben.
Laut der offiziellen Seite der Stadt Venedig war San Servolo wohl bereits ab dem 9. Jahrhundert besiedelt. Von 1109-1615 lebten hier Nonnen vom Benediktiner-Orden. Doch als ihre Wohngebäude zunehmend verfielen, gaben sie die Insel auf und zogen aufs Festland. Schon bald darauf wurden auf San Servolo erstmals Menschen weggesperrt, nämlich Pestkranke, die man von der Öffentlichkeit fern halten wollte. Erst ein gutes Jahrhundert später begann das düsterste Kapitel des Ortes – als „Heilanstalt“ für geistig kranke Menschen.
Handschellen, Fußfesseln und Elektroschocks
1725 ursprünglich als Psychiatrisches Hospital für Venedigs Oberklasse eröffnet, ließ Napoleon das Krankenhaus auf San Servolo 1797 als Haus für geistig Kranke aller Gesellschaftsklassen einstufen. Nun kamen hierher nicht mehr nur psychisch kranke Menschen aus Venedig, sondern auch aus dem heutigen Kroatien und Österreich – sämtliche Regionen, über die Napoleon damals herrschte. Und wer einmal auf San Servolo landete, durfte sich wenig Hoffnung auf eine Rückkehr in sein früheres Leben machen.
Demnach herrschten auf San Servolo grausame Bedingungen. Abgeschottet von der Außenwelt, fesselte man die Patienten mit Handschellen und Fußketten, hielt sie nicht selten in Einzelhaft gefangen. Eine gängige „Behandlungsmethode“ waren später auch Elektroschocks, die man im frühen 20. Jahrhundert tatsächlich für „therapeutische“ Zwecke einsetzte. Dabei wurden den Patienten starke Stromstöße direkt in den Kopf gejagt.
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Wer hierher kam, kehrte meist nicht zurück
Laut „Atlas Obscura“ wurden in den fast 200 Jahren, in denen die „Heilanstalt“ auf San Servolo bestand, hier etwa 200.000 Patienten interniert. Die meisten von ihnen kehrten demnach nie wieder von dort zurück. Der offiziellen Webseite von Venedig zufolge wurde die Insel sogar auf grausame Weise als Gefängnis missbraucht. Italiens Diktator Mussolini ließ hier beispielsweise seine Frau einliefern, als er eine andere heiraten wollte.
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In all der Finsternis gab es aber wohl auch ein wenig Licht. So lässt ein Piano aus der damaligen Zeit darauf schließen, dass auf San Servolo wohl Musiktherapie stattgefunden haben dürfte. Auch erhaltene Bilder und Bastelarbeiten ehemaliger Patienten deuten darauf hin, dass man hier wohl tatsächlich um Heilung bemüht war.
Erst 1978 wurde die Nervenheilanstalt auf San Servolo offiziell und für immer geschlossen. Bereits seit 2006 befindet sich in den Räumlichkeiten ein Museum, das sich schonungslos mit der Geschichte des Ortes auseinandersetzt. Neben Folter- bzw. Behandlungsinstrumenten beherbergt es auch eine beeindruckende Bibliothek sowie den Nachbau einer alten Apotheke. Aktuell hat das Museum aufgrund der Pandemielage nur samstags und sonntags von 10 bis 17 Uhr geöffnet.
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Karte: Lage von San Servolo