26. Juni 2020, 6:24 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Im Anwesen Cherry Hill in Albany soll der Geist des dort ermordeten John Whipple spuken. TRAVELBOOK-Autorin Anna Wengel hat sich auf die Suche nach dem Haus gemacht – und sich ganz schön erschrocken.
Suchend schaue ich mich nach einem Straßenschild um. Das Anwesen Cherry Hill ist laut Google Maps ganz in meiner Nähe. 1827 soll hier ein Mann von seiner Frau und ihrem Geliebten ermordet worden sein. Und angeblich sucht sein Geist das Haus bis heute heim. Kein Wunder, dass es bei Geisterjägern sehr beliebt ist.
Ich bremse. Zwei Männer schlurfen vor meinem silbern glänzenden und ziemlich großen Mietauto vorbei. Einer hebt den Kopf, schaut mich aus dunklen Augen an, scheint langsamer zu werden. Sein Blick durchdringt mich. Ich bekomme eine Gänsehaut. Jetzt schaut der andere Mann hoch. Starrt mich an. Dann sind sie weg. Und ich bleibe verdaddert im Auto zurück. Was war das denn? Na egal, das müsste die Straße sein, sage ich zu meinem Freund und wir fahren hinein. Ein leichte Kurve und abwärts geht’s. Plötzlich ist es dunkel. Gerade noch schien die Sonne, hier unten ist Schatten. Und gefühlt auf einmal Dämmerung.
Wir folgen der Cherry Hill Street bis kurz vor ihrem Ende. Laut Karte soll das Haus auf der rechten Seite sein. Ich sehe Bäume. Viele Bäume. Und fahre die Straße weiter runter. Vielleicht können wir das Haus ja schon von der 1st Avenue aus sehen, liegt es laut Karte zwischen Cherry Hill, 1st Avenue und South Pearl Street. Der Eingang ist auf der South Pearl Street. Die Cherry Hill Street endet vor einem Zaun, mit einem großen Parkplatz dahinter. Der ist leer.
Vor dem Zaun stehen zwei Autos, die sicher mal besser ausgesehen haben. Eines hat einen platten Reifen und das anscheinend schon eine Weile. In das andere ist wohl mal jemand reingefahren. Die Beule reicht weit ins Innere, die Scheibe ist kaputt. Wir biegen nach rechts. Und halten vor einem Haus. Das könnte es sein. Aber irgendwie steht es zu nah an allen anderen Häusern. Ich checke das Bild, das ich habe, nochmal: Das gelbe Haus sollte frei stehen.
Irgendwas stimmt am Spukhaus von Albany nicht
Wir fahren weiter, Richtung South Pearl Street, können das Haus aber nicht entdecken. Mittlerweile ist es stockdunkel. Das GPS fällt aus. Straßenlaternen gibt es kaum oder sind kaputt. Aus unserem Auto kann ich das in der Dunkelheit schwer erkennen. Und irgendwie beschleicht mich langsam ein komisches Gefühl. Wir fahren weiter. Biegen hier und da ab. Plötzlich befinden wir uns in einer dunklen Gasse. Ein zerbeultes und komplett rostiges Auto schneidet uns den Weg. Ich bremse scharf. Der Fahrer schaut mich, naja sagen wir mal, unglücklich an. Vielleicht auch wütend. Vielleicht guckt er auch immer so.
Mir fährt der nächste Schauer über den Rücken. Irgendwie fühlt sich das alles hier nicht mehr gut an. Gruselig irgendwie. Das ungute Gefühl wird stärker. Von Straße zu Straße fühle ich mich unwohler. Irgendwie in Gefahr. Obwohl ich keine Gefahr sehen kann. Meine Orientierung ist längst dahin. Google Maps funktioniert noch immer nicht. Gefühlt wird es noch dunkler um uns herum. Trotzdem will ich dieses Haus finden.
Ich habe keine Ahnung, wie wir wieder zurückgekommen sind, sieht für mich jede dunkle und irgendwie runtergekommene Straße fast gleich aus, doch plötzlich stehen wir wieder vor dem Haus vom Anfang. Das könnte es sein. Oder nicht. Ein Auto fährt langsam an uns vorbei, der Fahrer schaut in mein Fenster. Freundlich sieht anders aus. Vor uns treten zwei dunkle Gestalten aus dem Schatten eines Hauses, ich kann nur ihre Umrisse erkennen. Und plötzlich wird mir klar, wie wir hier wirken müssen in unserem glänzenden, fast Bonzenkarre schreienden Mietwagen, stehend auf der Straße und neugierig aus den Fenstern zu einem Haus rüberguckend, nachdem wir genau das Gleiche vor ein paar Minuten schon mal gemacht haben. Vielleicht ist das nicht so klug. Ich drücke aufs Gas und nehme das ungute Gefühl mit. Irgendwas stimmte da nicht.
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„Die schlimmste Ecke Albanys“
Eine Stunde später sitzen wir in einem Restaurant („La Bella Valatie“ an der Route 9 – übrigens eine absolute Empfehlung!) und kommen mit einem der Kellner ins Gespräch, der aus Albany kommt. Das blöde Gefühl noch immer nicht loslassen könnend, erzähle ich ihm von unserer Suche nach dem Spukhaus. Dem Kellner fällt das Lachen aus seinem Gesicht: „Naja, sagen wir mal so. Wenn du sicher Stress und die schlimmste Ecke von ganz Albany suchst, musst du einfach nur in die Ecke Pearl und Cherry Hill Street fahren“, erklärt er mir. Das war dann wohl, was ich da gefühlt habe. Ob das nun mit dem Spukhaus zu tun hat oder nicht, weiß ich natürlich nicht. Aber gruselig war es in der Gegend um Cherry Hill, keine Frage. Auch ohne den Geist gesehen zu haben.
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Was passierte in Cherry Hill?
Im Jahr 1827 lebte die High-Society-Dame Elsie Lansing Whipple gemeinsam mit ihrem Mann John Whipple im Anwesen Cherry Hill. Zu gleicher Zeit führte die Dame eine Affäre mit dem Handwerker Jesse Strang. Das Paar beschloss schließlich, Whipple aus dem Weg zu räumen, um fortan zusammen zu leben. Am 7. Mai versteckte sich Strang auf dem Dach des Schuppens, feuerte mit einem Gewähr durch ein Fenster Cherry Hills und in die Schulter des Rivalen, der wenig später auf der Treppe des Hauses zusammenbrach und starb.
Der Mord endete so, wie es natürlich nicht geplant war: Ende Mai wurde das mörderische Paar festgenommen und vor Gericht gestellt. Wegen des Bekanntheitsgrads der zur sozialen Elite Albanys gehörenden Dame und des Geschäftsmannes, bekam der Fall jede Menge Aufmerksamkeit. Vermutlich ebenfalls wegen ihres Stands wurde Lansing Whipple freigelassen, während ihr Geliebter mit dem Tod bestraft wurde, obwohl sie der Kopf hinter der Mordplanung gewesen sein soll. Am 24. August wurde Strang öffentlich gehängt – die letzte öffentliche Exekution dieser Art in Albany. Strangs Geliebte starb fünf Jahre später. Ihr ermordeter Ehemann liegt auf dem Friedhof Albany Rural Cemetery begraben. Angeblich soll er Cherry Hill jedoch nie verlassen haben und sein Geist dort bis heute auftauchen. Cherry Hill ist mittlerweile ein Museum – und bietet Führungen an.