27. Mai 2021, 9:06 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Ein Mörder, der mit einer Axt eine ganze Familie auslöscht. Ein Fall, der trotz zahlreicher Verdächtiger nie aufgeklärt wird. Und ein Haus, in dem es immer wieder zu paranormalen Aktivitäten kommt – und das trotzdem jedes Jahr von Hunderten Touristen besucht wird, von denen einige dort sogar übernachten. Neugierig geworden? TRAVELBOOK kennt die ganze Geschichte.
Es ist der 10. Juni 1912, als das Leben der Familie Moore auf schreckliche Weise beendet wird. Am Abend zuvor besucht die Familie, bestehend aus Vater, Mutter und vier Kindern, einen Gottesdienst in ihrem Wohnort, der kleinen Stadt Villisca in Iowa, USA. Zusammen mit zwei befreundeten Kindern der Familie Stillinger kehren die Moores gegen 22 Uhr nach Hause zurück. Was anschließend geschieht, ist bis heute nicht genau aufgeklärt. Denn was folgt, gibt dem Haus seinen heutigen Namen: Axtmörder-Haus von Villisca.
Irgendwann zwischen Mitternacht und 5 Uhr morgens werden alle Bewohner des Hauses grausam mit einer Axt ermordet. Dabei ist nicht nur die Brutalität der Tat außergewöhnlich, sondern auch die Art, wie der Tatort hinterlassen wurde. „Die Spiegel und Fenster waren mit Decken verhangen, die Körper wurden bedeckt, ihre Gesichter verborgen, und es gibt Zeichen, dass der Mörder noch stundenlang in dem Haus blieb. So hat man zum Beispiel auf dem Dachboden noch Zigaretten gefunden, die der Täter mutmaßlich geraucht hat“, berichtet Johnny Houser TRAVELBOOK. Er führt seit 20 Jahren Neugierige durch das Axtmörder-Haus von Villisca.
Sie wollen diese Story lieber hören, statt sie zu lesen? Dann empfehlen wir Ihnen hier die neue Folge unseres Podcasts, die sich nur um das Axtmörder-Haus dreht und in der Sie Johnny Houser auch sprechen hören.
Der neue TRAVELBOOK-Podcast „Tatort Reise“ – hier finden Sie alle spannenden Folgen:
Der Bikini-Killer auf dem Hippie-Trail
Das Cecil-Hotel – Hollywoods Horror-Haus
Das Axtmörder-Haus von Villisca
Beelitz-Heilstätten – Deutschlands gruseligste Klinik
Wenige Stunden nach der Tat bemerkt die Nachbarin Mary Peckham, dass etwas nicht stimmt. Sie alarmiert die Polizei, die wenig später den blutigen Tatort vorfindet. Daraufhin beginnen die Ermittlungen – doch ohne Erfolg.
Die zahlreichen Verdächtigen – und was vermutlich wirklich geschah
Dabei gibt es im Laufe der fünfjährigen Ermittlungen so einige Verdächtige. Da wäre etwa der Bauarbeiter Andy Sawyer, der erst am Tag des Mordes nach Villisca kam und laut Zeugenaussagen ein überdurchschnittliches Interesse an dem Mord hatte. Oder F. F. Jones, ein Geschäftsrivale von Josiah Moore, dem Vater der Familie. Oder der vielleicht bekannteste Verdächtige: Der seltsame englische Pfarrer George Kelly.
Pfarrer Kelly gestand sogar die Morde und wurde in der Folge auch vor Gericht gestellt. Doch es gab ein Problem. Der Verdächtige war offenkundig nicht schuldfähig. „Erst erzählte er, ein Schatten hätte ihm befohlen, die Familie mit der Axt umzubringen. Dann erzählte er, er sei unschuldig. Dann sagte er, er arbeite für die Königin von England“, berichtet Johnny Houser. Aus heutiger Sicht wird vermutet, dass Kelly unter Schizophrenie litt. Wegen seiner sich widersprechenden Aussagen wurde er schlussendlich nicht verurteilt – wie auch alle anderen Verdächtigen, obwohl es mit der Zeit immer mehr wurden.
Johnny Houser hat dafür eine simple Erklärung: „Es gab einen Mord in einer kleinen Stadt, in der fünf Jahre lang getratscht wurde. So circa ab Jahr 3 erfanden die Leute einfach eigene Geschichten. Jeder, der seltsam oder merkwürdig wirkte, konnte ein Verdächtiger werden.“ In Kombination mit schlampiger Indizienaufnahme verliefen die Ermittlungen schließlich im Nirgendwo. Und in Villisca versuchte man, die grausame Vergangenheit nun hinter sich zu lassen.
Nach dem Prozess gegen Pfarrer Kelly bot die damalige Bank von Villisca einem neuen Bewohner des Hauses sechs Monate freie Miete. Nun zogen immer wieder Familien ein, doch oftmals genauso schnell auch wieder aus. Das Haus sei verflucht, berichteten viele. Erst in den 1960ern fand das Haus dann einen Besitzer, der länger blieb. 32 Jahre lang war es ruhig in dem einstigen Mörder-Haus – bis es 1992 wieder seinen Besitzer wechselte.
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Wie das Axtmörder-Haus von Villisca zu einem Touristen-Anlaufpunkt wurde
1994 kaufte das Ehepaar Martha und Darwyn Lynn das Haus mit dem Ziel, dort Touren anzubieten. Sie ließen alle Renovierungen, die in den vergangenen Jahrzehnten geschahen, rückgängig machen, sodass sich das Haus heute fast wieder in dem Zustand befindet, in dem es auch 1912 war. Seit den 90er Jahren werden auch die von den Lynns angedachten Touren angeboten und nach eigenen Aussagen gut angenommen. Dabei kommen die unterschiedlichsten Menschen: Schulklassen aus der Gegend, ältere Damen, die den Mord aufklären wollen und natürlich Fans von True Crime und Lost Places.
Dabei hat das Publikum die Wahl zwischen zwei Touren: Der Tages- und der Nacht-Tour. Für das „normale“ Publikum bietet sich, so Houser, eine Tagestour an: „Dabei öffnen wir tagsüber das Haus für die Gruppe, die eine Tour gebucht hat, und ich gebe einen Überblick über die Geschichte.“ Im Nachgang dürfen die Besucher dann alleine durch das Haus streifen und alles genau anschauen. Oft seien Teilnehmer dieser Touren Menschen, die zufällig das Schild „Villisca Murder House“ sehen und sich fragen, was es damit auf sich hat.
Anders sieht es bei den Overnight-Touren aus. Dabei schließt Johnny Houser gegen 16 Uhr das einstige Mörder-Haus auf. Auch hier erzählt er von der schaurigen Geschichte. Im Anschluss übergibt er die Schlüssel, wünscht viel Spaß – und geht. Die Teilnehmer bleiben die Nacht alleine im Haus zurück. Entsprechend „speziell“ ist auch das Publikum dieser Touren.
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Gibt es paranormale Aktivitäten in dem Haus?
Viele Teilnehmer der Overnight-Touren sind auf der Suche nach paranormalen Aktivitäten. Sie kommen mit Oujia-Boards und wollen in Kontakt mit Geistern treten. So stach sich etwa 2014 ein Besucher bei einer Overnight-Tour selbst mit einem Messer in den Bauch. Angeblich habe ein „Schatten“ ihm die Selbstverletzung befohlen.
Es sind Geschichten, die absurd wirken. „Am Anfang habe ich mich über meinen neuen Arbeitgeber mit den irren Geistergeschichten lustig gemacht“, erzählt Houser. Doch wenige Monate nach Arbeitsbeginn macht er selbst eine gruselige Erfahrung: „Ich war abends alleine im Haus, als ich im obereren Stockwerk Schritte hörte. Ich dachte, dass Jugendliche eingebrochen wären und wollte ihnen eine Lehre erteilen und sie erschrecken. Also hab ich mich in einem Schrank versteckt und gewartet, bis die Schritte immer näher kamen.“ Doch als Houser aus dem Schrank springt, sieht er: Niemand ist da. Er ist ganz alleine.
Auch in der Zeit, in der das Axtmörder-Haus noch nicht für Touristen geöffnet war, gab es immer wieder Berichte von Geisterbegegnungen. Fast keine Familie habe es damals länger als wenige Monate in dem „verfluchten“ Haus ausgehalten, berichtet Johnny Houser. Allerdings: Als das Haus in den 1960er Jahren erneut an einen neuen Besitzer verkauft werden sollte, sparte man seine schaurige Vergangenheit aus. Und, wenig überraschend: Dieser Besitzer bemerkte nie etwas Seltsames oder Paranormales in dem Haus.
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Täter war mutmaßlich einer der ersten Serienkiller in den USA
Ebenso wie das Paranormale ist vermutlich auch die Theorie, dass ein Geist damals von dem Mörder Besitz ergriffen habe, in das Reich der Mythen zu verordnen. Die Realität ist, dass es sich vermutlich um einen der ersten Serienmörder der USA handelte, der mit dem Zug von Ort zu Ort reiste. So führt nämlich eine Eisenbahnstrecke durch Villisca und mehrere andere Orte, an denen ebenfalls ein Axt-Mörder sein Unwesen trieb.
Das tragische: Selbst mit dieser Vermutung lässt sich der Fall heute nicht mehr aufklären. So wird er vermutlich für immer ein „Cold Case“ bleiben – und weiterhin zahllose Neugierige in das Axtmörder-Haus von Villisca ziehen.