14. Dezember 2020, 6:41 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Dass Friedhöfe nicht immer eintönige Orte der Trauer sein müssen, zeigt der Cimitirul Vesel: Hier werden alle Gräber von einem Künstler geschmückt. Der Ort ist mittlerweile eine der beliebtesten Touristen-Attraktionen in Rumänien.
In der kleinen Stadt Săpânţa im Norden von Rumänien gibt es einen Friedhof, der über die Landesgrenzen hinaus berühmt ist: Cimitirul Vesel, also der „fröhliche Friedhof”. Den Ursprung dieses Namens kann jeder leicht erraten, der den Ort betritt: Sämtliche Gräber hier sind über und über geschmückt, die Grabkreuze farbenfroh und mit liebevoll gestalteten Szenen aus dem Leben der Verstorbenen bemalt. Auf vielen der Kreuze findet sich auch ein Spruch, der etwas über die Person aussagt, die dort begraben liegt — nicht selten mit bissigem Humor. Eine Tradition, die es nun bereits 85 Jahre gibt.
1935 begann der Einheimische Stan Ioan Pătraş damit, die besonderen Kreuze herzustellen, wie „Atlas Obscura” berichtet. Demnach hatte er bereits ab dem Alter von 14 Jahren das Schreinerhandwerk erlernt, machte sich diese Fähigkeit nun zu Nutze, um auf künstlerische Weise den Verstorbenen von Săpânţa zu gedenken. Doch er malte nicht einfach nur bunte Bilder auf die Kreuze, sie waren aufgeladen mit Symbolik, und würdigten jeden Toten auf ganz individuelle Art.
Individueller Abschiedsgruß
Dabei hatte sogar jede Farbe für Pătraş ihre eigene Bedeutung: Grün steht für das Leben, Gelb für Fruchtbarkeit, Rot für Leidenschaft und Schwarz für den Tod. Die Grundfarbe der Kreuze aber ist bis heute Blau, was Hoffnung, Freiheit und den Himmel repräsentieren soll. Der Farbton wird heute auch Săpânţa-Blau genannt. Zu seinen meist verwendeten Symbolen gehörten Vögel, die Taube steht für die Seele, die Amsel für einen tragischen Tod oder ein Tod unter mysteriösen Umständen.
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Am auffälligsten aber sind die Sprüche, die Pătraş jedem Verstorbenen auf sein Kreuz malte – denn diese sind nicht selten witzig, sarkastisch oder einfach skurril. So kann man auf einem der Symbole beispielsweise lesen: „Unter diesem schweren Kreuz/ ruht meine arme Schwiegermutter/Hätte sie drei Tage länger gelebt/würde ich jetzt hier liegen, und sie das lesen/Ihr, die ihr vorbeikommt/versucht, sie nicht aufzuwecken/denn wenn sie wieder nach Hause kommt/beißt sie mir den Kopf ab/Aber ich werde alles dafür tun/dass sie nicht zurück kommt/bleib hier, meine liebe Schwiegermutter.”
Das Lebenswerk wird fortgeführt
Eine andere Inschrift erzählt von einem Mann und seinen Leidenschaften: „Ioan Toaderu liebte Pferde. Eine andere Sache liebte er auch sehr. An einem Tisch in der Kneipe zu sitzen. Neben der Frau von jemand anderem.” Es wird vermutet, dass Pătraş über einen Schaffenszeitraum von 40 Jahren etwa 800 dieser einzigartigen Kreuze hergestellt hat — als er 1977 starb, gab er sein Lebenswerk in die Hände seines Schülers Dimitru Pop, welcher es bis heute fortsetzt.
Etwa zur Zeit des Todes von Pătraş wurde der Friedhof dann plötzlich weltbekannt, als ein Journalist zum ersten Mal darüber berichtete – seitdem ist er zu einer der beliebtesten Touristen-Attraktionen in Rumänien avanciert und berühmt geworden als der Cimitirul Vesel, der „fröhliche Friedhof”. Wenn heute jemand in Săpânţa stirbt, dann kommen die Einheimischen zu Pop und bitten ihn, ein neues Kreuz für ihren Angehörigen anzufertigen. Über die Sprüche habe sich übrigens noch nie jemand beschwert, sagte Pop der kanadischen Zeitung „Toronto Star”.
Geschichten der Verstorbenen auf dem „fröhlichen Friedhof“ in Rumänien
„Das ist das echte Leben einer Person. Wenn sie es mag zu trinken, dann sagt du das. Wenn sie Arbeit liebt, dann sagst du das. In so einer kleinen Stadt gibt es keine Geheimnisse. Die Familien wollen, dass das wahre Leben ihres Angehörigen auf dem Kreuz erzählt wird.” Oft schreibe er seine einzigartigen Sprüche in der Ersten Person, damit der Leser den Eindruck bekäme, er würde direkt mit dem Verstorbenen reden.
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Auch die Bilder auf den Kreuzen erzählen Geschichten aus dem Leben der Toten: Hier ist eine Gruppe von fröhlichen Trinkern um einen Tisch versammelt zu sehen, dort ein Lehrer bei der Arbeit. Sogar ein ehemaliger Funktionär der kommunistischen Partei hat sich auf diese Weise bestatten lassen, auf seinem Kreuz steht: „So lange ich lebte, habe ich Partys geliebt, und mein ganzes Leben habe ich versucht, meinen Freunden zu helfen.”
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„Bildhauer, Maler und Poeten”
Pop hat das Haus, in dem sein Mentor Pătraş einst lebte, heute zu einem Museum umfunktioniert. Pro Jahr stellt er etwa 20 bis 30 der Kreuze her, wie er selbst sagt. Nebenbei verdient er sich seinen Lebensunterhalt in der Landwirtschaft – und stellt Möbel her, ebenso farbenfroh wie seine Kreuze. Er bildet selbst Lehrlinge aus, die seine einzigartige Arbeit einmal übernehmen sollen. Über seine Schützlinge sagt er: „Sie haben drei Jobs: Sie müssen Bildhauer sein, Maler und Poeten.”
Natürlich liegt auch Meister Pătraş auf dem Friedhof begraben – und auch Dimitru Pop hat sich bereits seinen Platz reservieren lassen.