18. März 2023, 7:43 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Colmar mit seinem Fachwerk-Idyll liegt im Oberelsass – oder? So mancher reibt sich im Dschungel von Malaysia die Augen: Aus dem Grün ragt ein tropischer Klon samt Zugbrücke, Erkern und Croissants.
Die sanfte Stimme von Charles Trenet erklingt aus Lautsprechern, vorbei an bunten Fachwerkhäusern mit Erkern und Türmchen. „La Mer…“, singt der Chansonnier. Menschen schlendern über das Kopfsteinpflaster, aus einer Boulangerie strömt der Duft knuspriger Croissants. Typisch Frankreich, mag man meinen – wären da nicht der Monsunregen und der Dschungel ringsum. Des Rätsels Lösung liegt in Malaysia. Eine Autostunde nordöstlich der Hauptstadt Kuala Lumpur steht ein Nachbau des Welterbe-Städtchens Colmar im Elsass. Der passende Name des Klons im Regenwald: Colmar Tropicale.
Frankreich-Illusion ist fast perfekt
Die bizarre Idee hatte Malaysias Ex-Regierungschef Mahathir Mohamad (97). Der war nach einer Europa-Reise so begeistert vom Charme des Städtchens, dass er den befreundeten Milliardär und Baulöwen Vincent Tan in den 1990er Jahren überredete, die Idylle nach Asien zu holen und ein „Klein-Colmar“ im Dschungel der Berjaya Hills zu finanzieren.
So entstand nach den Plänen des französischen Architekten Jean Cassou eine Art Themenpark samt Restaurants, Cafés und einem Resort mit 235 Hotelzimmern. Auf dem nächsten Hügel thront gleich noch ein Nachbau der berühmten Elsässer Burg Haut-Koenigsbourg, die im wirklichen Leben gut 25 Kilometer von Colmar entfernt steht.
Von den gemusterten Satteldächern bis zu den hölzernen Balkonen, von den Fassaden in bunten Pastelltönen bis zu den dekorativen Fensterläden, von den Blumenkästen bis zu den Bistrotischen, von den plätschernden Springbrunnen bis zum Gebäck nach französischem Originalrezept – Colmar Tropicale ist alles andere als ein billiges Imitat. Und es ist auch keine Art elsässisches Disneyland. Die Frankreich-Illusion ist – abgesehen von der lauen Äquatorluft – fast perfekt. Zumindest für Besucher, die noch nie in Europa waren.
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Ein paar Kompromisse waren nötig
„Für uns ist dies eine Möglichkeit, eine andere Welt kennenzulernen, ohne dass wir dafür nach Frankreich reisen müssen“, sagt Nor Atikah Omar, eine Lehrerin aus dem südlichen Bundesstaat Johor. Sie ist mit ihrem Mann zum ersten Mal da, auf Empfehlung von Freunden. Es gebe jede Menge zu besichtigen, und das Essen sei fantastisch. „Es ist wirklich eine tolle Touristenattraktion“, schwärmt die 43-Jährige.
Aber natürlich ist nicht alles originalgetreu – das hätte wohl selbst den finanziellen Rahmen eines Milliardärs gesprengt. „Wir haben versucht, Material aus den Steinbrüchen von Adamswiller zu importieren, aber das war zu teuer“, sagte Architekt Cassou während der Bauarbeiten 1998 dem französischen Magazin „L’Express“ „Wir mussten uns mit Steinen aus Indien begnügen.“ Auch die Inneneinrichtung wurde zumeist in malaysischer Heimarbeit gefertigt.
Der damalige Projektleiter Daniel Leong betonte gegenüber „L’Express“: „Unser Wunsch ist es nicht, mit dem Elsass zu konkurrieren, sondern einfach Colmar so gut wie möglich zu kopieren.“ Oder kurz: Den Flair des mittelalterlichen Abendlandes nach Malaysia zu zaubern. „Für uns sind Schlösser ja so eine Art Mythos“, sagte er.
Im Jahr 2000 war es endlich so weit: Das Colmar-Imitat öffnete seine Pforten und lockt seither Besucher aus nah und fern. Auch Politikveteran Mahathir und Milliardär Vincent Tan reisen ab und zu an, um durch ihre wahr gewordene Vision zu spazieren.
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Für die meisten einen einmaligen Besuch wert
„Am Anfang habe ich mich wirklich gefühlt, als wäre ich in Frankreich“, sagt Al Fatah, der seit einem Jahr in der Boulangerie die Gäste bewirtschaftet. Gekonnt bedient er die Hebel der Kaffeemaschine und zaubert einen Café au Lait ins Glas, untermalt von der Stimme Edith Piafs. Und wie fühlt er sich heute? „Als wäre ich in Malaysia“, lacht er. „Colmar Tropicale ist für die meisten etwas für einen einmaligen Besuch, und die Leute lieben es“, sagt er. Etwa die Hälfte der Gäste stamme aus Malaysia, die andere Hälfte zumeist aus arabischen Ländern sowie China und Russland, erzählt er.
Wer das Original nicht kennt, dem erscheint die Kopie tatsächlich stimmig. Bei genauerem Hinsehen aber wird klar, dass auch etwas gemogelt wurde: So haben die Macher kurz entschlossen mehrere bekannte Sehenswürdigkeiten aus anderen Elsässer Gemeinden ins tropische Colmar integriert, wie den Uhrturm aus Riquewihr und den Wachturm aus Kaysersberg.
Am Eingang, gleich nach der Zugbrücke, hocken zudem zwei krächzende kunterbunte Papageien und warten darauf, sich mit Touristen fotografieren zu lassen. Das passt nicht wirklich zum Elsass. Es mag auch überraschen, dass an einem Fachwerkhaus mit rosa Fensterläden ein „Starbucks“-Schild prangt. Aber das macht Sinn. Und zwar nicht nur, weil es auch im echten Colmar eine Filiale gibt – sondern vor allem, weil der steinreiche Vincent Tan mit seiner „Berjaya Group“ seit 2014 die gesamte US-Café-Kette in Malaysia kontrolliert.
Mit Material von dpa