14. Januar 2023, 7:55 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Auf der peruanischen Seite des Titicacasees leben die Urus seit Jahrhunderten auf schwimmenden Inseln. Die in mühsamer Handarbeit aus Schilf hergestellten Eilande sind heute eine beliebte Touristen-Attraktion. Aber genau dieser Umstand gefährdet die Kultur der Urus – und droht sogar, die indigene Bevölkerungsgruppe zu spalten.
Unmittelbar vor den Toren der Stadt Puno befindet sich mit dem Titicacasee einer der größten Touristenmagneten Perus. Haupt-Attraktion auf dem See sind die schwimmenden Inseln der dort lebenden Urus. So wie wie es ihre Väter bereits vor Jahrhunderten taten, schichten ihre Nachfahren auch heute noch die Inseln in mühevoller Handarbeit aus Schilf auf. Doch die Kultur der indigenen Bevölkerungsgruppe ist inzwischen mehr denn je bedroht.
Die Urus leben in der Gegend um den Titicacasee bereits seit mehreren Tausend Jahren. Einige Wissenschaftler glauben, ihre Spuren in der Region bis ins Jahr 3000 vor Christus nachweisen zu können. Ihre Lebensgrundlage hier ist seit Urzeiten das Totora-Schilf, das reichlich im Uferbereich des Sees wächst. Die Urus essen es nicht nur, sondern bauen daraus auch ihre Möbel, Boote und Häuser – und eben auch ihre schwimmenden Inseln. Letztere haben die Urus weltberühmt gemacht.
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Eine Schilf-Insel hält bis zu 50 Jahre
Das Schilf wird zu Blöcken verarbeitet und mittels Wurzeln zusammengebunden, sodass die charakteristischen schwimmenden Inseln entstehen. Auf diesen bauen die Urus ihre Häuser. Eine solche Insel ist derart solide gebaut, dass sie bis zu 50 Jahre halten kann. Allerdings ist ihre Erhaltung eine permanente Arbeit. Alle paar Monate müssen oben neue Schichten Totora-Schilf hinzugefügt werden. Denn diejenigen, die mit dem Wasser des Titicacasees in Berührung kommen, verrotten.
Ursprünglich bauten die Urus laut der spanischsprachigen Webseite der „BBC“ ihre schwimmenden Inseln, um sich vor den expandierenden Inkas zu schützen. Und so zogen sie sich auf den Titicaca-See zurück, wo sie teils heute noch leben. Mittlerweile sei allerdings die Mehrzahl von ihnen „Business Insider“ zufolge auf das Festland umgezogen, denn das Leben auf den Inseln ist entbehrungsreich. Zwar haben die Urus auch hier mittlerweile teils (Solar)Strom und andere Annehmlichkeiten. Doch der Tourismus ist mit Schuld daran, dass ihre traditionelle Lebensweise immer mehr verschwindet.
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Erbitterter Konkurrenzkampf
Seit in den 1940er-Jahren erstmals Bilder von den schwimmenden Inseln auf dem Titicacasee in der Zeitschrift „National Geographic“ erschienen, ist der See nach der Inka-Stadt Machu Picchu mittlerweile laut „BBC“ zur zweitgrößten Touristenattraktion Perus geworden. Vor Beginn der Corona-Pandemie kamen jedes Jahr weit mehr als 700.000 Touristen zum Titicacasee – auch um Einblicke in die Kultur der Urus zu erhalten. Lebten diese zuvor hauptsächlich vom Fischfang, haben sich die meisten der auf den Inseln verbliebenen Bewohner heute vor allem auf den Tourismus verlegt.
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Die Urus leben in erster Linie vom Verkauf handgemachter Waren aus Totora-Schilf, der Vermietung von Touristen-Unterkünften auf ihren Schilfinseln und Bootstouren auf dem Titicacasee. Es gebe aber auch Urus, die am Tourismus nicht partizipierten und solche, die auf Inseln in weiter entfernten Teilen des Titicacasees lebten. Der Grund dafür könnte laut „BBC“ sein, dass mittlerweile ein regelrechter Konkurrenzkampf um touristische Einnahmen unter den Urus entstanden ist.
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Viele Touristen, aber wenig Geld
Zwar kämen „BBC“ zufolge viele Touristen zum Titicacasee, ließen in der Regel aber kaum Geld da. Nicht wenige reisten nur an, um die schwimmenden Inseln zu bestaunen und zu fotografieren, beklagt sich ein Uru gegenüber der „BBC“-Redaktion: „Wenn am Tag 100 Touristen kommen, hat man manchmal am Ende trotzdem nur sechs Dollar oder weniger. Wir sind eine Attraktion, wie Objekte, aber unserem Volk bringt das überhaupt keinen Nutzen.“
Im Gegenteil: So sei es heute keine Seltenheit, dass sich selbst Familienmitglieder untereinander über die mageren Einnahmen aus dem Tourismus zerstritten. In diesem Fall komme es vor, dass die schwimmenden Inseln sprichwörtlich geteilt würden, und jedes Familienmitglied sich dann mit seinem Teil separiere. Auch seien viele Indigene darüber frustriert, dass Tourismusunternehmen, Bootsbesitzer und Hotels rund um den Titicacasee oft sehr viel besser verdienten als sie selbst.
Einige Familien haben es aber laut „BBC“ dennoch geschafft, sich ein eigenes Geschäft aufzubauen. So entstanden in den letzten Jahren auf den Schilfinseln im Titicacasee vermehrt Unterkünfte für Touristen. Einige sogar mit Badezimmer und Duschen. Ein Luxus, von dem die meisten Urus auf dem See nur träumen können. Eine weitere Einnahmequelle sind die Bootsfahrten, die die Urus auf dem Titicacasee für Touristen anbieten.
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Jeder dritte Bewohner am Titicacasee gilt als arm
Dennoch sei der Konkurrenzkampf mittlerweile teils so erbittert, dass einige Familien mitunter sogar Kommissionen an die Bootsführer zahlten, damit diese an deren Insel anlegten. Die Urus bezeichnen dieses Prozedere mit Galgenhumor als „chikata“, zu Deutsch „Krieg der Kommissionen“. Doch damit nicht genug: Auch andere um den Titicacasee ansässige Indigene wollen vom Geschäft mit den schwimmenden Inseln profitieren.
So bauen mittlerweile auch die Chimu, die am Ufer des Titicacasees leben, schwimmende Inseln. Wie man das macht, haben ihnen ausgerechnet die Urus beigebracht. Im Tausch gegen das Wissen um den Bau räumte man ihnen in der Gemeinde der Chimu ein Wohnrecht ein. Auch gäben sich heute immer wieder andere Indigene als Urus aus, die aber in Wahrheit anderen Volksgruppen angehörten. 2018 kam daher sogar die Idee auf, sich die Marke „Uro“ von der peruanischen Regierung patentieren zu lassen.
Laut dem Büro für Indigene Rechte lebten 2017 noch 660 Urus in der Region rund um Puno und den Titicacasee. In dieser Gegend gilt jeder dritte Mensch als arm. Der Seite „Biblioteca Virtual de Pueblos Indígenas“ zufolge leben übrigens auch in Bolivien rund um den Titicacasee Urus, diese allerdings auf dem Festland. Der Tourismus, der den Urus in Peru einst als Hoffnung erschienen sein mag, hat ihnen nicht geholfen. Dennoch sind viele Indigene von ihm abhängig.