5. Februar 2024, 15:22 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Der Ort Klein Glienicke war zur Zeit der innerdeutschen Trennung von der DDR durch die Mauer komplett abgeschirmt. Zutritt bekamen selbst die Bewohner nur mit Passierschein. Auch heute noch ist der Ort zweigeteilt.
Nachdem im Mai 1945 der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen war, kam es in der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam zu einer einmaligen Entscheidung. Einer Entscheidung, die für etwa 500 Menschen den Beginn eines völlig neuen Lebens bedeutete – und das nicht im positiven Sinn. Damals wurde der Ort Klein Glienicke, ein Teil von Potsdam, zu einer Enklave der DDR auf westdeutschem Staatsgebiet. Wenig später war er auch bekannt als der „Blinddarm der DDR“.
Der Reihe nach: Im Jahr 1900 beginnt in Potsdam der Bau des Teltowkanals, wie der Autor und Filmemacher Jens Arndt in seinem Buch „Glienicke: Vom Schweizerdorf zum Sperrgebiet“ beschreibt. Und genau dieser Kanal ist es, der den Ort Klein Glienicke von nun an in zwei Hälften teilt. 1920 dann spricht die sogenannte „preußische Gebietsreform“ einen Teil von Klein Glienicke dem Land Berlin zu, auf dem auch heute noch ein Schloss und ein Park liegen. Das Dorf an sich gehört dagegen seit 1939 offiziell zu Potsdam.
Ein Ort wird zur Enklave
So kommt es, dass Klein Glienicke nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sowjetische Besatzungszone wird. Verbunden ist der Ort mit Potsdam nur über eine Brücke über den Teltowkanal. Und genau diesen Umstand macht sich 1961 die DDR zunutze – und mauert Klein Glienicke vollständig ein. Der Ort ist nun eine Enklave, an der schmalsten Stelle von Mauer zu Mauer gerade einmal fünf Meter breit, wie die WELT berichtet. Schnell bekommt Klein Glienicke daher den wenig schmeichelhaften Spitznamen „Blinddarm der DDR“.
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Und dieser „Blinddarm“ ist ein absolut außergewöhnlicher Ort: Wer ihn betreten oder verlassen will, benötigt einen Passierschein. Beim Überqueren der Brücke über den Teltowkanal muss er immer wieder abgestempelt werden. Das macht es für die Menschen hier fast unmöglich, Besucher zu empfangen. Selbst Verwandte werden beim Betreten von Grenzern begleitet. Wer nicht rechtzeitig wieder zurück ist, wird mit vorgehaltener Waffe abgeholt.
Strafe für unangeschlossene Leitern
Ansonsten gleicht Klein Glienicke einem sozialistischen Wunderland. Die Regale hier sind immer gut gefüllt, die DDR braucht einen solchen Vorzeige-Ort. Da fast alle Bewohner von Klein Glienicke zum Arbeiten nach Potsdam müssen, werden bei dieser Gelegenheit auch nicht selten begehrte Waren geschmuggelt, die anderswo nicht zu bekommen wären.
Dennoch kommt es nicht selten zu Fluchten, denn der Westen liegt ja quasi gleich nebenan. Laut WELT türmen gerade anfangs derart viele Menschen über Leitern, dass es irgendwann in dem Ort verboten ist, diese unangeschlossen stehenzulassen. Bei Zuwiderhandlung droht eine Geldbuße von fünf Mark. Zudem ist es untersagt, die Mauer zu fotografieren, oder über sie hinweg auf irgendeine Weise mit Menschen im Westen zu interagieren.
Fluchten, Mauertote und Beerdigungen
Am 26. Juli 1973 kommt es in Klein Glienicke zu einer besonders spektakulären Flucht. Zwei Familien schaffen es durch einen 19 Meter langen, selbst gegrabenen Tunnel in den Westen. Ein anderes Mal springt eine Mutter mit ihrem Kind aus ihrem Fenster in die Freiheit. Die Feuerwehr fängt sie auf der anderen Seite mit einem Sprungtuch auf. Am 15. November 1968 erwischen zwei Grenzsoldaten den 21-jährigen Horst Köhler beim Fluchtversuch. Köhler erschießt daraufhin einen der Männer, daraufhin tötet ihn dessen Kollege.
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An eine bizarre Begebenheit erinnert sich eine Zeitzeugin in dem Film „Geheimnisvolle Orte. Klein Glienicke“ von Jens Arndt. Als deren Großmutter in Klein Glienicke starb, durfte die Familie, die selbst in West-Berlin lebte, nicht zur Beerdigung anreisen. Stattdessen stand man auf der anderen Seite der Mauer, während der Pfarrer besonders laut gesprochen habe, um die Hinterbliebenen an der Prozedur teilhaben zu lassen.
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Auch heute noch geteilt
Und so skurril es klingt, aber Klein Glienicke ist auch heute noch ein geteilter Ort – zum Glück aber nicht mehr politisch. Die alte Unterteilung von 1920 wurde beibehalten, und so gehört der eine Teil des Ortes geografisch weiterhin zu Berlin, der andere zu Potsdam. Postbote und Müllabfuhr kommen in Klein Glienicke sowohl von den Berliner als auch den Brandenburger Behörden, zudem hat der Ort zwei unterschiedliche Vorwahlnummern.
Heute kann jeder, der möchte, Klein Glienicke besichtigen, auch wegen seiner imposanten alten Herrenhäuser ist es sehenswert. Es gibt auch Führungen, die über Klein Glienicke und seine Geschichte aufklären. Überall im Ort stehen zudem Stelen, auf denen man sich selbst informieren kann.