2. September 2024, 10:32 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Vor mehr als 500 Jahren gründete der steinreiche Kaufmann Jakob Fugger in seiner bayrischen Heimatstadt Augsburg die nach ihm benannte Fuggerei. Heute ist der Gebäudekomplex die älteste Sozialsiedlung der Welt, in der bedürftige Bewohner nur für einen Obolus leben dürfen. Das hat den Ort zu einer der größten Touristenattraktionen von Augsburg gemacht. Doch es gibt Bedingungen, um hier eine Wohnung beziehen zu dürfen – und die sind mitunter recht skurril.
Mal ehrlich: Wären Sie bereit, dreimal am Tag zu beten, um in Ihrer Wohnung wohnen zu dürfen? Nun gut, wenn Sie in Berlin oder einer ähnlich begehrten Metropole leben, lautet die Antwort vermutlich: „Ja klar, wenn es sein müsste, auch öfter“. Doch für die Menschen, die in der Fuggerei in der bayrischen Stadt Augsburg wohnen, ist das tägliche Zwiegespräch mit Gott tatsächlich eine Bedingung für den Einzug. Gemeint ist damit ein Gebäudekomplex, der einst von dem steinreichen Kaufmann Jakob Fugger gegründet wurde und der heute als die älteste Sozialsiedlung der Welt gilt.
Wer eine Wohnung in der Fuggerei erhalten möchte, muss zunächst einmal unabhängig von sonstigen Faktoren drei Bedingungen erfüllen: Er oder sie muss offiziell als bedürftig anerkannt sein, in Augsburg leben und der katholischen Konfession angehören. Dann gibt es natürlich noch eine Warteliste, denn der Wohnraum in dieser besonderen Siedlung ist überaus beliebt. Kein Wunder, beträgt die Miete hier doch nur 88 Cent – und zwar pro Jahr. Hinzu kommen laut „Welt“ noch monatliche Nebenkosten von etwa 90 Euro für eine 60 Quadratmeter große Unterkunft.
Die Fuggerei ist über 500 Jahre alt
Seit ihrer Gründung vor mehr als 500 Jahren ist die Fuggerei auf heute insgesamt 67 Häuser mit 142 Wohnungen angewachsen. Wer hier leben möchte, muss neben den vorgenannten Konditionen noch eine weitere Bedingung erfüllen: Er oder sie muss dreimal am Tag für das Seelenheil von Jakob Fugger beten. Dem Mann, der das außergewöhnliche und visionäre Projekt bereits 1521 ins Leben rief. Als Kaufmann mehr als vermögend geworden und damals der reichste Mann im gesamten Heiligen Römischen Reich, gründete er die heute älteste Sozialsiedlung der Welt.
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Dies hatte wohl verschiedene Hintergründe: Zunächst einmal wollte Jakob Fugger damit vermutlich den Status seiner Familie in Augsburg zementieren. Diese war erst am Ende des 14. Jahrhundert hierher gezogen und hatte bis zur Gründung der Fuggerei keinen Zugang zu den innersten Kreisen der stadtweiten Eliten erhalten. Als jemand, der das Geldverdienen zu seinem Geschäftsmodell erhoben hatte und von Zeitgenossen mitunter als „übler Wucherer“ beschimpft wurde, war er vielleicht auch einfach besorgt um sein Seelenheil im Jenseits. Schließlich hatte Jakob Fugger wohl aber auch eine echte, menschliche und barmherzige Ader.
88 Cent Jahresmiete
So handelte er ganz im Sinne seines Namenspatrons, des Apostel Jakobus. Dieser rät in der Bibel dazu, Witwen und Waisen in Not zu helfen. Fugger wandte diese Empfehlung mit dem Bau seiner Fuggerei einfach auf allgemein bedürftige Menschen an. Und von denen gab es Mitte des 16. Jahrhunderts in Augsburg viele. Angelockt von den Verdienstmöglichkeiten in der Stadt, tummelten sich hier zu Fuggers Zeiten zahllose Tagelöhner, entsprechend beengt waren die Wohnverhältnisse. Viele Menschen dürften zudem sogar vollständig obdachlos gewesen sein.
Am 23. August 1521 schrieb der Kaufmann daher in seiner Stiftungsurkunde für die Fuggerei: „Ich, Jakob Fugger, Bürger zu Augsburg, bekenne mit diesem Brief, der armen Leute Häuser am Kappenzipfel als Stiftung zu vollenden und die Nachfahren auf ewig mit der Vollstreckung zu verpflichten.“ Bereits sieben Jahre zuvor hatte er von der Witwe eines ehemaligen Bürgermeisters in der Jakobervorstadt-Süd die ersten Häuser und Gärten für 900 Rheinische Goldgulden erstanden. 1523 war die Siedlung mit insgesamt 52 Häusern für 102 Bewohner dann fertig. Die Jahresmiete pro Bewohner legte Fugger damals für immer auf einen Rheinischen Gulden fest, was damals dem Wochenlohn eines Tagelöhners entsprach, wie „Deutschlandfunk Kultur“ schreibt. Aktuell sind das umgerechnet gerade einmal 88 Cent.
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Mehr als 200.000 Besucher pro Jahr
Und tatsächlich zahlen die heute rund 150 bedürftigen Augsburger für ihre Wohnungen immer noch nicht mehr als diesen symbolischen Obolus. Das ungewöhnliche Wohnmodell hat die Fuggerei heute zu einer der größten Touristenattraktionen von Augsburg werden lassen. Mehr als ungefähr 200.000 Menschen kommen mittlerweile jährlich, um sich die älteste Sozialsiedlung der Welt anzusehen. Ob deren Bewohner tatsächlich wie angeregt drei Mal pro Tag für das Seelenheil von Gründer Jakob Fugger beten, wird allerdings nicht kontrolliert. Dafür gibt es am Tor vor der Siedlung allerdings einen Nachtwächter, der Kommen und Gehen genau beobachtet.
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Trifft einer der Bewohner einmal nach 22 Uhr ein, muss er bei dem skurrilen Portier 50 Cent Wegegebühr entrichten. Nach Mitternacht ist es sogar ein Euro. Die Fuggerei öffnet ihre Tore um 6 Uhr morgens und schließt dann offiziell eben um 22 Uhr. Dass die Existenz des einmaligen Wohnprojekts überhaupt weiterhin möglich ist, verdankt sich der immer noch existierenden Fuggerstiftung. Deren Vermögen speist sich heute vor allem aus dem Besitz von 3000 Hektar Wald. Aber auch Kiesabbau, der Betrieb von Weihnachtsmärkten, Windenergie und Einnahmen aus weiteren Liegenschaften tragen zum Erhalt der Fuggerei bei.
Neben den insgesamt 67 Wohnung gibt es heute innerhalb der Siedlung für die Bewohner auch einen Biergarten, eine Krankenstation und die zur Anlage gehörende St. Markus-Kirche. Besucher können sich in mittlerweile zwei Museen über die Geschichte der Fuggerei und das Leben hier informieren. Laut der offiziellen Stiftungswebseite zahlen erwachsene Besucher aktuell einen Eintrittspreis von 8 Euro. Das reduzierte Ticke ist für 7 Euro zu haben, Besucher von 8-17 Jahren kostet es nur 4 Euro. Vor jeder Tür stehen übrigens Figuren von schützenden Hausheiligen, und irgendwo natürlich auch eine Büste von Jakob Fugger selbst. Jenem Mann, der bereits vor mehr als 500 Jahren eine Vision hatte. Und damit das vielleicht ungewöhnlichste Wohnprojekt Deutschlands ermöglichte.