21. September 2021, 17:56 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hielt ein bizarrer Streit zwischen zwei Familienmitgliedern ganz England in Atem. Diesem Konkurrenzkampf ist eine der spektakulärsten archäologischen Entdeckungen der Insel zu verdanken. Dabei ging es ursprünglich nur darum, wessen Höhle mehr Besucher anlocken würde. Ein Streit, der mit der Entdeckung menschlicher Abgründe endete.
Im englischen County Somerset liegt mit der Cheddar Gorge eine der beeindruckendsten Schluchten des Landes. Mehr als 100 Meter hohe Steilwände erheben sich hier über einer Strecke von fast fünf Kilometern. Doch berühmt geworden ist der Ort nicht durch die Schlucht, sondern durch seine diversen Höhlen. Eine von ihnen hat wahrhaft Geschichte geschrieben. Die Rede ist von Gough’s Cave, die seit mehr als 100 Jahren eine der beliebtesten Attraktionen der Region ist.
Bei Gough’s Cave handelt es sich um eine Tropfsteinhöhle, deren besonders spektakuläre Kammern einzigartige Gesteinsformationen enthalten. Die Geschichte des Ortes ist untrennbar verbunden mit zwei Männern – einem Onkel und seinem Neffen. Im Jahr 1890 besaßen sowohl George Cox als auch sein Neffe Richard Cox Gough in der Cheddar Gorge jeweils eine Höhle, mit der sie Touristen in Scharen anlockten.
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Eine Höhle als Touristenattraktion
Schon bald sah der jüngere Richard ein, dass seine Höhle mit der seines Onkels nicht konkurrieren konnte. Er fing daher noch im selben Jahr gemeinsam mit seinen Söhnen an, eine neue Höhle zu erschließen. Und traf dabei voll ins Schwarze. Schon 1892 entdeckten Gough und seine Söhne die erste Höhle, eine Grotte mit gigantischen Ausmaßen von bis zu 100 Meter Deckenhöhe. 600 geladene Gäste erschienen, als der Geschäftsmann hier ein Konzert veranstalten ließ. Im Laufe der Jahre erschloss er bei den Ausgrabungen, die bis 1898 andauertenden, den Ort immer weiter, bewegte tausende Tonnen Gestein und stieß auf immer mehr weitverzweigte Höhlenkammern. 1899 öffnete die Höhle dann final unter dem Namen Gough’s Cave für Besucher.
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Der Ansturm war von Anfang an riesig, doch zu diesem Zeitpunkt hatte man die spektakulärste Entdeckung in Gough’s Cave noch gar nicht gemacht. Dies erfolgte 1903, als man bei Grabungen auf die sterblichen Überreste eines menschlichen Höhlenbewohners stieß, der heute als der „Cheddar Man“ berühmt ist.
Ein Skelett enthüllte grausame Rituale
Hierbei handelt es sich das älteste komplette Skelett, das jemals auf der Insel gefunden wurde. Anhand weiterer Fundstücke wie Geweihen und Artefakten aus Feuerstein ließ sich schließlich belegen, dass Gough’s Cave bereits seit ca. 400.000 Jahren als Siedlungsort für Menschen gedient hatte. Und nicht nur das, es war anscheinend auch eine Art rituelle Opferstätte. Denn manche der Ausgrabungsstücke waren mehr als makaber.
So fanden sich unter anderem drei Trinkbecher aus den Schädeln von Menschen. Zudem wiesen zahlreiche der entdeckten Knochen Spuren von Kannibalismus auf, seien es Zahnabdrücke oder Spuren von Messerschnitten. Besonders gruselig: Die Verstümmelungen erfolgten posthum, die Menschen der damaligen Zeit aßen also mutmaßlich ihre Toten. Und obwohl diese Erkenntnisse erst 2011 offenbar wurden, machte die spektakuläre Entdeckung des „Cheddar Man“ Gough’s Cave nur noch berühmter und beliebter.
Schnell wurde das Skelett der absolute Verkaufsschlager, sogar Postkarten mit seinem Motiv konnte man in Gough’s Cave kaufen. Damit war die jahrelange Rivalität um die beliebteste Höhle in Cheddar Gorge endgültig entschieden. Richard Cox Gough hatte seinen Onkel endgültig besiegt. Jedoch konnte er sich an seinem Triumph nicht mehr erfreuen. Im Jahr 1902 verstarb er. Seine Frau und sein ältester Sohn führten die Schau-Höhle in seinem Namen weiter. Und das äußerst erfolgreich.
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Besucher sind begeistert
Bereits 1934 kamen jährlich bis zu 200.000 Besucher, 1937 waren es schon fast 300.000. Kommentare auf dem Portal Tripadvisor zeugen davon, dass Gough’s Cave nichts von ihrer Anziehungskraft verloren hat. „Wir waren überwältigt von der Szenerie und den Eindrücken in der Höhle“, so ein User. Ein zweiter meint: „Was für ein Ort! Ein absolutes Muss!“
Aktuell ist Gough’s Cave zwar wegen der Corona-Pandemie geschlossen, doch auch ohne den Eintritt in Englands berühmteste Höhle lohnt sich ein Ausflug in die Cheddar Gorge. Denn dank der Haupt-Attraktion haben sich hier verschiedene Läden und Restaurants etabliert. Und etwas, das vielleicht noch ein bisschen berühmter ist als die Höhle, kann man hier immer noch kaufen: Den leckeren Cheddar-Käse, der dem Ort seinen Namen gab.