28. März 2022, 11:01 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
San Marino, der Vatikan und Luxemburg. In Europa gibt es einige sehr kleine Länder. Sogenannte Mikronationen aber treiben es auf die Spitze und bezeichnen sich als Staat, obwohl sie oft nur wenige Quadratmeter groß sind. Die Republik Kugelmugel in Österreich ist eine Mikronation mit einer besonders skurrilen Geschichte.
Wer durch den Wiener Prater geht, entdeckt hinter Achterbahnen, Karussellen, Spiegelkabinetten und Autodrom auch eine sehr eigenartige Sehenswürdigkeit, die heraussticht. Eine übergroße orange-braune Kugel aus Holz, die eingezäunt ist. Denn sie steht, anders als der Prater, nicht in Österreich, sondern in der Republik Kugelmugel und ist eine eigene Mikronation.
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Eine Mikronation hinter Stacheldrahtzaun
Dabei handelt es sich um einen Staat mit einem Durchmesser von acht Metern – Fußgänger können ganz Kugelmugel in etwa zwanzig Sekunden umrunden. Erschaffen wurde die Republik der etwas anderen Art 1971 von dem österreichischen Künstler Edwin Lipburger. Ursprünglich ließ er die Kugel im niederösterreichischen Ort Katzelsdorf errichten. 1982 zog die Republik dann um. Seitdem steht sie im Wiener Prater. Manch einer mag die Mikronation deshalb für eine Attraktion halten.
Nach einem Ticketverkauf aber sucht man vergeblich. Denn die Republik Kugelmugel wird von einem Stacheldrahtzaun umzäunt. Auch ein Grenzübergangsschild und ein großes Hinweisschild sollen klarstellen, dass es sich hierbei um eine echte Republik handelt. Wer über den Zaun in die Mikronation schaut, sieht sogar ein Straßenschild für Kugelmugels Antifaschismusplatz. Auch ein Lobesschild für den ersten Präsidenten Edwin Lipburger ist angebracht. Darauf heißt es laut dem Stadtmagazin Stadtbekannt: „Dieser Platz ist dem großen demokratischen Revolutionsführer Edwin Lippburger, der hier begonnen hat, die ganze alte Moral abzuschaffen und alle Korruptionsformen unter jeder Maske zu bekämpfen und auszumerzen, gewidmet.“
„Warum wohnen wir nicht in Kugeln?“
Für den selbst ernannten Präsidenten Lipburger ist das Runde eine besondere Herzensangelegenheit. Stadtbekannt zitiert ihn mit: „Eine Kugel ist das einzig Wahre auf dieser Welt“. Gleichzeitig scheint Lipburger eine Abneigung gegenüber der „modernen“ Bauweise mit Ecken und Kanten und dem damit einhergehenden modernen Lebensstil zu haben. „Alles ist rund, die Erde, das Leben, die Kugel, alles dreht sich… Warum baut man nicht runde Häuser, warum wohnen wir nicht in Kugeln?“
Lipburger erschuf die Republik aber nicht nur, um sich künstlerisch auszuleben. Denn die Geschichte der Mikronation ist kriminellen Ursprungs. Dass Lipburger sich weigerte, Steuern zu zahlen, ist nur ein kleiner Teil der Geschichte. Dafür fand er nämlich schnell eine Lösung: Wer in der Republik Kugelmugel wohnte, musste, nach seiner Auffassung, in Österreich keine Steuern zahlen. Das Konzept aber ging nicht so auf, wie Lipburger sich das vorgestellt hatte und die Mikronation hatte noch mit ganz anderen Vorwürfen zu kämpfen.
Die Mikronation Kugelmugel zieht um
Begonnen hatte das Unheil mit einer fehlenden Baugenehmigung. In Niederösterreich, dem Bundesland, in dem Lipburger ursprünglich wohnte und in dem auch die Kugel erschaffen wurde, gilt eine Bauordnung, die das Errichten von kugelrunden bewohnbaren Häusern verbietet. Deswegen entschied sich Lipburger vorerst dazu, Kugelmugel zu einem eigenen Ort zu machen. Dort sollte es gestattet sein, kugelrunde Häuser zu bauen. Erlaubt wurde das von dem Bürgermeister des Ortes, Lipburger selbst. Doch der Rechtsstreit spitzte sich weiter zu, Lipburger musste wegen „Amtsanmaßung“ für einige Wochen ins Gefängnis und wurde schließlich vom Bundespräsidenten begnadigt.
Fest stand: So konnte es für die junge Republik nicht weitergehen. Der damalige Wiener Bürgermeister Dr. Helmut Zilk bot an, Kugelmugel in Wien ein Grundstück zur Verfügung zu stellen. Doch obwohl Zilk aus Dank sogar eine Ehrenstaatsbürgerschaft bekommen hatte, wurde die Beziehung zwischen dem Bürgermeister und der Republik schnell eisig.
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Ein Ehrenbürger beginnt den Krieg
Denn wer sich auf der Webseite der Mikronation über dessen Geschichte informiert, stößt auf den Vorwurf, dass von der etwas größeren Nachbarrepublik Österreich – anders als beim Umzug versprochen – weder Wasser- noch Stromanschluss bereitgestellt wurde. Das soll die Nutzung der Republik Kugelmugel beinahe unmöglich gemacht haben, heißt es auf der Webseite weiter. Aus Trotz wurde Zilk nicht nur die Ehrenstaatsbürgerschaft von Kugelmugel entzogen, an der Grenze der Republik Kugelmugel nach Österreich wurde zudem eine „Kriegserklärung“ ausgehängt.
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611 Staatsbürger der Republik Kugelmugel soll es im Jahr 2008 gegeben haben, aktuellere Zahlen sind nicht bekannt. Da das Grundstück im Prater kaum Platz für über 600 Menschen bieten kann, dürfte der Großteil von ihnen im Exil wohnen. Das Staatswappen von Kugelmugel zeigt übrigens Lipburgers Bild in Schwarz auf einem weißen Kreis, die Nationalflagge hat die gleichen Farben wie die österreichische.
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Die Mikronation Kugelmugel heute
Jahrelang rottete die Mikronation im Wiener Prater vor sich hin. 2015 dann der große Wendepunkt: Edwin Lipburger, Gründer und Präsident der Republik, verstarb und übergab sein Amt an seinen Sohn Nikolaus. Nikolaus war es auch, der die Kugel 1970 gemeinsam mit seinem Vater erbaut hatte.
Seitdem wurde ein Symposium innerhalb Kugelmugel einberufen, in welchem die künstlerische Nutzung des öffentlichen Raums besprochen wurde. Man war sich einig, dass in der Mikronation Kugelmugel künstlerische Ausstellungen Platz finden sollten. Ohne den Besuch einer solchen Ausstellung ist es Besuchern nicht gestattet, in die Republik einzureisen. Eine Veranstaltung aber kann jeder besuchen. Mit Ausnahme von 2021 findet seit 2018 jährlich ein experimentelles Mikrofestival in der Mikronation statt. Folgende Adresse ist auf dem Ticket vermerkt: Antifaschismusplatz 2, Republik Kugelmugel, 1020 Wien.