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Nicht einmal 700 Menschen leben hier noch

Lynch – die einst größte Kohle-Stadt der Welt in den USA

Lynch
Lynch in Kentucky war einst die größte Kohle-Stadt auf der ganzen Welt. Früher von 10.000 Menschen aus fast 40 Nationen bewohnt, ist der Ort heute weit von seinem einstigen Glanz entfernt Foto: Getty Images
Robin Hartmann Autorenkopf
Freier Autor

3. März 2024, 7:37 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten

Ab 1917 innerhalb von nur fünf Jahren sprichwörtlich aus dem Boden gestampft, war Lynch im US-Bundesstaat Kentucky einst die größte Kohle-Stadt auf der ganzen Welt. Das schwarze Gold lockte 10.000 Einwohner aus mindestens 38 Nationen an, die hier einen im nationalen Vergleich sehr gehobenen Lebensstandard genossen. Doch nicht einmal 70 Jahre später war der Traum ausgeträumt.

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Es gibt wohl wenige Orte in den USA, ja vielleicht sogar auf der ganzen Welt, wo man den Wandel der Zeit so drastisch nachvollziehen kann wie in Lynch, Kentucky. Ein langgezogener Streifen Stadt mitten im Nirgendwo, vier Stunden Autofahrt von der Bundesstaats-Hauptstadt Louisville entfernt. Obwohl der Titel „Stadt“ eigentlich schon längst nicht mehr zutrifft, den Lynch hat heutzutage weniger als gerade einmal 700 Einwohner. Kaum etwas deutet noch daraufhin, dass sich hier einst die größte Kohle-Boomtown der Welt befand. Und so märchenhaft der schnelle Aufstieg des Ortes war, umso tiefer kam schon bald sein Fall.

Es ist der 26. August 1917, als die Firma US Coal and Coke Company, eine Tochter der Stahlverarbeitungsgesellschaft US Steel, in Kentucky mit dem Bau eines wahren Großprojektes beginnt: Eine ganze Stadt will man aus dem Boden stampfen, so wie es sie in der umliegenden Gegend dank ihres Kohlereichtums schon zahlreiche gibt. Als Standort wählt man sich eine Ödnis namens Looney Creek am Fuße des höchsten Berges der Gegend, dem Black Peak. So abgelegen ist laut „Daily Mail“ das Tal, dass Baumaterialien erst per Zug in den Nachbarort Benham gebracht werden müssen, um von da aus auf Eseln und Planwagen an ihr Ziel zu gelangen.

10.000 Menschen aus 38 Nationen

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Leere Straßen, keine Jobs: Lynch hat heute nicht einmal mehr 700 Einwohner Foto: Getty Images

Städte im Besitz von US-Kohlefirmen sind zu dieser Zeit alles andere als eine Seltenheit, auf dem Höhepunkt des Booms gibt es etwa 400 davon allein in den Südlichen Appalachen. Aber Lynch, benannt nach Thomas Lynch, dem ersten Präsidenten der US Coal and Coke Company, soll sich dennoch zu einer ganz besonderen Erfolgsgeschichte entwickeln. Innerhalb von nur fünf Jahren Bauzeit wächst das Mega-Projekt zu einer Stadt mit 600 Häusern und 10.000 Einwohnern aus mindestens 38 Nationen. 4000 von ihnen sind Minenarbeiter, die in den Schächten rund um Lynch Kohle abbauen. Da für die Herstellung von Stahl ein unverzichtbarer Rohstoff, erlebt das Schwarze Gold und damit die gesamte Stadt auf der Höhe des Ersten Weltkrieges einen beispiellosen Boom.

Leben die ersten Menschen in Lynch quasi noch auf einer Baustelle, entwickelt sich die Stadt jedoch in atemberaubender Geschwindigkeit zu einem wahren Mekka für Arbeitsuchende, vor allem Immigranten. Nicht selten wirbt die US Steel diese direkt bei deren Ankunft auf Ellis Island in New York für die Arbeit in Lynch ab. Und tausende folgen dem Ruf und der Verheißung auf ein sorgloses Leben. Denn im Vergleich zu anderen Städten dieser Zeit ist Lynch mit allen Annehmlichkeiten ausgestattet, die man sich nur vorstellen kann.

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Die Weltrekord-Stadt

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Die alte Feuerwache ist wie viele andere Gebäude in Lynch längst verfallen Foto: Getty Images

Revolutionär ist alleine der Umstand, dass es hier eine Kanalisation gibt. Als die Stadt 1925 fertig ist, gibt es hier ein Krankenhaus, drei Schulen, eine Bank, eine Post, eine Feuerwehr und ein Hotel mit 108 Zimmern. Hinzu kommen ein Baseballfeld, Tennisplätze, eine Bowlingbahn, ein Kino und ein Einkaufszentrum. Das alles bezahlt die Firma, die Menschen nach Lynch locken und auch dort halten möchte. Dass diese Mühen sich bezahlt machen, zeigt sich von Anfang an. Bereits im November 1917 verlässt die erste Fuhre Kohle die Stadt. Am 12. Februar 1923 wird hier laut der Seite „Lynch Kentucky History“ ein Weltrekord aufgestellt, als eine einzige Neun-Stunden-Schicht von Arbeitern 12.820 Tonnen Kohle fördert.

Allein in ihrem ersten halben Jahr des Bestehens verschickt die Post in Lynch eine halbe Millionen Briefe, von denen 60 Prozent nach Osteuropa gehen. Eine Mehrheit der insgesamt fast 40 Nationen, die in der Stadt arbeiten, stammt von dort. Die Bank, die bereits 1933 im Zuge der Großen Depression für immer schließen muss, hat zu dieser Zeit Währungen aus 15 verschiedenen Ländern im Angebot. Doch all dieser Luxus kommt mit einem Preis, denn der Kohleabbau ist ein mitunter lebensgefährliches Geschäft. Auf einem Gedenkstein, der heute in der Stadt ausgestellt ist, kann man dutzende Namen von „Kumpels“ nachlesen, die dabei umkamen.

Der Anfang vom Ende

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Der Verfall ist ein fester Bestandteil des heutigen Lynch Foto: Getty Images

In ihrer Blütezeit ist Lynch die größte Kohle-Stadt auf der ganzen Welt, und auch die größte von einer Firma gemanagte. Doch der Traum von der großen Boomtown ist nur einige Jahrzehnte später ausgeträumt. Denn als nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Nachfrage nach Kohle einbricht, brechen in Kentucky (und landesweit) auf einmal die damit verbundenen Jobs weg. Bereits in den 1950er Jahren beginnen Menschen, aus Lynch wegzuziehen, um ihr Glück künftig anderswo zu suchen. 1963 gibt die US Steel dann ihr Stadt-Patronat auf und beginnt, die Häuser hier zu verkaufen. Fortan betreibt sie nur noch die Minen, kümmert sich aber zunächst dennoch weiter um die Belange des Ortes.

Bereits 1970 beträgt die Einwohnerzahl von Lynch nur noch 1517. 1981 muss die örtliche High School schließen, drei Jahre später wechseln auch die Minen den Besitzer. Nach noch nicht einmal 70 Jahren Existenz ist Lynch scheinbar am Ende. Die einst größte Kohle-Town auf der ganzen Welt ist nun nicht viel mehr als eine bessere Geisterstadt. Ohne Jobs und einfache Anbindung an ohnehin weit entfernte größere Orte scheint der Untergang gekommen. Umso erstaunlicher ist es, dass Lynch auch heute noch weiter lebt.

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Eine Geisterstadt lebt weiter

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Wo früher Kohle abgebaut wurde, fahren heute Touristen in die Schächte von Lynch Foto: Getty Images

Zwar wohnen hier seit der letzten Volkszählung im Jahr 2020 nicht einmal mehr 700 Menschen. Doch ein zarter Tourismus spült der Stadt immerhin noch ein wenig Geld in die Kassen. Besucher kommen zum Beispiel, um Touren in einer der alten Kohleminen namens „Portal 31“ zu machen. Dabei fährt man mit einem alten Minenwagen durch die Schächte und erfährt etwas über die Geschichte von Lynch. Und seit 1999 gibt es hier das christliche Meridzo Center, das hilft, die Stadt am Leben zu erhalten. Jeden Sommer kommen seitdem etwa 5000 Gläubige, um hier für das Weiterbestehen des Ortes zum Beispiel wichtige Reparaturen auszuführen.

2017 konnte Lynch sogar seinen 100.Geburtstag feiern. Einen Vorschlag, sich mit den Nachbarorten Cumberland und Benham zusammenzuschließen, um eine größere Stadt zu bilden, haben die Einwohner aber bislang abgelehnt. 2017 hatte die Stadt noch fünf offizielle Verwaltungsangestellte. Sicher, das Hotel mit den 108 Zimmern mag seit den 1960er Jahren abgerissen sein, die High School längst geschlossen: Doch es gibt diese Orte, die der Stolz der verbliebenen Einwohner einfach gegen jede Wahrscheinlichkeit weiter am Leben hält. Bleibt zu hoffen, dass sie auch in Zukunft nicht aufhören, ihre Stadt mit ihrer so schillernden Vergangenheit zu lieben.

Themen Nordamerika USA
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