27. Januar 2021, 14:23 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Sie ist neunmal so groß wie die deutsche Hauptstadt Berlin – trotzdem leben in Naypyidaw nur etwa 300.000 Menschen. Wer hierher kommt, kann unter anderem auf einer 22-spurigen Straße spazieren gehen. Die Geschichte der wohl verrücktesten Stadt in Asien.
Es war der 6. November 2005, als in einer Nacht-und-Nebel-Aktion 1100 Schwertransporter aus Myanmars größter Stadt Rangun in Richtung Inland aufbrachen. Ihr Ziel: Ein selbst bei der Bevölkerung völlig unbekannter, lange geheim gehaltener Ort namens Naypyidaw. Rangun war bis dahin auch Hauptstadt des asiatischen Landes gewesen, wurde jedoch fünf Tage später abgelöst von Naypyidaw – der wohl absurdesten Metropole in ganz Asien.
Denn Naypyidaw und seine Entstehung waren ein Hirngespinst der damaligen Militärjunta, wie unter anderem die „Süddeutsche“ berichtet. Die Machthabenden fürchteten demnach in der am Meer gelegenen Bis-dahin-Hauptstadt Rangun bewaffnete Interventionen aus dem Ausland, also errichtete man unter strenger Geheimhaltung Naypyidaw, ein Denkmal des Größenwahns dieser brutalen Regierung: Flächenmäßig ist die Stadt mit 7000 Quadratkilometern neunmal so groß wie Berlin, die Hauptstraße Yaza Htarni Road ist 20-spurig, der damalige Diktator Than Shwe ließ sich hier einen Palast mit 100 Zimmern errichten.
Leere Supermärkte mit frischem Obst
Naypyidaw hat denn auch alle Annehmlichkeiten einer Großstadt, einen internationalen Flughafen, zahlreiche Luxushotels. Der lokale Zoo – im Übrigen der größte in ganz Südostasien – verfügt über klimatisierte Becken für die Pinguine, diverse Golfplätze warten auf Spieler, das Edelsteinmuseum mit dem laut „Botschaft Myanmar“ weltgrößten Rubin auf Besucher – allein, es leben hier, gerechnet auf die unfassbare Fläche, kaum Menschen. Verschiedene Medien berichten von einer Einwohnerzahl von gerade einmal 300.000, die meisten davon Regierungsbeamte, die die Geschicke des bitterarmen Landes verwalten.
Auch interessant: Ramree Island: Myanmars Insel des Grauens
Übersetzt bedeutet Naypyidaw übrigens so viel wie „Königliche Stadt“, und so waren auch die geschätzten Baukosten laut „Spiegel“ wahrhaft fürstlich: Zwischen vier und fünf Milliarden US-Dollar soll Myanmars neue Hauptstadt gekostet haben, über die tatsächlichen Zahlen schweigt die Regierung natürlich. Derweil gibt es in den leeren Supermärkten stets frisches Obst und Gemüse zu kaufen, verlieren sich ein paar Versprengte bei der allabendlich statt findenden Lichtshow im Water Fountain Garden, einer Art Vergnügungspark für Wasserspiele. An zahlreichen öffentlichen Orten gibt es kostenloses Wi-Fi, doch kaum jemand ist da, um es zu nutzen.
Die Flucht-Tunnel sind schon gebaut
Die Stadt ist laut „Süddeutsche“ in verschiedene Zonen eingeteilt, so gibt es eigene Viertel für Botschaften, Hotels, Ministerien und das Militär. Die schiere Größe und damit einhergehende Leere sei im Übrigen durchaus Kalkül, wie die Zeitung schreibt: „Naypyidaw ist ein gigantisches und sehr effektives Instrument der Überwachung und Ruhigstellung.“ Denn in einer derartig großen Metropole ließen sich Einzelne effektiver beobachten.
Die leeren Flächen und die Distanzen zwischen den einzelnen Zonen sollten dafür sorgen, dass sich Menschen nicht träfen und eventuell „umstürzlerische Energie“ austauschen könnten. Der Bau der Stadt sei demnach ein Versuch des damaligen Militärregimes gewesen, sich „auf Generationen Einfluss und Reichtum“ zu sichern. Und falls die so gefürchteten Aufstände im Volk – die in der Vergangenheit bereits mehrfach blutig niedergeschlagen wurden – doch noch einmal wieder aufflammen sollten: Unter dem Regierungsviertel sollen sich Flucht-Tunnel befinden, angelegt von nordkoreanischen Ingenieuren.
Tiere sollen hier fast 1000 Menschen getötet haben Ramree Island – Myanmars Insel des Grauens
Eine Touristenattraktion In den Katakomben unter den Straßen von Paris liegen mehrere Millionen Tote
Kaum jemand will da wohnen Tianducheng – das Paris von China
Fragwürdiges Reiseland
Bizarr: Während es in Naypyidaw jeden nur erdenklichen Luxus für nicht vorhandene Einwohner gibt, hat der Großteil der restlichen Bevölkerung Myanmars immer noch weder fließend Wasser noch Strom. Auf Tripadvisor zeigen sich dennoch zahlreiche Nutzer begeistert von den Annehmlichkeiten der Hauptstadt – so schreibt beispielsweise ein Nutzer über seinen Aufenthalt im dortigen Hilton Hotel: „Sehr schöne Zimmer in mehreren großen Bungalows in schöner, sehr sauberer Hotelanlage mit Riesenpool. Naypyidaw als neue Hauptstadt von Myanmar scheint für die Zukunft gebaut zu sein.“
Ein anderer meint zu seinem Besuch im hiesigen Emerald Restaurant: „Wir haben noch nie so gute Pasta gegessen. Wir fanden es fast ein bisschen traurig, dass wir oftmals die einzigen Gäste im Restaurant waren. Weshalb wir uns manchmal auch etwas beobachtet gefühlt haben, was aber in einer solchen Situation/Stadt wohl unvermeidbar ist. Wir hoffen sehr, dass sich die Stadt weiterentwickelt.“
Im Sinne des Wohles der gesamten Bevölkerung wäre es wohl eher zu wünschen, dass sich das Land als solches weiterentwickelt. In den letzten Jahren machte Myanmar fast ausschließlich negative Schlagzeilen, vor allem durch die gewaltsame Verfolgung der Minderheit der Rohingya. Wie die unter anderen die Zeitung „Täglicher Anzeiger“ berichtet, wächst zudem derzeit wegen anhaltender Kritik des einflussreichen Militärs am Wahlergebnis von November die Angst vor einem Putsch im Land.