Direkt zum Inhalt wechseln
logo Deutschlands größtes Online-Reisemagazin
San Pedro in Bolivien

Die absurde Gefängnis-Stadt, die ihre „Einwohner“ selbst verwalten

San Pedro-Gefängnis Luftansicht
Das San Pedro-Gefängnis in der Innenstadt von La Paz wird von seinen Insassen selbst verwaltet. Bis 2009 konnten Touristen hier sogar Touren buchen Foto: AFP via Getty Images
Robin Hartmann Autorenkopf
Freier Autor

3. Dezember 2024, 6:29 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten

Das San Pedro-Gefängnis in Boliviens Hauptstadt La Paz ist der wohl ungewöhnlichste Knast der Welt. Denn seine Insassen verwalten ihn quasi völlig autonom, Wachpersonal oder andere staatliche Autoritäten gibt es nicht. Wer es sich leisten kann, lebt innerhalb der Gefängnis-Kleinstadt auf großem Fuß zusammen mit seiner Familie ein relativ normales Leben. Bis 2009 konnten Touristen hier sogar Führungen machen oder sich für einen längeren Zeitraum als „Gäste“ einbuchen.

Artikel teilen

Mitten im Stadtzentrum der bolivianischen Hauptstadt La Paz gibt es einen Ort, der auf den ersten Blick fast zu skurril anmutet, um wirklich real zu sein. Eine Stadt in der eigentlichen Stadt, umgeben von dicken, meterhohen Mauern. Nein, keine „Gated Community“ für Superreiche, sondern der wohl ungewöhnlichste Knast der Welt: Das San Pedro-Gefängnis. Denn staatliche Autoritäten haben hier quasi keinerlei Befugnisse, stattdessen verwalten die Häftlinge ihre kleine Welt selbst. Für ein paar Jahre wurde die Besserungsanstalt wegen diesem ungewöhnlichen Konzept sogar zu einem Hotspot für Reisende aus aller Welt und Freunde des Dark Tourism.

Viele bestätigte Informationen aus seriösen Quellen gibt es nicht zum Leben im San Pedro-Gefängnis. Laut dem „Focus“ ist der Knast aufgebaut wie eine Art Kleinstadt, unterteilt in acht verschiedene Viertel. Hier gibt es wie selbstverständlich Läden, Restaurants und sogar einen Arzt, ebenfalls ein Häftling. Verschiedene Quellen sprechen auch von einem unterirdischen Kokain-Labor, das hier angeblich operieren soll. Wie auf dem offenen Immobilien-Markt müssen sich die Insassen von San Pedro ihre „Unterkünfte“, also ihre Zellen, selbst kaufen. Den rechtmäßigen Besitz kann man sich sogar mit einer Urkunde bestätigen lassen. Je nach „Wohnlage“ kann eine solche Zelle schon mal gut und gerne mehrere tausend US-Dollar kosten.

Manche Häftlinge leben mit ihren Familien

San Pedro-Gefängnis
Häftlinge im San Pedro-Gefängnis in einer Holzwerkstatt. Der Knast ist aufgebaut wie eine normale Kleinstadt Foto: AFP via Getty Images

Die Privilegien, die die Häftlinge im San Pedro-Gefängnis genießen, sind dafür ziemlich einzigartig. Denn in dem Knast gibt es keinerlei staatliche Autoritäten, vielmehr wird er von den Häftlingen nach dem Recht des Stärkeren selbst verwaltet. Obwohl ursprünglich nur für bis zu 600 Personen gebaut, leben hier heute mehr als 2000 Menschen. Und zwar nicht nur Insassen, denn wer es sich leisten kann, holt seine Familie zu sich. Die luxuriösesten Zellen verfügen über eine eigene Küche und ein Bad sowie Fernsehen. Nur einmal am Tag kommt hier eine Art offizieller Wachdienst, um die „Anwesenheit“ zu überprüfen, ansonsten haben die Häftlinge in San Pedro ein relativ selbstbestimmtes Leben.

Auch interessant: Das Gefängnis, das sich Pablo Escobar selbst baute

Frauen und Kinder der Häftlinge des San Pedro-Gefängnisses dürfen dieses tagsüber verlassen, um zur Arbeit oder zur Schule zu gehen. Für Ordnung innerhalb der Mauern sorgt eine Wachtruppe aus Häftlingen namens „Disciplinas“ (zu Deutsch etwa Disziplin), die auch Strafen für Übertretungen festlegt. Sie wiederum unterstehen einer Art Knast-König, dem jeweils meist respektierten bzw. meist gefürchteten Mann vor Ort. Und so unglaublich es klingt, bis zum Jahr 2009 war eine veritable Einnahmequelle für die Menschen in dem Gefängnis der Tourismus. Sogar der Reiseführer „Lonely Planet“ hatte es für Fans des Dark Tourism unter seinen Empfehlungen.

Mehr zum Thema

Knast-Bestseller

Weltweite Bekanntheit erlangte das San Pedro-Gefängnis laut „BBC“ 2003 durch den Bestseller „Marching Powder“ des Australiers Rusty Young. Dieser hatte drei Jahre zuvor an einer „Führung“ durch den Knast teilgenommen und dabei den britischen Insassen Thomas McFadden kennen gelernt, der wegen Kokainschmuggels hier einsaß. Er war sein Guide, und später wurden die beiden Freunde. Denn Young bestach, fasziniert von dem Ort, die Wärter, um sich für einen Zeitraum von mehreren Monaten hier „einzubuchen“. Seine Eindrücke verarbeitete er gemeinsam mit McFadden in einem Buch, welches das Gefängnis zu einem absoluten Hype-Spot vor allem bei jungen Bolivien-Reisenden machte.

Die Häftlinge des Sand Pedro-Gefängnis erkannten darin natürlich ein neues Geschäftsmodell, und so schnellten die „Eintrittspreise“ von fünf Dollar zu Zeiten von Youngs Besuch auf bis zu 100 Dollar in die Höhe. Erst 2009 machte der Staat den Knast-Touren ein Ende. Bis dahin hatten die lokalen Behörden, gut daran mitverdienend, das Konzept akzeptiert. Doch dann kam ein Fernseh-Kamerateam, um einen inhaftierten Politiker zu interviewen. Und filmte stattdessen Ströme von Touristen, die für eine Tour anstanden. Bereits seit Jahren gibt es zudem Pläne, San Pedro als solches zu schließen, doch bislang wurden diese noch nicht in die Realität umgesetzt.

Auch interessant: „La Catedral“ – die Geschichte von Pablo Escobars Luxus-Knast

In Südamerika sind Geschichten wie die des San Pedro-Gefängnisses bei Weitem keine Einzelfälle. So gibt es allein in Bolivien „ZDF“ zufolge noch eine weitere und weitaus größere Gefängnisstadt namens Palma Sola. Auch diese ist eine von den Häftlingen selbstverwaltete Zone, in der die gefährlichsten Verbrecher des Landes teilweise mit ihren Familien leben. Bereits 1991 sorgte der kolumbianische Drogenbaron Pablo Escobar damit für Schlagzeilen, dass er sich einfach selbst seinen eigenen Luxus-Knast baute.

Themen Bolivien Südamerika
Deine Datensicherheit bei der Nutzung der Teilen-Funktion
Um diesen Artikel oder andere Inhalte über Soziale- Netzwerke zu teilen, brauchen wir deine Zustimmung für diesen .
Sie haben erfolgreich Ihre Einwilligung in die Nutzung dieser Webseite mit Tracking und Cookies widerrufen. Sie können sich jetzt erneut zwischen dem Pur-Abo und der Nutzung mit personalisierter Werbung, Cookies und Tracking entscheiden.